Gegenseitiges Profitieren: Patenschaften mit Flüchtlingen
Menschlichkeit gegen Mauern

Foto: Geben und Nehmen: Isa Hohensteiner und Hagen Jonat mit ihrem afghanischen Patensohn Ahmad Siar Hassanzada. swb-Bild: sw
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Stockach (sw). Er hat ihnen Duzakan beigebracht. Sie ihm UNO. Kartenspiele aus dem jeweiligen Heimatland. Nur eine Nebensache. Aber keine nebensächliche. Denn auch das gemeinsame Spielen ist ein Schritt aufeinander zu. Ein Schritt zu Verständnis, Kennenlernen, Austausch. Der fällt dem Ehepaar Isa Hohensteiner und Hagen Jonat aus Konstanz und Ahmad Siar Hassanzada aus Afghanistan, der in der Gemeinschaftsunterkunft in der Zozneggerstraße in Stockach lebt, leicht.

Die Chemie stimmt. Von Anfang an: Hagen Jonat ist Mitglied der Samba-Gruppe »Samba-O«. Dort ist auch Sonia Steidle aktiv, die ehrenamtlich Flüchtlinge in Stockach betreut und ein gemeinsames Fest in der Zoznegger Straße organisierte. Bei dem Auftritt lernten sie sich kennen. Daraus ist eine Patenschaft entstanden, von der beide profitieren. Der 20-Jährige lernt Sprache, Kultur, Mentalität und Deutschland besser kennen, Isa Hohensteiner und Hagen Jonat werden mit der Flüchtlingssituation, dem Islam, dem Leben in Afghanistan vertraut gemacht: »Bei uns erlebt er den Westen live, und wichtig ist der Kontakt von Mensch zu Mensch. Patenschaften funktionieren ganz leicht – man muss nicht sein ganzes Herz dafür geben.«

Aber einen großen Teil geben die Pflegefachkraft in der Psychiatrie und der Softwareentwickler schon. Denn sie haben Ahmad Siar Hassanzada in ihr Herz geschlossen. Jedes zweite Wochenende verbringt er bei ihnen, die deutschen Feiertage erlebte er mit. Auch Weihnachten. Und konnte als einziger alle drei Strophen von »Oh Tannenbaum« auswendig. Die Toleranz der Religionen untereinander sei wichtig, erklärt der junge Mann, der dem muslimischen Glauben angehört und seit 19 Monaten in Deutschland lebt. Die Lage im Heimatland sei unerträglich gewesen, und da habe seine Mutter zu ihm gesagt, er solle sich auf den Weg machen.

Das hat er getan. Allein. Ohne seine Eltern und die beiden Schwestern. Ohne Gepäck. Nur mit dem, was er am Leibe trug. Zwei Monate war er unterwegs. Zuerst zu Fuß. Dann mit dem Auto. Landete in München. Und wusste es nicht. Er marschierte in eine Polizeistation: »Hamburg«, sagte er. Doch die Beamten erklärten ihm, er sei in München und brachten ihn zu einer Sammelunterkunft in einer Turnhalle. Zwei Wochen war er dort. Über Karlsruhe und Meßstetten landete er in Stockach. Voller Heimweh, Ängste und Sorgen, aber doch mit zupackender Zuversicht. Als er in München eine Gruppe Deutscher reden hörte, schnell, aufgeregt und laut, dachte er: »Diese Sprache lerne ich nie.«

Er lernte sie doch. Acht Monate lang hatte er in Afghanistan Englisch gebüffelt. Nun besorgte er sich ein deutsch-englisches Lehrbuch und paukte eine Fremdsprache mit Hilfe einer anderen fremden Sprache. Geholfen haben ihm der Besuch der VABO-Klasse (Vorbereitungsqualifikationjahr Arbeit und Beruf für Jugendliche ohne Deutschkenntnisse) am Stockacher Berufsschulzentrum und der Kontakt zu Isa Hohensteiner und Hagen Jonat. Für sie ist Ahmad Siar Hassanzada wie ein »afghanischer Sohn«. Ein Sohn, auf den sie stolz sind. Im September startet der junge Mann eine Lehre zum Fliesenleger bei Grathwohl in Stockach, und sein Traum wäre eine eigene Wohnung, ein bis zwei Zimmer, die er gerade in Stockach und Umgebung sucht.

Seine Paten haben ihm das Einleben erleichtert, aber viel hat er auch selbst dazu getan. So war er bei der Ansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Radolfzell mit dabei. Die meisten ihrer Worte hat er verstanden. Vor allem: »Wir können die Flüchtlinge nicht in eine ungewisse Zukunft zurückschicken.«

Wer Interesse an der Übernahme einer Patenschaft mit einem Flüchtling hat, kann sich bei Sonia Steidle unter der Telefonnummer 0151/17 83 59 78 oder soniasteid

- Simone Weiß

Autor:

Redaktion aus Singen

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