Podiumsdiskussion in Stockach: Schlagabtausch der Bundestags-Kandidaten
AfD-Mann Schwaebsch wirft Jung nicht geleisteten Wehrdienst vor
Stockach. Manche mögen‘s heiß. Sie kamen zumindest zeitweise auf ihre Kosten. So kochte die Stimmung kurz hoch, als der AfD-Bundestagskandidat Walter A. Schwaebsch dem CDU-Bundestagsabgeordneten Andreas Jung vorwarf: Er habe es sich einfach gemacht, denn er sei nicht bei der Bundeswehr gewesen. Dieser Angriff rief wiederum Martin Schmeding, Kandidat der »Grünen«, auf dem Plan: Er maßregelte den Mann von der Alternative für Deutschland, denn Walter A. Schwaebsch würde mit Zahlen und Fakten um sich werfen, ohne dafür Quellen zu nennen. Michael Vollmer, der die Podiumsdiskussion der sechs aussichtsreichsten Kandidaten um ein Mandat im Deutschen Bundestag im Bürgerhaus »Adler Post« in Stockach moderierte, nahm das zum Anlass unparteiisch-klärend einzugreifen: Dem AfD-Mann untersagte er persönliche Angriffe, dem »Grünen«-Kandidaten teilte er mit, die von Walter A. Schwaebsch genannten Zahlen seien belegt und würden aus dem Hamburger Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« stammen. Andreas Jung ließ sich durch die Attacke nicht aus der Ruhe bringen: Er habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass er nicht bei der Bundeswehr gewesen sei. Aber er habe sich bei kompetenten Experten informiert, die sich im deutschen Heer auskennen würden. Daher könne er sich auch zu diesem Thema äußern.
Manche mögen‘s heiß. Sie kamen bei der von der Kolpingsfamilie und der evangelischen Erwachsenenbildung im Stockacher Bürgerhaus »Adler Post« initiierten Podiumsdiskussion kurzzeitig auf ihre Kosten. Doch in weiten Passagen verlief die Debatte sachlich-informativ, wozu auch Michael Vollmer beitrug. Sein eigenes SPD-Parteibuch merkte man ihm nicht an - er war um Neutralität und Objektivität bemüht, stellte provokative Fragen, kümmerte sich redlich um die Einhaltung des zweiminütigen Sprechlimits und sorgte für eine sachliche Atmosphäre. Fragen zur Flüchtlings-, Außen- und Sozialpolitik galt es zu beantworten. Schade war nur, dass durch die breiten, kontrovers diskutierten Themenkomplexe die für zwei Stunden angesetzte Veranstaltungszeit fast aufgebraucht wurde, somit nur noch etwa zehn Minuten Zeit für Fragen aus dem Publikum blieben und die Zahl der Fragenden harsch begrenzt werden musste.
In der Frage nach dem Umgang mit den Flüchtlingen vertraten die Kandidaten die Haltung ihrer Partei: Eine klare christliche Lösung des Flüchtlingsthemas, das »Ja« zum Familiennachzug und zur Integration vertrat Martin Schmeding von den »Grünen«. Der Libanon mit etwa zwei Millionen Einwohnern habe als armes Land eine Million Flüchtlinge aufgenommen, betonte Simon Pschorr von »Der Linken«. Da könne das reiche Deutschland nicht hintenan stehen. Und Walter A. Schwaebsch von der »Alternative für Deutschland« (AfD) meinte, von 280.000 Migranten, die 2016 nach Deutschland gekommen seien, wären nur 905 berechtigte Asylsuchende. Tassilo Richter von der FDP wies auf die vier Türen hin: Die Türen Asyl, Flüchtlinge und benötigte Fachkräfte müssten offen stehen, im Gegensatz zur Tür illegale Zuwanderung. Tobias Volz von der SPD sprach sich für ein weiteres Vorantreiben der Integration und ein Einwanderungsgesetz aus. Andreas Jung von der CDU erklärte, die Grenzöffnung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Zuzug von gut einer Million Flüchtlinge 2015 sei ein Gebot der Humanität gewesen. Doch das solle sich nicht wiederholen. Wichtig sei eine gesamteuropäische Lösung, die Bekämpfung von Fluchtursachen und der Aufbau der Herkunftsländer. Simon Pschorr konterte daraufhin: Merkel habe keine Fluchtursachen, sondern Fluchtwege bekämpft.
Zum Thema Überregulierung und zu hohe Bürokratisierung sprach Moderator Vollmer gezielt den Liberalen an. Tassilo Richter schlagfertig: »In den letzten vier Jahren konnten wir leider wenig umsetzen«. Doch dann sprach er sich auch für klare Zuständigkeiten und eine Testphase für in Kraft getretene Gesetze quasi als Praxistest aus. Bei außenpolitischen Fragen lautete das Allheilmittel fast aller Parteien - »Europa«. Die Europäer müssten die Dinge selbst in die Hand nehmen, so Andreas Jung. Nur Walter A. Schwaebsch sprach von einer dirigistischen Regulierung durch die EU und verglich sie mit dem Politbüro aus kommunistischen Ostblockzeiten. Eine Formulierung, die sich Andreas Jung verbat.
Auch die Sozialpolitik war ein Thema. Walter A. Schwaebsch (AfD) verwies auf eine Armutsquote von 16 Prozent in Deutschland, und bei Angela Merkel gelte: »Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht.« Tobias Volz (SPD) hob den in der Großen Koalition auf Betreiben der SPD eingeführten Mindestlohn von 8.50 Euro in der Stunde hervor. Allerdings würde es hier noch zu viele Ausnahmen geben. Er sprach sich für eine Reichensteuer ab einem Einkommen von 250.000 Euro im Jahr aus. Simon Pschorr (Die Linke) wollte eine Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro, und Tassilo Richter (FDP) empfahl eine Abschaffung des »Soli« 2019 als Sofortmaßnahme. Martin Schmeding (»Die Grünen«) prangerte die drohende Altersarmut an und verlangte eine Definierung der Mindestrente und eine Bürgerversicherung für alle. Andreas Jung (CDU) führte an, die Regierung habe die Arbeitslosenzahlen von 10.000 Personen im Kreis Konstanz auf nun 5.000 halbiert - was dem Bundestrend entsprechen würde. Einer Meldung aus dem Publikum, die Arbeitslosenstatistiken seien geschönt, entgegnete er, die Zahlen würden vom Arbeitsministerium kommen. Und das ist mit Andrea Nahles SPD-geführt.
In einer Schlussrunde hatte jeder Kandidat einen Satz, um zu antworten. Was am dringlichsten zu regeln sei, wollte Michael Vollmer von Andreas Jung wissen. Noch mehr Menschen in Arbeit zu bringen, war die Antwort. Die SPD möchte Martin Schulz als Kanzler sehen - warum, so die Fragen an Tobias Volz: Weil er als pragmatischer, klar denkender, sich klar ausdrückender Mann eine Chance verdient habe, das Land als Kanzler zu regieren. Walter A. Schwaebsch wurde auf das Zitat seines Parteikollegen Alexander Gauland angesprochen, die stellvertretende SPD-Vorsitzende, Staatsministerin und Integrationsministerin Aydan Özoguz müsse in Anatolien »entsorgt« werden. Darauf meinte Walter A. Schwaebsch, der SPD-Politiker Johannes Kahrs habe 2013 auch gesagt: »Wir wollen ja alle die Merkel entsorgen und besser regieren.« Michael Vollmer hielt seine Frage damit für nicht beantwortet, was der AfD-Mann bestritt.
Am Ende blieb in der voll besetzten »Adler-Post« wenig, zu wenig Zeit für Publikumsfragen. Doch in den über zwei Stunden hatten die Besucher Gelegenheit, O-Töne von den Vertretern der sechs wichtigsten Parteien zu hören und sich einen Eindruck von den Kandidaten für den Deutschen Bundestag zu machen. Eine wichtige Veranstaltung, da sie einen direkten Vergleich von Persönlichkeiten und Positionen erlaubte und damit eine fundierte Wahlentscheidung für die Bundestagswahl am Sonntag, 24. September, ermöglichte.
- Simone Weiß
Autor:Redaktion aus Singen |
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