Die Theresienkapelle
Ein unscheinbarer Schatz im Singener Süden
Singen. Unscheinbar steht sie in der Singener Südstadt. Wer nicht weiß, dass sie da ist, kann leicht an ihr vorbeifahren. Die Theresienkapelle gehört baulich zu den eher kleinen Gotteshäusern – selbst, wenn man nur die in Singen betrachtet. Doch wer ihre Geschichte kennt, der weiß, welch einmaliger Schatz sich hier verbirgt. Und wie eng dieser mit Wilhelm Waibel verknüpft ist. Denn von Anfang an hat er die Kapelle begleitet, hat sich für deren Erhalt eingesetzt und zahlreiche Beiträge für Bücher und Ausstellungen über sie verfasst.
Der Ort, an dem die Kapelle heute steht, hat eine dunkle Vergangenheit: Während dem Zweiten Weltkrieg mussten hier Zwangsarbeiter aus dem Osten leben, die in den Singener Firmen eingesetzt wurden. Nach dem Krieg wechselten die Insassen: Aus dem Zwangsarbeiterlager wird ein Kriegsgefangenenlager für deutsche Soldaten. Willi Waibel erinnert sich in einem Beitrag für das Begleitband einer Ausstellung anlässlich des 70-jährigen Bestehens der Kapelle: „Meine Heimatstadt Singen am Hohentwiel ist von der französischen Armee besetzt und ich, fast zwölf Jahre alt, bin als Messdiener unterwegs zu einem außergewöhnlichen Gottesdienst: Weihnachtsmesse mit gefangenen deutschen Soldaten im Kriegsgefangenenlager im Singener Industriegebiet.“
Im März 1946 erhielt das Gefangenenlager einen neuen Kommandanten: Jean Le Pan de Ligny. „Der Geist hat sich durch den Wechsel in der Führung spürbar verändert, es ist menschlicher geworden im Lager Bonaparte“, schreibt Willi Waibel. Kommandant de Ligny ist es dann auch, der den Gefangenen den Auftrag für den Bau einer kleinen Kirche gibt und am 9. November 1947 wird die Weihe der Kapelle St. Theresia gefeiert.
Eine unsichere Zukunft
Im September 1948 wird das Lager aufgelöst und damit beginnt die unsichere Zukunft der Theresienkapelle. Investieren wollte niemand in sie. Nur einzelne Personen setzten sich für ihren Erhalt ein. Darunter ein 23 Jahre alter Willi Waibel. In der Historie der Theresienkapelle auf deren Internetseite ist zu lesen: „1957 verfasste der damals 23-jährige Wilhelm Waibel einen Aufruf in der Lokalpresse, dass die Kapelle erhalten werden müsse. Er hatte als Messdiener in St. Josef Pfarrer Härtenstein zu Gottesdiensten in das Lager begleitet und wies in dem Artikel auf die Bedeutung der Kapelle als Symbol für Frieden und Versöhnung hin.“
Eine gesicherte Zukunft
Der Einsatz Waibels und Gleichgesinnter hatte Erfolg: Die Kapelle blieb bestehen und wurde ab den 1960er Jahren sogar wieder als Gotteshaus genutzt – von Gastarbeitern aus Italien. 1990 wurde sie Kulturdenkmal und 1997 schenkte die bisherige Besitzerin – die Georg Fischer AG – die Kapelle der Stadt Singen. 2006 gründete sich der Förderverein Theresienkapelle. Einer der Gründungsmitglieder: Willi Waibel.
Seit 2015 ist die Theresienkapelle eine anerkannte Gedenkstätte, die bei Führungen besichtigt werden kann. Sie ist ein Symbol dafür, dass Versöhnung auch zwischen einst erbitterten Feinden möglich ist. Aber auch dafür, dass die Geschichte leicht in Vergessenheit geraten kann, wenn es keine Menschen gibt, die sich für das Erinnern einsetzen.
Autor:Tobias Lange aus Singen |
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