Die unvergängliche »Carmina Burana«
Alle Tonarten des Lebens
Stockach. Das pralle Leben in allen seinen Tonlagen in 80 Minuten gepackt! Die Höhen und Tiefen, die Aufs und Abs, die Launenhaftigkeit des Schicksals, das Wohl und Wehe von Erotik, Partys oder Spielsucht, die Vergänglichkeit des Glücks - all‘ diese Nuancen menschlichen Daseins in eingängige Melodien, einprägsame Noten, einfühlsame Rhythmen gepresst. Das Leben in seiner ganzen Pracht umfasst, umarmt, umgarnt die »Carmina Burana«. Das Meisterwerk von Carl Orff, seine Neuinszenierung von 24 Texten einer mittelalterlichen Handschrift aus dem Kloster Benediktbeuren, inszenierten das Sinfonische Blasorchester Stockach und die Stadtharmonie Winterthur-Töss unter dem Dirigat von Helmut Hubov gekonnt, traditionell und routiniert in der ausverkauften Jahnhalle. Die Aufführung gefiel vor allem im Zusammenspiel mit »Alpha-capella«, dem offiziellen Chor der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur, der unter der Stabführung von Tenor Paolo Vignoli aus Studierenden, Mitarbeitenden und externen Freunden des Gesangs besteht.
Der Anfang - die pure Gänsehaut. Die stakkatoartigen, sich in den Geist einhämmernden, mit Paukenschlägen begleiteten Chorklänge der »Fortuna Imperatrix Mundi«, der Schicksalsgöttin als Kaiserin der Welt, nehmen sofort gefangen. Oft für Werbezwecke missbraucht, hat vor allem der Freude an der Hymne, der diese kommerziellen Nutzungen hinter sich und sich ganz auf den Musikgenuss einlassen kann. Das lohnte sich in der Jahnhalle! Sauber intoniert, musikalisch stark, mit gewaltigem Klangkörper brachten die Ausführenden die uralten und doch ewig jungen Melodien der »Carmina Burana« zu Gehör - das Anrufen der Schicksals- und Glücksgöttin, wandelbar wie der Mond, das Erwachen des Frühlings, den trügerischen Hype knisternder Liebeslust. Die Gefahren von Alkohol und ausgedehnten Feten stellte Bariton Markus Volpert sogar szenisch dar, indem er schwankend schauspielernd auf die Bühne wankte.
Das war eines der wenigen szenischen Elemente der Aufführung. Carl Orff hatte sein Werk als »szenische Kantate« bezeichnet, doch die Stockacher Aufführung beschränkte sich, hier ganz dem Mainstream verpflichtet, auf die konzertante Präsentation. Die Ensembles ließen die Musikgewalt, die Popularität der Kompositionen, die leichte Eingängigkeit für sich sprechen und nutzten die kraftvolle Schlichtheit der Notengebung des Werks, das abseits von verschlungenen, kunstvoll gewundenen Notenpfaden auch Nicht-Klassik-Freunde zu begeistern weiß. 1937 in Frankfurt am Main uraufgeführt hat »Carmina Burana« nichts von ihrer Frische, ihrer Aktualität, ihrem Zauber verloren. Denn ihr Thema ist unvergänglich und unsterblich - das Leben an sich. Schade war nur, dass trotz begeistertem Applaus keine Zugabe gegeben wurde und die Ausführenden sang- und klanglos hinter der Bühne verschwanden. Nochmals die »Fortuna Imperatrix Mundi« - das Publikum wäre selig gewesen.
Der nächste Auftritt der Stadtmusik Stockach ist am Samstag, 22. Dezember, um 20 Uhr in der Jahnhalle Stockach beim »Weihnachtskonzert«.
- Simone Weiß
Autor:Redaktion aus Singen |
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