Gestalten über Kulturunterschiede hinweg
Kunst ohne Grenzen
Stockach. Der aus Zeitungspapier und anderen Materialien geformte Kopf sieht schon mal gut aus. Freundliches Gesicht. Strahlende Augen. Was wird‘s? »Ein Drache«, erklärt der sechsjährige Künstler aus dem Irak. Kurzes Nachdenken. »Ein Dinosaurier.« Woher weiß er, wie die ausgesehen haben? Dumme Frage: »Aus einem Film«. Klar. Sprachbarrieren müssen im integrativen Malkurs von Sonia Steidle im »Jugendkulturzentrum am Kreisel« (Jukuz) in Stockach nicht überwunden werden. Die vier Kinder aus der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge in der Zoznegger Straße sprechen hervorragend Deutsch.
Aber die Künstlerin, die in Orsingen-Nenzingen lebt und sich als Sprachpatenvermittlerin für Asylbewerber einsetzt, verfolgt auch andere als sprachliche Ziele mit ihrem Angebot - Kennenlernen, Abbau von Hemmungen, Aufeinanderzugehen, Kontakt, Kulturaustausch. Vier der Künstler sind Deutsche, vier haben Migrationshintergrund: »Kunst verbindet«, erklärt die sympathische Frau.
Immer wieder, erläutert Sonia Steidle, wurde sie in der Gemeinschaftsunterkunft heimlich und verschämt angesprochen: »Wir machen auch Kunst.« Und die erwachsenen Bewohner zeigten ihr dann Erstaunliches, Gemaltes, Geschaffenes, selbst Kreiertes. Die Expertin war angetan von dem, was da geleistet wurde - und kam auf die Idee, auch mit Kindern künstlerisch tätig zu werden. Denn zu erzählen haben die Sechs- und Siebenjährigen sehr viel - Erlebnisse im Heimatland, Erlebnisse im neuen Land, Erlebnisse von der Flucht. Das Einleben in Deutschland - erstaunlich schnell und problemlos scheint es bei diesen Kindern zu funktionieren. Und sie unterscheiden sich nicht von anderen Altersgenossen. Sind lebhaft. Neugierig. Wissensdurstig. Lebhaft. Temperamentvoll. Aber auf Nachfrage erzählen sie mehr. Von dem Leben auf engstem Raum einer ganzen Familie in einem einzigen Zimmer. Von den Gesprächen mit den Behörden. Von dem zermürbenden Warten auf die Antwort auf den Asylantrag. Manche Bewohner wurden zurück ins Heimatland gebracht, andere dürfen bleiben. Sie wissen nicht, wie es mit ihnen weitergeht.
Da möchte Sonia Steidle ein Stück Normalität bieten. Im geschützten Raum der Kunst, die keine Ländergrenzen kennt. Die Kinder aus dem Irak, Syrien und Afghanistan sind dabei. Und gestalten gerne. Dieser Kopf wird kein Drache oder Dinosaurier. Er hat eine andere Bestimmung: »Eine Katze.« Sieht man doch.Simone Weißweiss@wochenblatt.ne
- Simone Weiß
Autor:Redaktion aus Singen |
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