Wenn der IS-Dschihad beim Nachbarn angekommen ist?
Sturzflug in die „Mitte der Gesellschaft“

Die Suche nach der „Mitte der Gesellschaft“ tobt allenthalben. Dass Wahlen dort gewonnen werden, ist eine alte Weisheit. Doch was ist, wenn der Nachbar in den Dschihad zieht? Das gibt Schlagzeilen! Beim politischen Aschermittwoch des Wochenblatts gab es einen Schock, als Michael Simon, der Geschäftsführer des Anzeigenblatt-Verleger-Verbandes erklärte, dass renommierte Magazine die höchsten Umsätze mit islamophoben Titelgeschichten machten! Uns ging es an diesem Tag um den Wertewandel in unserer Gesellschaft. Damit war mancher Fingerzeig in dieser denkwürdigen Veranstaltung verbunden. Ausländerfeindliche Tendenzen sind weit über Pegida hinaus offensichtlich an der Tagesordnung. Sind sie gar in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen? Die Lufthoheit über den Stammtischen hatte man mit rechten Sprüchen immer schon leicht erobert. Aber wie sieht es mit pseudointellektueller Klugscheißerei aus? Regiert nicht längst ein schier unüberbrückbarer Widerspruch zwischen Theorie und Praxis? Im Umgangssprachlichen heißt es dann „mer sott“. „Mer sott“ mehr Quartiere für Flüchtlinge auch in unserem Kreis haben. Und jetzt will der Landkreis am Singener Friedrich-Ebert-Platz ein Jahrzehnte lang brachliegendes Gelände bebauen – und schon meldet sich eine Bürgerinitiative dagegen! Und Landrat Frank Hämmerle lacht bei der Übergabe der Unterschriften auch noch in die Kamera. So sieht eben die „Mitte der Gesellschaft“ aus!

Die zentralen Themen bleiben die Gleichen: Wie gehen die Medien mit den Themen um? Und wie reagiert die Gesellschaft darauf? Ich habe stets ein Differenzierungsproblem: Was ist Analyse? Und wo beginnt das Marketing? Im Letzteren war Al-Qaida schon stark. Hinter dem vermeintlichen Zottelbart aus dem Gebirge steckte ein hochmodernes Geflecht. Man denke an die werbewirksamen Videos in deutscher Sprache! Heute fragen wir gleich, wo wer wann „radikalisiert“ wurde? Mitbürger aus unseren Städten und Gemeinden ziehen in den Dschihad. Und wie gehen die lokalen Medien damit um? Endlich eine heiße Geschichte bei uns vor der Haustür! Bestens geeignet, um neue „Helden“ auf den Thron zu hieven. Kopfschütteln und Erstaunen rings herum! Und schon wieder funktioniert das, was Michael Simon am Politischen Aschermittwoch beklagte: „Bad news is good news!“

Eine Nachbarin der Familie des vermeintlichen neuen Gotteskriegers aus Singen fragte mich, warum die Story gleich mit vollem Namen veröffentlicht wurde. Ich plauderte dann über Staatsanwaltschaft und Freigabe von Namen bei Schwerstverbrechen. Für Betroffene sei es halt irgendwie höhere Gewalt . . . Wenn man schon keinen Hassprediger festmachen kann, dann ist ein bekannter Sportler dreifach besser. Das sind dann die typischen sprachlichen Fingerübungen: Ein Deutscher? Ein Singener? Ein Asylbewerber? Mit Migrationshintergrund? Ein Bürgerkriegsflüchtling, der über Bayern mit seiner Familie nach Singen kam, weil hier der erfolgreiche Schweizer Boxtrainer agiert! Auf jeden Fall angekommen in der „Mitte der Gesellschaft“.

Zeitgleich wurde mir Bruno Schirras Buch „Isis“ zur Lektüre geschenkt. Der beschäftigt sich mit der Frage, wie der „Islamische Staat“ den Terror nach Europa trägt. Und schon bin ich bei meinem derzeitigen Lieblingsthema „Marketing“. Es geht um Begriffe, die Inhalte manipulieren. Schirra, der seit Jahren in diesem Milieu recherchiert, macht klar, dass Isis keineswegs aus dem Nichts heraus entstanden sei. Genau am 29.6.2014 habe man sich in IS, also „Islamischer Staat“ umbenannt. Alle Medien seien in die Marketing-Falle getappt, nur Bild nicht. Das müsse er trotz seiner sonstigen Medieneinstufung anerkennend zugeben! Isis werde unsere Welt verändern. Aber Europa müsse lernen, damit zu leben, ohne die eigenen Werte zu verlieren. Damit wären wir wieder beim Politischen Aschermittwoch! Muss man dem Trend nachgeben, wenn sich plötzlich Angst vor dem Islam gut verkaufen lässt? Keine zwingt in unserem Land eine Zeitung, ausländerfeindliche Leserbriefe abzudrucken. Immer wieder ist der Trend zu Lemmingen spürbar. Erst alles Gutmenschen, dann Pegida-Nachahmer. Schirra sagt auch, dass die Ängste der Demonstranten ernst zu nehmen seien. Doch was ist wenige Monate später aus dieser Montagsbewegung geworden? Ist die nächste Welle der Beliebigkeit eingekehrt?

Einfach zum Nachdenken: Wenn die Isis Terror nach Europa trägt, dann denkt man an die RAF in den 70er Jahren zurück. Angst prägte damals auch unsere Gesellschaft. Wie oft hieß es damals in den Medien, dass wir uns als wehrhafte Demokratie verstehen und uns nicht unterkriegen lassen! Dieser Ansatz kommt heute zu kurz, denn statt islamophobe Gedankenwelten zu pflegen, sollten wir zu unseren Werten, Ethik und Moral stehen! Unser gesellschaftliche Leben lassen wir uns von Extremisten auf beiden Seiten nicht zerstören! Schirra nennt ein gutes Beispiel, nämlich wie sich die Stadt Alexandria unter dem Einfluß der Fundamentalisten verändert hat. Er liebte die Stadt und ihre Menschen. Unter dem Isis-Einfluß sei dort die Lust am Leben verloren gegangen. Ja, das mache den Islam in seinem Ursprung doch auch aus! Das war und ist dann auch die „Mitte der Gesellschaft“. Ja, der „globale Dschihad“ zerstört eben noch mehr. Auch unseren Umgangsstil miteinander: Am Stammtisch und in den Medien. Blatters Fifa verlangt Respekt. Bei ihm war es nur ein Marketing-Spruch. Seinem Geschäftsmodell dürften wir nicht folgen. Zum Respekt gehört die Achtung und die Freiheit für den Andersdenkenden . . .

Von Hans Paul Lichtwald

- Redaktion

Autor:

Redaktion aus Singen

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