Wehte da der Geist einer anderen „Hochschulreform“?
Vor 50 Jahren startete Konstanzer Universität

Die Gymnasien in unserer Region entlassen seit Wochen wieder die besten Abiturientenjahrgänge aller Zeiten. Da „nullt“ es wieder allenthalben, wenn die Reifeprüfung wieder Einser mit Nullen als Erfolgsgeschichte verkünden kann. Das muss alles eingeordnet werden, wenn zum gegenseitigen Schulterklopfen angesetzt wird. Woher die Festredner nehmen und nicht stehlen? Vor 50 Jahren startete die Konstanzer Universität. Festredner von dort sind selten geblieben. Darüber lohnt es sich nachzudenken, zumal das klassische Thema „Von der Schule zur Universität“ 1970 mit einer klassischen Bauchlandung am Singener Hegau-Gymnasium endete. Um die Bedeutung dieser Anekdote mit Professor Peter Hemmerich (1967 – 1981) zu verstehen, muss man erst einmal kräftiger ausholen.

In der Singener „Sonne“ hatte Ministerpräsident Curth Georg Kiesinger 1960 am Rande eines Empfangs die frohe Botschaft für die Region verkündet: Konstanz bekommt eine Universität! Der Start in die Region und die Integration in die Landschaft sollte sich schwerer als gedacht erweisen. Vor 50 Jahren begann der spätere Rektor Gerhard Hess als Vorsitzender des Gründungsauschusses der Konstanzer Uni mit seiner Arbeit. In wenigen Jahren eskalierte der Grundordnungsstreit zwischen dem Land und der Universität. 1974 ernannte Kultusminister Wilhelm Hahn den früheren Singener Oberbürgermeister Theopont Diez zum Landesbeauftragten, der den anfahrenden Zug wieder auf sichere Gleise brachte. Heute stellt sich die entscheidende Frage neu: Wieviel Reform sollte es in Konstanz wirklich sein? Im Grundordnungsstreit ging es zu Beginn der 70er Jahre vor allem um die Drittelparität, die Berufungspraxis für Ordinarien und letztlich um die Demokratisierung des ganzen Bildungssystems. „Der Muff unter den Talaren“ war zur Kampfparole geworden. Aber wie weit hatten sich alte Seilschaften aus brauner Vergangenheit in den neuen Strukturen wieder gefunden? Die Studentenunruhen, der SDS, der Kampf gegen Berufsverbote bildeten ein so gewaltiges Szenarium, dass eine Menge unter manchen Talaren versteckt werden konnte. Jetzt lüftet sich manches Geheimnis aus den Gründungsstrukturen des Konstanzer „Reformpakets“. Es sind Episoden, die zu einem Puzzle zusammengeführt werden müssen. Angefangen hat Rechtsanwalt und Autor Gerd Zahner damit, der die Nazi-Vergangenheit des Romanisten Hans Robert Jauss in Form einer Antrittsvorlesung transparent gemacht hat. Im Herbst wird der Stoff von Oscar-Preisträger Pepe Danquart verfilmt.

War Jauss Teil eines Netzwerks von Nachkriegsromanisten? Die Frage muss man stellen, zumal sie von interessierter Seite lange unterdrückt wurde. 1952 hatte Jauss bei dem späteren Konstanzer Rektor Gerhard Hess in Heidelberg promoviert. Seine Zeit bei der Waffen-SS deckte 1995 bereits Earl Jeffrey Richards auf. Außer eines Wissenschaftler-Disputs in der Frankfurter Rundschau blieb es vor allem in Konstanz ruhig. Das dürfte sich mit neuen Fragen ändern. Sollte Konstanz ein „Harvard am Bodensee“ werden, wo die Elite-Eltern ihre braven Kinder ohne Revolutionssorgen hinschicken konnten? Zum Skifahren und Segeln vor der Tür?

Viele Signale der Gründertage wurden vielleicht auch nur oberflächlich bis heute wahrgenommen. Viele Ordinarien taten sich mit der Region schwer. Nicht natürlich Lord Ralf Dahrendorf, der die neue F.D.P damals verkörperte. Unvergessen ist sein Mitwirken in Singen bei Hannelore Mohringers “Arbeitskreis kritischer Eltern“. Schockiert hatte sein Freund Waldemar Besson die Region, nachdem er in Steißlingen 3000 Mark für einen Festvortrag verlangt hatte. Und dann gab es da noch Peter Hemmerich, jenen Konstanzer Bio-Chemiker, der Freundschaften im Umfeld des BUND knüpfte. Mit dem hatte ich mich 1970 angelegt und einen Aspekt der „Reformuniversität“ kennengelernt. Hemmerich sprach also über „Von der Schule zur Universität“ bei der Abschlussfeier im Singener Hegau-Gymnasium. Als freier Mitarbeiter des „Schwarzwälder Boten“ hatte ich mich freiwillig zu diesem Termin gemeldet, denn als Student an der Konstanzer Universität war mir die Brisanz des Vortrags bekannt. Biochemiker Hemmerich hatte an der Uni vorgeschlagen, Diplomingenieure für die Lehre einzustellen, damit der Lehrkörper forschen könne! Gegen dessen Forschung für Kriegsrüstung hatten schon Studenten anlässlich einer Tagung in Konstanz demonstriert.

Und jetzt säuselte da in Professor vor potenziellen Studenten, wie toll der Übergang zur Uni gemacht werde! Also schrieb ich die Story von den Diplomingenieuren. Da schien meine journalistische Karriere schon beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Hemmerich schrieb nach Oberndorf an den Verlagssitz: Acht Seiten Literaturverzeichnis! Und dem Mann hatte ich als Pinscher ans Bein gepinkelt! Ich überlebte knapp, aber immerhin. Hemmerich drohte ich mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde, weil er seine private Beschwerde durch die Frankiermaschine hatte laufen lassen. Er konterte, und ich musste mir bei Rektor Hess einen strickten Verweis abholen, denn von den Diplomingenieuren konnte ich nur aus dem „Großen Senat“ wissen, und der ist nur universitätsintern öffentlich! Das Gespräch mit Hess verlief in einer entspannten Atmosphäre. Offen blieb die Frage, wieviel mehr Demokratie hier in Konstanz damals wirklich gewagt werden sollte. Und Hemmerich? Der lief mir immer wieder thematisch über den Weg, doch in die Jubelarien der Kiesbarone und Biotop-Erfinder stimmte ich nie ein. Dieser Biochemiker war mir als neuer Friedensforscher suspekt, zumal sein Interesse am Weiherhof bei Böhringen zutiefst menschlich gewesen sein dürfte. Da hörte man von feinen Silvester-Gesellschaften und Festen voller Stil. Da wehte der Geist einer anderen Form von Hochschulreform.

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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