Außerordentliche Sitzung des Narrengerichts wegen Verletzung des Schamgefühls
Noch nicht erwachsene Herren

Außerordentliche Sitzung des Stockacher Narrengerichts | Foto: Das Narrengericht Stockach traf sich aus aktuellem Anlass zu einer außerordentlichen Sitzung: Gerichtsnarr Rainer Vollmer war die Narrenkappe entwendet worden.swb-Bild: sw
  • Außerordentliche Sitzung des Stockacher Narrengerichts
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Stockach. Es war ein Wiedersehen voller Tränen, Melancholie und unterdrückter Gefühle! »Was haben sie denn mit dir gemacht«, rief Gerichtsnarr Rainer Vollmer in herzerweichendem Ton aus. Dann holte er zu einem langen, sehr langen, aber nie langatmigen oder langweiligen Lamento aus: Er hatte seine Kollegen im Stockacher Narrengericht mit Narrenrichter Jürgen Koterzyna an der Spitze zu einer außerordentlichen Gerichtsverhandlung in den Gasthof »Fortuna« in Stockach zitiert und einen unerhörten Vorwurf erhoben. Einer der Herren Lehrbuben der altehrwürdigen Zimmerergilde habe ihm seine Narrengerichtsmütze entwendet. Doch nun sah er sie wieder – das »Corpus Delicti« wurde im Rahmen der kleinen Verhandlung auf einem Seidenkissen hereingebracht. Anlass für starke Gefühlsausbrüche: »Was haben sie denn mit dir gemacht.«

Kläger Thomas Warndorf sah seine Stunde gekommen, um ein für alle mal mit den Herren Lehrbuben abzurechnen. »Herren Lausbuben« wurden sie in seiner Klageschrift respektlos tituliert. Die Vorwürfe: Ladendiebstahl, Entkleidung eines Gerichtsnarren, dadurch Verletzung seines Schamgefühls, Amtsanmaßung und dreister Diebstahl. Das Klauen sei hirnlos, aber bewusst erfolgt. Durch den Verlust der Narrenkappe habe sich Rainer Vollmer wie nackt gefühlt, daher stelle der Diebstahl einen schweren Eingriff in seine ohnehin labile Persönlichkeit dar, so Thomas Warndorf. Zudem habe bestimmt jeder der Herren Lausbuben die Mütze wenigstens einmal aufgesetzt, wodurch es zu einer unerwünschten Durchmischung der Kopfläuse mit denen eines Gerichtsnarren gekommen sei. Geforderte Strafe: Die Herren Lausbuben dürfen bis Lätare nur Wasser trinken.

Das blieb nicht unwidersprochen. Fürsprech Michael Nadig zog alle Register, um seine Mandanten wieder ins rechte Licht zu rücken. Die Herren Lehrbuben hätten die herrenlose Gerichtsnarrenmütze an sich genommen, hätten sie gehegt und gepflegt und sogar die fehlende siebte Glocke ersetzt. Von einer Verletzung des Schamgefühls könne keine Rede sein, da Gerichtsnarr Vollmer ein solches nicht habe. Vielmehr sei er durch das Auftreten ohne Mütze des Exhibitionismus für schuldig befunden worden.

Rainer Vollmer verteidigte sich vehement, und auch Alwin Keller von den Zimmerern versuchte, die Herren Lehrbuben aus dem Würgegriff des Narrengerichts mit wohlgesetzten Worten zu befreien. Umsonst. Narrenrichter Jürgen Koterzyna hub an, das längste Urteil aller Zeiten zu verkünden. Die wichtigsten Eckpunkte: Die Herren Lehrbuben sind aufgrund ihres jugendlichen Alters noch nicht strafmündig, werden deshalb frei gesprochen und nicht verurteilt. Sie müssen aber Sozialstunden am »Schweizer Feiertag«, dem Stockacher Stadt- und Heimatfest, ableisten. So haben sie dafür zu sorgen, dass die Weingläser des Narrengerichts immer gut gefüllt sind. Die Zimmerer hätten sich der Verletzung der Aufsichtspflicht schuldig gemacht. Rainer Vollmer seinerseits muss die Häsordnung des Narrengerichts auswendig lernen. Damit er künftig auf seine Sachen besser aufpasst, ist er bei der Ausrichtung eines gemeinsamen Grillfestes für das Grillgut zuständig. So soll der Ordnungssinn der Gerichtsnarren gestärkt werden.

- Simone Weiß

Autor:

Redaktion aus Singen

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