Udo Engelhardt übt Kritik an Leistungen des Stockacher Sozialpasses
Ist die »starke Karte« zu schwach?

Udo Engelhardt  | Foto: Udo Engelhardt, Kreisrat der »Grünen« und Vorsitzender der Tafeln im Kreis, wünscht sich einen Ausbau der Leistungsbewilligungen des Stockacher Sozialpasses. Mit höheren Unterstützungen könnten die Akzeptanz und Resonanz seiner Ansicht nach verbessert wer
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  • Foto: Udo Engelhardt, Kreisrat der »Grünen« und Vorsitzender der Tafeln im Kreis, wünscht sich einen Ausbau der Leistungsbewilligungen des Stockacher Sozialpasses. Mit höheren Unterstützungen könnten die Akzeptanz und Resonanz seiner Ansicht nach verbessert wer
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Stockach. »Starke Karte schwach genutzt« überschrieb das WOCHENBLATT in seiner Ausgabe vom Mittwoch, 14. Juni, seine Titelgeschichte über den Stockacher Sozialpass. Stimmt nicht, widersprach Udo Engelhardt, Fachbereichsleiter bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Singen, Kreisrat der »Grünen« und Sprecher des Arbeitskreises Armut der Liga der freien Wirtschaftspflege: Der Sozialpass sei keine starke Karte. Warum? Dazu äußerte sich der Vorsitzende der Tafeln im Kreis im WOCHENBLATT-Interview.


WOCHENBLATT: Der Stockacher Sozialpass ist Ihrer Ansicht nach also keine starke Karte?

Udo Engelhardt: Nein, denn im Vergleich zu anderen Kommunen im Kreis sind die Leistungsbewilligungen viel zu gering. Mit Blick auf das Freizeitbad Osterholz und das Hallenbad ist der Stockacher Sozialpass mit einem Einzeleintritt von einem Euro in beiden Bädern und 50 Prozent Ermäßigung auf Freibad-Jahreskarten gut. Doch bei allen anderen Säulen ist die Karte viel zu gering subventioniert. 30 Prozent Zuschuss für die Musikschule oder andere Anbieter musikalischer Bildung, Erstattung eines Drittels des Jahresbeitrags von Vereinen, 20 Prozent Zuschuss bei Landschulheimaufenthalten und anderen Ferienfreizeiten – das ist viel zu wenig. Zum Vergleich: In Konstanz werden 80 Prozent der Gebühren für die Musikschule, der Vereinsbeiträge und der Ferienfreizeiten ermäßigt. Da hat die Karte einen ganz anderen Charakter und Stellenwart. Und die Kreisstadt hat die Ausgaben für den Sozialpass von 327.000 auf 390.000 Euro im Jahr erhöht. Zudem bemüht sie sich, alle Zielgruppen wie Alleinerziehende oder Flüchtlinge in den Personenkreis der Nutzungsberechtigten mitaufzunehmen. Das ist wirklich eine starke Karte.

WOCHENBLATT: Aber auch mit den im Stockacher Sozialpass gewährten Vergünstigungen sind die Eintritte und Beiträge sehr gering. Diese Gebühren müssten doch zahlbar sein?

Udo Engelhardt: Ein erwachsener Hartz IV-Empfänger erhält zusätzlich zur Miete 409 Euro im Monat, von denen er Strom, Telefon, Essen, Kleidung, Möbel, Haushaltsgeräte, Reparaturen, usw. bezahlen muss. Zudem möchten die Menschen Rücklagen bilden oder sich vielleicht mal etwas Besonderes gönnen. Für Essen und Trinken sind für eine alleinstehende Person täglich 4,69 Euro berechnet. Da wären sogar zehn oder 20 Euro für eine kulturelle Veranstaltung oder eine andere Leistung, die nicht lebensnotwendig ist, eine hohe Summe.

WOCHENBLATT: Der Stockacher Sozialpass wird mit Blick auf die Ermäßigungen in den Bädern gut genutzt, doch die Nachfrage bei kulturellen Angeboten ist gering. Besteht vielleicht allgemein wenig Interesse an solchen Veranstaltungen?

Udo Engelhardt: Menschen mit geringem Einkommen müssen ihre Lebensverhältnisse mit wenig Geld regeln – und das ist schwer genug. Daher erkundigen sie sich gar nicht erst nach kulturellen Angeboten, da sie außerhalb ihres Lebenskreises liegen und sie es sich sowieso nicht leisten können. Hier muss aktiv auf die Menschen zugegangen werden. Menschen, die wegen ihres geringen Einkommens am Rand der Gesellschaft stehen, müssen in die Gesellschaft hereingeholt werden und das Gefühl bekommen, dass sie dazu gehören. Sie müssen eingeladen werden!


WOCHENBLATT: Wie könnten diese »Einladungen« aussehen?

Udo Engelhardt: In Radolfzell wurde auf Anregung von Kulturamtsleiterin Angelique Traczik vor einem Jahr eine Kulturtafel ins Leben gerufen, die sehr gut funktioniert. Bei kulturellen Veranstaltungen werden die Veranstalter und Agenturen mit der Bitte um Gratiskarten für sozial schwache Menschen angeschrieben, und in der Tafel werden Interessierte dann über diese Möglichkeit informiert. Denn die Mitarbeitenden dort kennen ihre Kunden und wissen, wer gerne an einer solchen Veranstaltung teilnehmen würde. Die Nachfrage und die Erfahrungen sind sehr gut. Die Gratiskarten werden an der Abendkasse hinterlegt und können unter Nennung des Namens dort abgeholt werden. Damit ist auch gewährleistet, dass sie tatsächlich in Anspruch genommen werden und nicht verfallen. In Konstanz und Singen bestehen vergleichbare Angebote oder es wird daran gearbeitet. Derzeit profitieren in Stockach ganz überwiegend die besser gestellten Menschen von den Ausgaben im Kulturetat. Da könnte eine »Kulturtafel« einen gewissen Ausgleich schaffen.

WOCHENBLATT: Was müsste die Stadt Stockach also tun?

Udo Engelhardt: Die gezahlten Leistungen müssen stark erhöht und der Kreis der Zielgruppen erweitert werden. Besonders wichtig wäre das für die Kinder und Jugendlichen bei den Vereinsmitgliedschaften, der Musikschule und den Freizeiten. Das wäre eine wichtige Investition in die Zukunft, und bei den aktuellen Zahlen im Stockacher Haushalt würden diese Mehrausgaben keinem weh tun. Schließlich würde damit auch ein wichtiges Signal an sozial Schwache ausgesandt. Ihnen würde gezeigt: »Wir wollen euch bei uns haben, und wir sind auch bereit, dafür etwas zu investieren. Ihr seid Teil dieser Gesellschaft.«

- Simone Weiß

Autor:

Redaktion aus Singen

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