Ivo Gönner mit politischen Botschaften und sozialdemokratischem Wahlkampf
Das Haus Europa hat viele Wohnungen
Stockach. Der Mann kann reden. Das steht völlig außer Frage. Ohne Stottern oder Wiederholungen, ohne »Ähs« oder Sprachpausen, ohne Durststrecken oder Hänger sprach Ivo Gönner über Politik, Kommunales und natürlich »seine« SPD. Der ehemalige Oberbürgermeister von Ulm, der sich 2016 nach drei Amtsperioden nicht mehr zur Wahl gestellt hatte, war auf Einladung des SPD-Stadtverbands unter der Führung von Wilfried Herzog nach Stockach gekommen, um als Gastredner aufzutreten und natürlich um Wahlkampf im Vorfeld der Bundestagswahl am Sonntag, 24. September, zu machen. Das machte er verhalten, en passant, quasi durch die Hintertür - aber er machte es. Dabei erschlug er seine Zuhörer nicht. Sein 45-minütiger Vortrag war eine Mischung aus amüsanten Anekdoten und knallharten politischen Inhalten, und in das durchaus salonfähige Hochdeutsch mischten sich immer wieder, bewusst eingesetzt, Dialektelemente des 1952 im oberschwäbischen Laupheim Geborenen.
Hätte die SPD mehr wie ihn in ihren Reihen, sie könnte unbesorgter der Bundestagswahl entgegen sehen. Denn Ivo Gönner ist ein Sympathieträger, und er weiß, dieses Image zu pflegen. Das Viertele Rotwein passt ebenso zu ihm wie die Zigarre, die er im Anschluss an seinen Vortrag schmauchte. Laster, die man ihm gerne verzeiht, weil sie einfach Teil seiner Persönlichkeit zu sein scheinen. Aber der Lebemann hat auch Inhalte: So rief er die Bevölkerung auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Es ehrte ihn, dass er nicht zur Wahl der SPD aufrief, sondern zum Urnengang ganz allgemein. Damit könne zum Ausdruck gebracht werden, dass Demokratie ein wichtiges Gut ist und dass sie in Deutschland ernst und wahr genommen wird. Alles Gerede von Bürgerbeteiligung sei Schall und Rauch, wenn das Recht zur Wahl nicht wahrgenommen werde. Eigentlich sei es eine Pflicht, so der Jurist in einem leidenschaftlichen Statement. Der Wahlkampf sei ein Wettbewerb - keine Schlägerei. Es gelte, sich mit Inhalten sachlich zu messen.
Eigentlich wäre das Thema der demografische Wandel in den Städten gewesen, doch Ivo Gönner hatte das Talent, dieses Thema ausgiebig auszuweiten. So kam er auch auf Europa zu sprechen - und eben die Europäische Union. Hier benutzte der Ex-OB den eingängigen Vergleich mit einem Haus: Europa sei keine Reihenhaussiedlung, in der sich jeder das passende Domizil aussuchen könne. Hier könne sich nicht jeder nehmen, was er wolle. Vielmehr sei Europa ein Haus mit vielen Wohnungen. Wohnungen mit unterschiedlicher Größe und Ausstattung, aber auch Wohnungen in einem gemeinsamen Gebäude, das jedem als Zuhause diene. Und in dessen Gemeinschaft sich jeder einbringen könne. Und für dieses Gebäude Europa hat Ivo Gönner eine wichtige Nachricht: »Wir müssen Europa wieder lieben lernen. In seiner Vielfalt und seinen Unterschieden.«
Dabei erteilte er auch sinnloser EU-Finanzierungswut eine schallende Ohrfeige: Es könne nicht sein, dass Geld ohne Sinn und Verstand in die Infrastruktur anderer Ländern gesteckt werde. In Spanien, so seine bewusste Übertreibung, habe fast jedes »Kaff« einen Flughafen - finanziert mit EU-Geldern. Das sei Nonsens. Wichtig sei es vielmehr, sinnvoll in die Infrastruktur zu investieren, damit diese Investitionen auch Blüten treiben könnten. Nur so werde das Haus Europa ein gelungener Bau. Keine Frage, der Mann kann reden.
- Simone Weiß
Autor:Redaktion aus Singen |
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