Antworten im Vorfeld des Politischen Aschermittwoch
Wie wollen wir im neuen Jahr richtig handeln?
Was haben wir uns für das neue Jahr alles vorgenommen? Wer will nicht zum besseren Menschen mutieren? Antworten gibt es dazu schon im Vorfeld des Politischen Aschermittwoch des Wochenblatts. Was der Pfarrer und die Politologin auf meine Fragen sagen, hat mich stark beeindruckt. Wo soll es also langgehen? Wer zeichnet uns den Weg vor? Die evangelische Kirche schreibt im Internet: „Ethik (griech.: Ethos = Sitte) ist die Lehre von den sittlichen Pflichten eines Menschen. Sie geht u. a. der Frage nach, welche Maßstäbe für Christen verbindlich sind, was sie vor dem Hintergrund ihres Glaubens tun bzw. lassen sollen.“ Das mag die Lehrmeinung für die Theorie sein, aber wer definiert heute für die Praxis in Staat und Gesellschaft, was ethisch richtiges Handeln ist? Der Radolfzeller Pfarrer Christian Link hat mich mit seiner Antwort darauf beeindruckt:
„Es gibt tatsächlich nicht eine Institution, die für alle verbindliche Regeln aufstellt. Auch die evangelische Kirche tut das nicht für ihre Gläubigen, sondern die Gläubigen setzen sich in ihren Gremien und Synoden zusammen und überlegen, diskutieren und beraten, wie Antworten auf bestimmte ethische Fragestellungen sein können. Dies kann dann ein Impuls für die ganze Gesellschaft sein, oder auch eine Minderheitenmeinung.
Dies ist gutes evangelisches Vorgehen. Wir haben eben keine Lehrmeinung, also jemand, der uns vorschreibt, was wir zu glauben haben. Wir müssen uns schon selbst Gedanken machen. Was das dann im Einzelnen heißt, das muss immer wieder neu diskutiert und abgewogen werden. Dabei hoffe ich, dass wir den Konsens der Menschenwürde, der Grundrechte und der 10 Gebote nie verlassen. Wobei das ja auch nicht so einfach ist. Ist nun jemanden Sterben lassen schon Sterbehilfe oder vielleicht sogar Tötung auf Verlangen? Oder ist jemandem, der selbst nicht mehr entscheiden kann eine Magensonde zur Ernährung einzusetzen Körperverletzung? Oder ist die religiöse Pflicht der Beschneidung stärker als das Recht nach körperlicher Unversehrtheit? In vielen Feldern werden wir in den nächsten Jahren noch spannende Diskussionen erleben, weil religiöse Begründungen immer weniger gesellschaftlich anerkannt werden. Aber ich freue ich auf den Diskurs. Denn nur im gemeinsamen Ringen, Diskutieren und Beten kommen wir zu guten Entscheidungen und tragfähigen Kompromissen.“
Ich habe weiter gehohrt: „Immanuel Kant hat mit seinem Kategorischen Imperativ einen Maßstab zur Objektivierung von Wertvorstellungen vorgegeben. Ist es aber heute nicht so, dass das individuelle Verhalten immer mehr der Beliebigkeit unterworfen wird?“ Pfarrer Christian Link formuliert seinen Ansatz zur Toleranz: „Wir können aber auch sagen, dass der Reichtum an Lebensentwürfen nie so groß war in unserer Gesellschaft. Das auszuhalten und zu tolerieren ist manchmal zwar anstrengend und mühsam, aber ein großes Geschenk, wie wir so viel Freiheit noch nie hatten in unserer Geschichte. Bisweilen macht aber genau das Angst, weil unterschiedliche Lebensentwürfe ganz nahe zusammenrücken. Und da wird auf einmal das Kopftuch zum Symbol für Unterdrückung. Mir wäre beim Kopftuch lieber, wir kämen zu einer Haltung, die sagt: „Es kommt eher drauf an, was im Kopf ist, nicht, was auf dem Kopf ist.“
Andererseits verlieren wir durch die Vielzahl an Lebensentwürfen eben auch den Konsens. Wir verlieren das Feiern gemeinsamer Feiertage, gemeinsamer Traditionen, gemeinsame Symbole, Riten, Lebensabläufe. Wir bekommen aber auch einen Reichtum an Bräuchen, Traditionen, Symbolen. Wir müssen aber immer mehr lernen und werden immer mehr mit Unbekanntem konfrontiert. Das ist anstrengend, braucht Toleranz und kann Abwehrreaktionen hervorrufen. Wenn dann noch Dummheit dazu kommt, die Instrumentalisierung von Ängsten, die Gier nach Macht, wird es sehr schwierig. Spannender wird es auf jeden Fall, aber sicher nicht einfacher.“
Darüber, wie sich diese demokratische Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg stabilisiert hat, denkt auch die Konstanzer Professorin Dr. Natalie Behnke nach: „Im demokratischen Deutschland musste sich auch eine politische Kultur etablieren, die diese Institutionen mit Leben füllte und die Ämter mit Personen besetzte, die im Sinne der demokratischen und rechtsstaatlichen Verfassung handelten. Diese politische Kultur in Deutschland zu etablieren, war der langwierigere Prozess. Aber über das Zusammenspiel von Wahl und Repräsentation, pluralistischer Meinungsbildung und –vertretung, einer breiten Medienlandschaft, föderal gegliederten Parteien und Parlamenten, die als Schule der Demokratie wirkten sowie, nicht zu vergessen, den Aufbau eines öffentlichen Dienstes, der – im Gegensatz zu seinen historischen Vorgängern – fest auf dem Boden der Demokratie stand, hat sich diese Kultur im Laufe der Jahre durchgesetzt und bietet meines Erachtens mittlerweile einen fast stärkeren Schutz gegen potenzielle Gefährdungen der Demokratie als unsere institutionelle Ordnung.“
„Hat das gereicht?“, frage ich nach. “Ich denke da nicht nur an Adenauers Spiegel-Affäre und Kohls Parteispenden-Skandal. Da waren die Medien endgültig zur vierten Gewalt geworden. Wer aber fixiert heute die Grenzsteine gegen Machtmissbrauch?“ Dr. Nathalie Behnke kontert in Ruhe und Gelassenheit: „Das System funktioniert doch. Manchmal dauert es etwas länger, aber Skandale werden in Deutschland aufgeklärt, die Öffentlichkeit und die Medien empören sich zuverlässig darüber und in der Regel ist die Karriere der Sünder dann auch beendet oder zumindest nachhaltig beschädigt. Trotzdem bin ich der Meinung, dass allein die Angst vor Entdeckung keine hinreichende Motivation für anständiges Verhalten sein kann. Natürlich wissen wir alle, dass Gelegenheit Diebe macht und dass Macht korrumpiert. All dies kommt tagtäglich vor, und wo wir es entdecken, sind wir zu Recht entrüstet. Andererseits könnte man auch einmal fragen, warum es trotzdem noch Einzelfälle bleiben, warum die große Mehrheit der Menschen, die im System arbeiten, sich eigentlich bemühen, ihren Job einfach gut zu machen. Und hier würde ich sagen: weil sie so sozialisiert wurden. Die Rolle der Sozialisation zur Internalisierung von Normen kann gar nicht überschätzt werden, und diese Sozialisation vollzieht sich allerorten, zu Hause, in der Schule, durch die Zeitungslektüre, später in der Partei, oder in der Verwaltung, durch Vorbild, Kontrolle, Ge- und Verbote. Also, wenn wir alle unmoralische Menschen in dem Sinne wären, dass wir schlicht nicht fähig sind, uns im kantischen Sinne aus Prinzip an die Regeln zu halten, dann könnte auch die beste institutionelle Schutzmaßnahme nicht dafür sorgen, dass das System funktioniert.“
Von Hans Paul Lichtwald
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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