Von Beginn an Teil der "Volksbildungsbewegung"
Der Beitrag der vhs zur Integration

Für Nikola Ferling (li.), Vorstand VHS Landkreis Konstanz e.V., fördert das vielfältige Deutschangebot „jenseits aller Parolen die Entwicklung für ein ganzes Land“. Laura Pacilli, VHS-Fachbereichsleiterin Grundbildung, Projekte und Kooperationen, kannte noch das „ungesteuerte Lernen“ der ersten Gastarbeiter-Generation. | Foto: Bernhard Grunewald
  • Für Nikola Ferling (li.), Vorstand VHS Landkreis Konstanz e.V., fördert das vielfältige Deutschangebot „jenseits aller Parolen die Entwicklung für ein ganzes Land“. Laura Pacilli, VHS-Fachbereichsleiterin Grundbildung, Projekte und Kooperationen, kannte noch das „ungesteuerte Lernen“ der ersten Gastarbeiter-Generation.
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Singen. Die junge Stadt Singen war früh beteiligt an der "Volksbildungsbewegung" zwischen 1900 und 1933 mit ihren außerschulischen und nicht-staatlichen Bildungs- und Aufklärungsangeboten, welche jedoch durch die NS-Zeit unterbrochen wurden.

Nach Kriegsende unterstützten die West-Alliierten den Wiederaufbau einer neuen Jugend- und Erwachsenenbildung mit dem Ziel, "tätige Helfer für die demokratische Erziehung Deutschlands heranzubilden". So startete bereits 1947/1948 das Singener Jugendbildungswerk (JBW), welches 1955 vom Kulturamt übernommen und zur kommunalen Volkshochschule weiterentwickelt wurde. Dies gelang insbesondere Kulturamtsleiter Dr. Herbert Berner, der früh die hohe Bedeutung der Erwachsenen- und Weiterbildung im Alltag und Beruf erkannte.

Schaufel statt Sprachkurse

Ab 1955 kamen auch erste Anwerbeverträge zustande, sprachunkundige Arbeitskräfte wurden ins Wirtschaftswunderland geholt. "Mein Papa bekam nach seiner Ankunft aus Spanien aber keinen Deutschkurs, sondern eine Schaufel in die Hand gedrückt, für den Bau der Sparkasse", erinnert sich Carmen Trombino, Seele des "Casa España". Paula Mendes teilte bereits als Singener Schülerin das Los vieler Gleichaltriger: "Wir Kinder waren sehr früh als Dolmetscher für unsere Familien aus Portugal unterwegs und mussten allen Seiten helfen." 1972 gab es für zugewanderte Menschen den ersten Singener vhs-"Deutschkurs für Ausländer", nicht zuletzt auf Druck der Betroffenen selbst und ihrer lokalen "Kümmerer" in Kirchen, Betrieben, Gewerkschaften, Gemeinderat und Kommunalverwaltung.

In den 80er Jahren folgten zwar Deutsch-Angebote für "Spätaussiedler", diese Kurse galten aber nur der eigenen isolierten Gruppe; der wichtige Kontakt und Austausch mit anderen Menschen fehlte. Erst ab 2001 etablierten sich europaweit einheitliche Standards für Unterricht und Prüfungen. "Das wohl erfolgreichste EU-Projekt", bilanziert Laura Pacilli, vhs-Fachbereichsleiterin Grundbildung, Projekte und Kooperationen, sowie gebürtige Römerin. Sie kam mit 21 Jahren nach Deutschland - "ich liebe die Deutsche Sprache" - und trug innert der vhs entscheidend zum Aufbau von zertifizierten Deutsch-Sprachkursen und Weiterbildungsangeboten bei.

Errungenschaften und Aufgaben

Mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes 2005 änderten sich die Rahmenbedingungen grundlegend: Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geförderten Integrationskurse wurden eingeführt. Zunächst mit 30, später dann mit 100 Stunden "Leben in Deutschland".
"Es wird von vielen Seiten immer noch zu wenig anerkannt, wie viele Stunden es braucht, um Deutsch zu lernen", so Nikola Ferling, Vorstand der landkreisweiten vhs, "die Kurse sind eine tolle Geschichte und helfen, die Menschen in Arbeit zu bringen - unsere Quote ist höher als in anderen Ländern." Hierfür hatten sich seit 2001 insbesondere die vhs, Arbeitsagentur, Wohlfahrtsverbände, DRK und Kommunale Ausländerbeauftragte stark gemacht: "Wir müssen uns um die Einwanderer kümmern." Parallel wurden Lehrkräfte in einer großen Fortbildungsoffensive geschult, eine moderne Unterrichtsentwicklung voranzutreiben.

Laura Pacilli legte bereits 2001 das Projekt "Figaro" auf: Arbeitsförderungsmaßnahmen plus Deutsch lernen. Seit 2006 gibt es Integrationskurse in Teilzeit, seit 2007 werden Alphabetisierungskurse angeboten. 2008 wurden die Einbürgerungstests für die langjährig integrierten, sogenannten "Bestandsausländer", an die vhs übertragen. Früher brauchte es hierfür Sprachniveau A2, heute B1. Berufssprachkurse werden seit 2017 mit dem Ziel B2 angeboten. Was aber bereits seit 1972 bemängelt wird: "Wir kriegen das Thema Schichtarbeit nicht auf die Reihe", so Ferling - dies bleibt Aufgabe!

Die vhs Singen, seit 1971 fusioniert mit den Landkreis-Volkshochschulen, fördert ihre vielfältige Kundschaft aktuell nicht nur mit jährlich 3.000 Kursangeboten beim "Lebenslangen Lernen", sondern zählt längst selbst zu den lernenden, unverzichtbaren Institutionen für Bildung, Persönlichkeitsentfaltung und Demokratie - und dient damit der allseitig gewünschten Integration und demokratischen Teilhabe vieler Menschen mit Zuwanderungs- und Fluchterfahrung.

Autor:

Bernhard Grunewald aus Singen

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