Miteinander von Mensch und Tier: therapeutisches Reiten im Kinderdorf bei Wahlwies
Im Sattel ist plötzlich alles anders
Stockach. Jack tobt gerne wild und ausgelassen auf der Weide herum. Er ist aber auch ein kleiner Schmusekater und lässt sich gerne streicheln. Diese ruhigere, gelassene Seite kommt ihm bei seinem »Beruf« zu Gute. Jack ist eines der Therapiepferde in der Reithalle hinter dem Erlenhof beim Pestalozzi-Kinder- und -Jugenddorf in Stockach-Wahlwies. 15 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und 18 Jahren mit seelisch-emotionalen Problemen oder Verhaltensauffälligkeiten wie leichten Formen von Autismus oder ADHS kommen einmal pro Woche für eine Stunde zur Reittherapie hierher. Die Erfolge können enorm sein, erklärt Mitarbeiterin Laura König.
Die studierte Pädagogin mit berufsbegleitender Zusatzausbildung zur Reittherapeutin ist direkt in das Miteinander von Mensch und Tier, die Interaktion von Pferd und Reiter, das Zusammensein von Vierbeiner und Jugendlichem eingebunden. Sie achtet darauf, dass langsam Verbindungen aufgebaut werden - zwischen ihr und den Kindern, zwischen den Kindern und dem Pferd, zwischen den Pferden und ihr. Acht Tiere tummeln sich auf dem Reiterhof mit der nach allen Seiten offenen Reithalle, fünf davon sind Therapiepferde. Sie haben eine besondere Ausbildung durchlaufen, weisen Eigenschaften wie Zugewandtheit zum Menschen auf, beißen und treten nicht, hatten im Vorfeld keine Gewalterfahrungen. Diese Tiere müssen laut Laura König lernen, den natürlichen Fluchttrieb zu beherrschen und nicht zu erschrecken, wenn sie den Kindern auf dem Rücken Bälle zuwirft oder die Reiter Balanceübungen machen. Die Ausbildung, so die 34-Jährige, ist nie abgeschlossen: Therapiepferd, das ist ein lebenslanger Lernprozess.
Geduld braucht auch Laura König. Und die hat sie. Nicht jedes Kinder, erklärt sie, ist für die Reittherapie geeignet. Wer eine Pferdehaar- oder Tierhaarallergie, übergroße Angst vor großen Tieren und Herz-Rhythmusstörungen hat oder unter Epilepsie leidet, kommt für diese Therapieform nicht in Frage. Alle anderen werden langsam an die Tiere herangeführt, lernen zuerst die Pferde, dann die ganz besondere Umgebung in der Reitanlage kennen, bauen Berührungsängste ab, werden in die Pflege, das Putzen und Striegeln miteingebunden. Sobald sie es sich trauen, geht es ans Reiten, an der Longe, in der Gruppe oder auch im Einzelunterricht. Dabei lernen die Kinder und Jugendlichen viel, führt Laura König aus: soziales Verhalten, das Teilen von Aufmerksamkeit, die Verantwortung für und die Rücksichtnahme auf ein Tier, Einfühlungsvermögen, Empathie. Auch die motorischen Fähigkeiten, das Halten des Gleichgewichts und das aufrechte Sitzen im Sattel werden geübt, bei Erfolgen kommen Stolz und Selbstbewusstsein, bei Misserfolgen werden der Umgang damit und die Frustrationstoleranz geübt.
Wichtig ist für Laura König die enge Zusammenarbeit mit ihren Kollegen im Kinderdorf. Mit ihnen bespricht sie, welches Kind für die Reittherapie geeignet ist und wie die erzielten Fortschritte außerhalb des Reitstalls in den Alltag hinübergerettet werden können. Finanziert wird das therapeutische Reiten nach Angaben von Sabine Freiheit, im Kinderdorf für die Pressearbeit zuständig, größtenteils über Spenden, die aber teilweise längerfristig zugesichert sind. Laura König jedenfalls ist von ihrer Arbeit, der gewählten Therapieform und der Kinderdorf-Philosophie überzeugt. »Ich reite, seit ich laufen kann«, erklärt sie und dass vor 2,5 Jahren mit dem Job im Kinderdorf ein Traum für sie in Erfüllung ging. Ihre Arbeit mitten im Miteinander von Mensch und Tier ist ihr wichtig. Und Zeit für ein paar Schmuse-Einheiten für Jack bleibt auch noch. Simone Weiß
- Simone Weiß
Autor:Redaktion aus Singen |
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