Doppel-Interview mit Christoph und Rainer Stolz
Kommunen sind eine „Erfolgsgeschichte“. Was braucht es, damit sie es bleiben können?

Nach dem Gespräch hatte Christoph Stolz den Eindruck, dass es „sehr negativ“ war, darauf erwiderte Rainer Stolz: „Nein, nur realistisch. Wenn man über Veränderungen redet, muss man realistisch anfangen. Sonst kommt man zu keiner Veränderung.“ | Foto: Anja Kurz
  • Nach dem Gespräch hatte Christoph Stolz den Eindruck, dass es „sehr negativ“ war, darauf erwiderte Rainer Stolz: „Nein, nur realistisch. Wenn man über Veränderungen redet, muss man realistisch anfangen. Sonst kommt man zu keiner Veränderung.“
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Die Kommunalpolitik des Landkreises war in diesem Jahr von einigen Wechseln in den Reihen der Bürgermeister geprägt. Viele langjährige Rathauschefs haben ihren Rücktritt angekündigt und teils bereits vollzogen. Zum 1. Januar 2024 wird sich auch Stockachs Bürgermeister Rainer Stolz aus seinem Amt verabschieden. Auf der anderen Seite steht sein Sohn, Christoph Stolz, der seit Juli dieses Jahres die Geschicke in der Gemeinde Bodman-Ludwigshafen leitet. Wie blicken sie auf den Status Quo in den Kommunen und wie kann es in den Gemeinden weitergehen? Zu diesen Fragen und dem Thema „Veränderung“ hat sich das Wochenblatt mit den zwei Bürgermeistern unterhalten.

WOCHENBLATT: Was bedeutet Veränderung?

Rainer Stolz: Veränderung ist ja kein fixer Punkt, sondern ein beständiger Prozess im Leben. Die Welt verändert sich laufend. Wenn man für Kommunen verantwortlich ist, muss man diese Veränderung wahrnehmen und sein Handeln darauf einstellen. Wenn Sie fragen, was ich am Anfang meiner Amtszeit 1993 gedacht und für richtig gehalten habe und was im Jahre 2023, da gibt es deutliche Veränderungen über diese lange Zeitspanne. Aber von heute auf morgen ist eher ein schleichender Prozess.

WOCHENBLATT: Ich sehe da schon Einspruch?

Christoph Stolz:
Nur eine Ergänzung. Veränderung ist die einzige Konstante im Leben, sagt man ja so schön. Natürlich ändert sich von 1993 bis 2023 viel, aber es ändert sich auch von gestern auf heute viel.

WOCHENBLATT: Rainer Stolz, was hat sich für Sie in Ihrer Amtszeit verändert?

Rainer Stolz: Persönlich hatte ich, wie alle Menschen, die jünger sind, einen sehr starken Glauben daran, dass man sehr viel bewegen kann, wenn man sich genügend einsetzt. Das ist nach 30 Jahren noch immer da. Aber wir haben uns im Laufe der letzten Jahrzehnte den Weg, eine wirkliche Veränderung und Verbesserung zu erreichen, immer mehr selbst zugebaut. Indem wir ein Maß an Perfektion fordern und auch juristisch absichern. Wir nehmen uns dadurch Handlungsfelder und Freiräume, die uns guttun würden. Das empfinde ich als Belastung für uns und für die künftige Generation. Wir werden immer komplizierter und immer formaler. Wir lassen keine Fehler zu. Es gibt dann keine Dynamik, keinen Mut mehr für Neues, das vom bestehenden Ablauf etwas abweicht. Sondern wir glauben immer, das ist schon alles so perfekt und es wird noch perfekter. Und in diesem Glauben schränken wir unseren Zielhorizont ein. Wir haben aber auch viel verändert, was zum Guten beigetragen hat.

WOCHENBLATT: Christoph Stolz, haben Sie solche Erfahrungen auch schon gemacht?

Christoph Stolz: Ich habe zumindest die Erfahrung gemacht, dass wir eine Tendenz dazu haben, die allgemeine Unsicherheit des Lebens verhindern zu wollen oder meinen sie ausschließen zu können. Wir suchen nach Schuldigen oder Verantwortlichen. Das hemmt dann am Ende oft diejenigen, die gestaltend tätig sein wollen.

Rainer Stolz: Schuld ist immer der andere, am liebsten die öffentliche Hand. Da ist niemand direkt und persönlich betroffen. Es ist ja auch im nachbarschaftlichen Verhältnis so. Die Bereitschaft zu akzeptieren, dass bestimmte Lebensrisiken da sind, die ist nicht mehr vorhanden. Wenn irgendwas passiert, ist immer jemand schuld. Es kann gar nicht sein, dass man sagt: „Ich bin gestolpert, ich hätte ein bisschen vorsichtiger sein können, dann wäre nichts passiert.“ Es findet sich immer was, um jemand andern dafür haftbar zu machen. Das ist eine Grundeinstellung, die aus meiner Sicht auch dazu beiträgt, dass es weniger Menschen gibt, die bereit sind Entscheidungen zu treffen. Jede Entscheidung hat ja zwei Seiten. Die eine ist im Idealfall eine Lösung für ein Problem, die andere ist oft auch eine Belastung für einen Dritten. Etwas für die Öffentlichkeit zu entscheiden, kann dann auch bedeuten, dass man persönlich für den „Nachteil“ eines Dritten Verantwortung übernehmen muss.

Christoph Stolz: Für mich sind es auch gar nicht unbedingt die Bürokraten, die mehr Bürokratie wollen. Jeder einzelne von uns trägt seinen Teil dazu bei, indem er stets auf seinem Recht beharrt. Das darf man ja auch, das ist in Ordnung. Aber bringt uns das als Gesellschaft weiter? Ist das die richtige Denkweise mit einer sich immer schneller verändernden Welt umzugehen? Oder brauchen wir nicht vielmehr eine gewisse Anpassungsfähigkeit, die den Menschen von je her ausgezeichnet hat? Müssen wir nicht auch wieder mehr mit Kompromissen leben? Wenn wir möchten, dass sich das verändert, muss jeder von uns seinen Teil dazu beitragen. Die Behörden leiden enorm unter den vielen Vorschriften, die sie zu verfolgen, zu beachten und zu wissen haben.

Rainer Stolz: Die Behörden allgemein würde ich so nicht sagen. Im kommunalen Bereich ist man sehr nah am Bürger und spürt, was reales Leben ist. Je weiter „oben“ Verwaltung und Rechtssetzung angesiedelt sind, desto weniger ist erfahrungsgemäß der Mensch mit seiner Lebenswirklichkeit im Blick, sondern die politischen und formalen Sachzwänge. Das hat in der Umsetzung oft sehr negative Auswirkungen. Die Gesetzgebung ist natürlich nicht per se schlecht. Sie neigt jedoch dazu, medial angeprangerte Missstände, die eine gewisse politische Dynamik entwickeln können, nicht gründlich genug zu hinterfragen, bevor ein weiteres Gesetz oder Verordnung dazu erlassen wird. Das ist unbefriedigend, weil es unser Handeln lähmt und das Zusammenleben auf eine juristische Ebene herunterzieht. Ist es heute noch möglich, dass wenn Nachbarn miteinander uneins sind, dass sie das einfach so stehen lassen? Nein, es ist offenbar nicht möglich. Sondern es werden Anwälte bemüht und vors Amtsgericht gezogen. Gewonnen hat dabei niemand, allenfalls die Kasse der Anwälte. Dies ist keine Entwicklung die plötzlich über uns hereingebrochen ist, sondern ist über die Jahrzehnte hinweg entstanden. Dies frustriert die Verantwortlichen in den Kommunen in hohem Maße, weil es uns damit nicht möglich wird, eine lebensnahe und pragmatische Lösung eines Problems zu erzielen.

WOCHENBLATT:
Sie haben gesagt, dass viel darauf ausgerichtet ist, dass Perfektion erreicht werden soll. Andererseits schließen sich Veränderung und Perfektion aus, weil etwas, das sich ständig verändert, auch nie perfekt werden kann.

Christoph Stolz: Das kommt auf die Definition von ‚perfekt‘ an. Ist etwas perfekt, wenn es nichts mehr hinzuzufügen gibt? Oder ist etwas dann perfekt, wenn ich keinen Bestandteil mehr weglassen kann? Für mich ist es eher das Letztere. Also etwas ist dann perfekt, wenn es eine gewisse Schlichtheit hat.

Rainer Stolz: Aber diese Perfektion erfordert die Akzeptanz der Menschen.

Christoph Stolz:
Richtig, aber die eine Perfektion kann ich erreichen, die Andere nicht, aus meiner Sicht.

Rainer Stolz:
Die erstere kann man nie erreichen, weil es immer weitergeht. Und das ist das, was uns kaputt macht, dass wir immer weitermachen und nicht innehalten.

WOCHENBLATT: Aber wie geht man damit um, als Bürgermeister?

Rainer Stolz:
Zunächst bietet das Recht sehr viele Handlungsmöglichkeiten. Es verlangt von uns, dass wir in einer bestimmten Weise arbeiten, sonst machen wir uns für die Gemeinde, politisch und persönlich angreifbar. Der Bürgermeister, der rechtswidrig handelt, wird also nicht lange in seinem Amt sein. Er kann überhaupt nichts umsetzen, was rechtwidrig ist. Das ist auch in Ordnung. Wir haben einen Eid geschworen, auf die Verfassung und auf die Rechtsordnung. Der Punkt ist nur: Wir merken, dass verschiedene Dinge perfekt auf dem Papier sind, in der Praxis aber nicht. Das heißt unsere Aufgabe wird sein, wenn möglich, die Anwendung dieser Regel für die Menschen tragbar zu machen. Das gelingt manchmal, wenn man keine eindeutige Rechtsfolge hat, die zwingend anzuwenden ist, sondern eine Bandbreite und Interpretationsmöglichkeiten. Zum anderen haben wir unsere Verbände. Ich bin im Städtetag im Vorstand und wir versuchen sehr oft schon bevor das Gesetz wirksam wird, auf die Schwachstellen hinzuweisen, wenn wir angehört werden. Wir machen Änderungsvorschläge, wie man es besser handhabbar machen könnte. Das wird nicht immer angenommen.

Christoph Stolz: Natürlich auch, weil uns Kommunen oft „vorgeworfen“ wird: „Es klappt doch. Ihr schaffts doch.“ In der Tat gelingt es den Kommunen auch immer wieder ihre Aufgaben zu erfüllen, dank ganz viel Kreativität, Engagement, kluge Entscheidungen und vielen Diskussionen. Dadurch wird man immer ein bisschen leicht als Mahner beiseite gewischt. Wir sind verdammt dazu, es hinzubekommen. Aber wenn das irgendwann nicht mehr geht, wird es kein schleichender Prozess sein, sondern ein Knall. Das zu verhindern ist dann auch wieder eine Aufgabe, welche nur die Kommunen wuppen können.

Rainer Stolz:
Wuppen müssen, am Ende. Wir haben ja keine andere Möglichkeit. Wir sind ja immer in Verantwortung. Dass wir jetzt als Kommunen nicht in dem gebotenen Maße ernstgenommen werden, liegt daran, dass wir immer wieder mahnen und es doch immer wieder schaffen. „Das Gesetz ist nicht so schlecht, wie ihr immer wieder sagt“, heißt es dann, und das ist einfach ein Irrtum. Die Belange der kommunalen Realität sind noch viel zu wenig präsent in den Ministerien und Parlamenten. Wir könnten sehr viele Dinge leichter, schneller, bequemer und verständlicher haben, wenn im Land eine Kommunalvertretung bei der Gesetzgebung mitsprechen würde, so wie der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren des Bundes. Weil wir dann die Praxis einbringen könnten. Aktuell werden wir angehört.

Christoph Stolz:
Oft ist das unsere Denke: Muss denn erst was passieren? Vielleicht müssen wir auch mal sagen: Ja. Und auch dann muss man sich immer noch fragen, ob es Sinn macht, diesen einen konkreten Einzelfall zu regulieren.

Rainer Stolz:
Anderes kleines Beispiel: In einer baden-württembergischen Stadt ist einmal beim Brandeinsatz ein Schlauch geplatzt. Dadurch ist ein Schaden entstanden. Das hat dazu geführt, dass fortan vom 1. des nächsten Jahres akribische Kontrollen des Schlauchzustandes und eine detaillierte Dokumentation dazu, nicht nur nach dem Einsatz, sondern auch nach den Proben, durchgeführt werden müssen. So etwas hat sofort Konsequenzen. Es wird nicht etwa darauf hingewiesen, dass man diesem Thema eine große Aufmerksamkeit schenken muss, sondern es gab ein umfassendes Regelwerk dazu. Das ist so ein kleines Beispiel dafür, wie wir einen Extremfall zum Standard werden lassen. Die Konsequenz ist, dass es immer komplexer wird, immer länger dauert und auch immer teurer wird.

Christoph Stolz: Und zwar in allen Bereichen, von den Erzieherinnen, den Lehrerinnen bis zu den Behörden. Ich kenne niemanden, der behauptet: „Wir brauchen noch mehr Gesetze.“ Trotzdem, es werden immer mehr. Der Prozess ein bestehendes Gesetz aufzulösen oder zu verschlanken, ist natürlich enorm mühsam. In dem Moment meldet sich natürlich dann der Einzelfall oder die Interessensgruppe, die sagt: „Für mich ist das im Einzelfall aber gut und sinnvoll.“ Völlig in Ordnung. Aber wir kommen so halt nicht voran.

Rainer Stolz:
Deshalb gibt es nun eine Entlastungsallianz (Anmerkung der Redaktion: Format zwischen Kommunalen Landesverbänden, Landesregierung und Wirtschafts- und Finanzverbänden zum Bürokratieabbau) und Versuche in der Gesetzgebung etwas von der Lebenswirklichkeit einfließen zu lassen. Solche Bemühungen hat es ja schon gegeben, leider bislang ohne viel Wirkung. Der entscheidende Punkt ist doch: Sind wir bereit und in der Lage diese Unterschiede und eine Lösungsbandbreite zuzulassen und zu akzeptieren? Dass es auch vor den Gerichten nicht zur Perfektion getrieben werden kann. Denn auch das gibt es, dass man Gesetze mit Öffnungsmöglichkeiten hat und die Rechtsprechung das zu einer Perfektion hin entwickelt und damit die gerade erst eröffneten Handlungsmöglichkeiten der Verwaltungen wieder einschränkt. Wenn das so weitergeführt wird, darf man sich nicht wundern, wenn niemand mehr bereit ist diese wunderbare Arbeit für unsere Bürger zu machen.

WOCHENBLATT: Wie sollte es weitergehen oder was muss sich verändern, damit die Kommunen wieder den Freiraum haben?

Christoph Stolz:
Ein Patentrezept gibt es meiner Meinung nach nicht. Unser Gedanke in Bodman-Ludwigshafen ist, dass wir mit all diesen Herausforderungen umgehen wollen, indem wir uns von der Betrachtung von Gegenwart und Einzelmaßnahmen lösen, in die Zukunft schauen und uns überlegen, wo wir eigentlich mit unserem Handeln hinmöchten. Das machen wir gerade mit dem strategischen Leitbild. Ich halte diese Debatte für enorm wichtig, weil unsere Spielräume kleiner werden. Also wird es in Zukunft auch Debatten geben müssen, was wir uns noch leisten können und diese Debatte birgt viel Emotionalität. Dafür braucht es eine Vision mit demokratischer Legitimation über Bürgermeister und Gemeinderat hinaus. Die Bürgerschaft muss artikulieren: Das ist das, was uns als Kommune, als Gemeinde ausmacht, dafür stehen wir, das sind wir. Und das hat dann ein Stück weit auch Priorität über andere Dinge.

Rainer Stolz:
Ich glaube jeder Bürgermeister hat eine Vorstellung davon, wie „seine“ Gemeinde aussehen soll. Wo Verbesserungspotenzial ist und wo nicht. Innerhalb der ersten Jahre wird man das zunächst im Hintergrund spüren und im Laufe der weiteren Arbeit wird sich das immer weiter verfestigen. Jetzt ist die Frage: Solch ein sehr lobenswertes Konstrukt, so eine Zielformulierung... Trägt das? Das ist die Kernfrage. Ich bin der Meinung, dass die Menschen sich dann, wenn es weh tut wieder streiten und sagen: „Dieses allgemeine Ziel, da bin ich dabei, bei der konkreten Umsetzung jedoch nicht. Da sind meine Interessen nicht genügend berücksichtigt worden.“ Und dann kippt das ganze System, weil man dann sehr viel Energie dafür braucht, Einigkeit über die konkrete Transformation herzustellen. Dann wird das ein jahrelanger Prozess und die Bevölkerung ist unruhig, manchmal gelingt es gar nicht. Ich finde es gut, dass man die Ziele, die Gedanken gemeinsam bearbeitet und formuliert. Nur klar ist, es wird auch dann wieder gestritten. Vielleicht kann man dann mit den allgemein gehaltenen Zielen Verständnis wecken, vielleicht auch nicht. Ich bin jemand, der gerne die Dinge umsetzt, die wir im Gemeinderat zusammen erarbeitet haben. Der Unterschied ist, dass nach dem Modell von Christoph Stolz alle miteingebunden sind und – theoretisch - nicht sagen können: Das ist nicht unsere Meinung.

Christoph Stolz:
Es geht mir vielmehr darum sagen zu können: Wir haben einen gemeinsamen Konsens erreicht. Das ist auch etwas, das einer Gemeinde guttut, wenn es darum geht, Zusammenhalt zu stärken, eine gemeinsame Identifikation aufzubauen. Es gibt dadurch einen gemeinsamen Nenner und wenn er noch so klein und abstrakt ist. Das halte ich für wichtig, weil es in all der Emotionalisierung, die es trotzdem geben wird, immer etwas ist, auf das man sich besinnen kann.

Rainer Stolz:
Für mich ist wichtig, dass wir wahrnehmen, wie die verschiedenen Stimmungen und Strömungen zu den einzelnen Projekten in der Bevölkerung sind. Deshalb: Sehr genau zuhören und sehr genau darauf aufpassen, was gibt es für Stimmungen dazu und warum sind die so? In der Goethestraße haben wir als Beispiel einen Parkplatz und eine Gewerbebrache mit einer Planung für eine verdichtete Wohnbebauung angepackt. Streitig war vor allem die Höhe eines Gebäudeteiles. Da wurde moniert „Stockach ist nicht New York“. Ein fünf- oder sechsgeschossiges Gebäudeteil ist aber wohl noch weit von New York entfernt. Es orientiert sich eher an allen Unter- und Mittelzentren im Lande. Aber es zeigt, dass sich manche Menschen in unserer Stadt noch immer nicht daran orientieren, wohin uns eine Planung mit Einfamilienhäusern alleine, führen wird. Das ist nicht mehr sach- und generationengerecht. Wir müssen verdichten. Und verdichten geht überraschenderweise meist nur nach oben. Wir müssen in der Innenstadt versuchen, alle bebaubaren Stellen zu nutzen, um trotzdem einen wunderschönen Stadtgarten im Zentrum unserer Stadt behalten zu können. Jetzt könnte man einwenden: Wir hatten doch das Ziel eine familienfreundliche Stadt zu sein. In diesem Projekt sind aber wenige Vier- und Fünf-Zimmer-Wohnungen. Wie lösen wir diesen scheinbaren Widerspruch? Es stellt sich dann die Frage: Wer baut diese großen Wohnungen und wer verkauft sie zu welchem Preis? Wir sehen heute einen Quadratmeterpreis für den Wohnungsbau von mindestens 4.000 oder 4.500 Euro. Den werden heute für eine so große Wohnung nur ganz wenige zu zahlen bereit sein. Das heißt, es wird nicht gebaut und daher auch nicht vermietet, weil es zu teuer ist. Das heißt auch: ich habe mein gemeinsam erarbeitetes Ziel erfüllt, aber auch nicht erfüllt, weil es nicht gebaut werden kann.

WOCHENBLATT: Was sagen Sie dazu?

Christoph Stolz: Im Grundsatz, sind wir uns natürlich einig, dass mit der reinen Formulierung von Zielen noch keines unserer aktuellen Probleme gelöst ist. Aber ich glaube es erweitert den Handlungsspielraum, wenn ich bei konkreten Forderungen und Erwartungen auf das dahinterliegende Interesse schaue und mir die Frage stellen kann, mit welchem Instrument, diesem Interesse bestmöglich und im Interesse der Allgemeinheit entsprochen werden kann.

Rainer Stolz: Ich glaube es ist eigentlich ein Unterschied in der Betrachtungsweise. Christophs Weg führt da hin, dass die Bevölkerung akzeptieren muss: Nicht jedes Mittel, das man vielleicht theoretisch hat, kann praktischerweise angewendet werden. Dann muss man auf eine andere Weise versuchen, dieses Ziel zu erreichen. Da habe ich Zweifel, dass das akzeptiert wird. Dann wird gesagt: „Ich kenne jemanden, der würde das dann ganz locker machen.“

Christoph Stolz: Und in Kommune XY gibt es das und da hat es geklappt.

Rainer Stolz:
Genau. Das ist wie bei Wohneinheiten, wo Familienverbände zusammengehen, die Mehr-Generationen-Häuser (Anmerkung der Redaktion: Großeltern, Eltern und Kinder wohnen zusammen). Das ist eine tolle Idee, nur sie funktioniert nicht. Sie funktioniert grade einmal, nämlich dann, wenn die drei ursprünglichen Familieneinheiten beieinander sind. Wenn einer wegbricht, funktioniert das System nicht mehr.

Christoph Stolz:
Das ist ja wieder ein Konstrukt, das sehr eng gefasst ist. So ist das Leben nicht oder zumindest nicht immer und das ist vermutlich das, wo wir uns dann schon einig sind: Der Weg muss sein, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit auch auf den Staat, auf die Kommune zu übertragen. Da müssen wir Mittel und Wege finden, wie wir agiler werden können. Aber dafür muss auch Recht und Gesetz agiler werden und das Anspruchsdenken der Leute muss sich verändern. Das ist auch ein Prozess, die Menschen ändern sich nicht von heute auf morgen, wenn nicht eine große Krisensituation sie dazu zwingt. Aber ich will ja nicht immer erst Krisen erleben müssen, die dann Veränderungen erzwingen. Es braucht aus meiner Sicht den Mut, Dinge bewusst so zu regeln, dass sie nicht den Anspruch haben, jeden Einzelfall zu lösen. Und das müssen wir dann auch aushalten. Ich glaube, das kann man den Menschen vermitteln. Und diese kleinen Fehler in unserem immer noch besten aller bestehenden Systeme auszuhalten und zu erklären, das ist dann die Aufgabe einer ehrlichen Kommunalpolitik.

Das Interview wurde geführt von Anja Kurz

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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