Rund 300 Teilnehmer bei Kundgebung in Steißlingen
Für Demokratie und eine freie und offene Gesellschaft eintreten

Foto: Oliver Fiedler
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Steißlingen. Rund 300 Teilnehmer fanden sich bei einer Kundgebung für Demokratie und eine freie Gesellschaft am Samstagvormittag, 17. Februar, vor dem Rathaus in Steißlingen ein, um damit ein gemeinsames Zeichen zu setzen.

Manche meinten zwar, es hätten noch viel mehr sein sollen, angesichts von inzwischen 5.000 Einwohnern in der Gemeinde. und  trotzdem wurde dieses gemeinsame Zeichen, das Mahnung und auch der Verweis auf gelingende Integration war, als klares Zeichen gesetzt und vor allen den vielen gedankt, die hier hergekommen waren, und die auch gesprochen hatten, mit zum Teil auch ganz persönlichen Statements. Organisiert wurde diese Kundgebung durch die Altpfadfinder Steißlingen unter der Leitung von Willi Streit, die auch die ganzen Ordner für die Veranstaltung stellen.

"Demokratie ist kein Selbstläufer" machte Willi Streit denn auch in seiner Begrüßung deutlich, er sieht sie durch die aktuellen fremdenfeindlichen Tendenzen in der Gefahr, unterwandert zu werden. Dies verband Streit mit dem Wunsch, dass sich bei den anstehenden Wahlen möglichst viele Menschen engagieren. Gerade jetzt, zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes sollte man stark dafür eintreten, denn diejenigen, welche dieses schwächen wollten, seien laut und aktiv. "Wir alle sind jetzt gefragt und gefordert", unterstrich Streit. Auch hier in Steißlingen werde deutlich "Wir sind mehr", freute sich Streit über die Resonanz. In der einstündigen Kundgebung wurde durch die Redner deutlich gemacht, die Steißlingen sind. 

Bürgermeister Benjamin Mors zeigte sich auf der einen Seite besorgt über Ideen, die den Rechtsstaat ins Wanken bringen wollten. "Wir wollen hier einen Beitrag setzen, um zu zeigen, dass das nicht funktioniert. Wir zeigen heute hier im beschaulichen Steißlingen, dass es auch im ländlichen Raum keine klare Haltung gibt, 79 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager und dem Kriegsende, die heißt "Nie wieder!"  Man brauche in dieser Zivilgesellschaft den Respekt voreinander, auch vor Meinungen der anderen, so Mors, der auf die vielfältigen Polarisierungen gerade in "sozialen Netzwerken" anspielte. "Wir sollten in allen Dingen einen gemeinsamen Nenner finden können und zuhören können." Es gehöre zu den Aufgaben auch dazu, dass Politik besser kommuniziert werde, um damit auch gegen ein Erstarken der extremistischen Ränder der Gesellschaft aufzufangen. "Hass und Hetze kann die das Leitmotiv von politischen Entscheidungen sein", so Mors. "Steißlingen sagt mit dieser Kundgebung klar: "Kein Platz für radikales Gedankengut und kein Platz für die Feinde der Demokratie."
Als nächster Redner kam Alexander Diran Arpaci ans Rednerpult, der erst seit kurzem in Steißlingen lebt, als Sohn einer Ostdeutschen Mutter und eines türkischen Vaters in Berlin-Kreuzberg aufwuchs, sich nie als Ausländer fühlte, dem aber doch das Gefühl gegeben wurde, ein "Türkenkind" zu sein, obwohl er in Berlin sein Abitur gemacht hatte. Heute sei er dankbar über die vielen Chancen, die ihm gegeben worden seien und dass es viele Menschen gegeben hätten, die an die glaubten. "Es hat sich gelohnt", meinte er. "Migration ist ein Mehrgenerationenprozess", sprach er aus. Fehler, die begangen wurden, bräuchten auch mehrere Generationen, um ausgeglichen zu werden. Da gebe es auch keine vermeintlich einfachen Lösen, sprach er aus eigener Erfahrung.  Er sei dankbar, dass seine Kinder hier aufwachsen dürften in Partizipation und Teilhabe, unterstrich er.
Dr. Ulrich Banhard, der in seiner Freizeit auch in der örtlichen Flüchtlingshilfe tätig ist, unterstrich die gute Erfahrung, die er als "Ausländer" bei seinem Studium in Italien gemacht hatte. "Eine offene Gesellschaft" sei für ihn immer Selbstverständliches gewesen und er sei hier, um diese Werte zu verteidigen.

Farid Rasouli, der mit 15 Jahren im Herbst 2015 aus Afghanistan geflohen war, nutzte die Kundgebung, um hier für die Aufnahme in der Familie Bichsel als Pflegefamilie zu danken, die ihn aufgenommen und begleitet hatte. Er hat eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner in der Baumschule Ammann gemacht und ist gegenwärtig auf dem Meisterkurs an der Uni Hohenheim. Er hat damals seine Heimat verlassen müssen, weil es unmöglich gewesen sei, dort noch eine Meinung zu äußern.
Frederik Metz sprach als Vertreter des Jugendrats in der Gemeinde: "Wir wollen weiter eine offene Gesellschaft haben, in der jeder willkommen ist", unterstrich er. Dass es in Steißlingen noch eine dunkle Geschichte hat, die aufgearbeitet werden sollte, machte der in Steißlingen lebende Künstler Robert Zimmermann, der, Jahrgang 1928, einer der letzten Zeitzeugen der damaligen Gräuel war, deutlich. Er erzählte, wie er als Schüler unter anderem eine Szene beobachtete, als ein Mob vor dem Steißlinger Rathaus eine "Polenhure" vorführte und im Jahr 1940 durchs Dorf getrieben haben. 

Markus Stich, eigentlich einer der Macher im TuS Steißlingen, sprach als Privatperson. Denn er habe sich als junger Mensch seinen Eltern ein Versprechen gegeben. Damals hätten sie ihm gestanden, dass sie aus Angst damals nichts gegen die Nazis unternommen hätten, die gerade die Macht ergriffen: "Wenn so was in Deutschland wieder bevorsteht, werde ich nicht Duckmäuser und werde mitmachen im Protest, was da kommen könnte", sagte er. Und das tue er hier nun.
Pfarrerin Martina Stockburger, schloss die Kundgebung: Es gelte aufzustehen, um deutlich zu machen, dass die Meinung derer, die hier "Unsagbares" wiederholen wollten, nicht mehr Mehrheit widerspiegele. Das gebe schon das Grundgesetz vor, nach dem die Würde des Menschen unantastbar sei. Und gelte jedem Menschen. "Wir stehen hier, weil wir nicht warten wollen, bis es zu spät ist."

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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