Singener Kriminalprävention ehrt Dr. Aram Bani und Wilhelm Waibel
Zivilcourage geht leichter als man denkt
Singen. Zum bereits 7. Mal fand am Freitagabend die Verleihung des Zivilcourage-Preises im gut gefüllten Kulturzentrum GEMS statt, erneut gekonnt moderiert von Schirmherr Ingo Lenßen, der diesen Begriff mit „Bürgermut“ vor allem im Alltag, im Kleinen, beschrieb.
Unter dem Beifall des Publikums, welches gerade einen glanzvollen Lichtermarsch von der Zivilcourage-Kundgebung in der August-Ruf-Strasse zur GEMS bewältigt hatte, dankte OB Bernd Häusler zunächst Ingo Lenßen für dessen ungebrochenes Engagement sowie Marcel Da Rin als Originatorem und Organisator mitsamt Manuela Stengele auch dieses Abends.
Häusler unterstrich nochmals, wie wichtig ihm der Einsatz von Bürgerinnen und Bürgern für ein friedliches, hilfreiches und respektvolles Miteinander in unserer Stadt ist und lobte in diesem Zusammenhang beispielhaft die „tolle Vorarbeit“ des Singener Helferkreises HAsylis, aus dem nun der Verein inSi hervorgegangen ist, dessen Aktive viel Freizeit opferten und sich mit Zivilcourage kümmerten, um wichtige Themen wie Arbeiten, Wohnen und soziale Integration voranzubringen.
Im interview mit Ingo Lenßen klärte Marcel Da Rin darüber auf, nach welchen Kriterien die Preisgabe erfolge, welche vom Bundesprogramm „Demokratie leben” finanziert werde, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Hans-Peter Storz, Vorsitzender der Stolpersteine Singen, erläuterte die Zielsetzung der vom Künstler Günter Denning initiierten Aktion „Stolpersteine“, von denen bereits 60.000 Exemplare europaweit an die Namen der von Nazis verschleppten, inhaftierten oder ermordeten Opfer aus allen Kreisen der Gesellschaft zu erinnern vermögen, um sie dem Vergessen zu entreissen. In Singen sind bereits 60 davon in die Pflaster der Strassen vor den letzten Wohnstätten der Opfer eingelassen, weitere 150 Namen gilt es derzeit noch zu ehren und zu achten, wofür jeweils 120 Euro erforderlich seien, so Storz, der sich bei der Stadt und bisherigen Spendern bedankte.
Laudator Dr. Franz Hirschle gab im Anschluss kund, dass sein Singener Facharztkollege Dr. Aram Bani mit dem 2.Preis Zivilcourage bedacht wurde. Dr. Bani stammt aus der Autonomen Region Kurdistan im Norden Iraks, ist seit 1992 in Deutschland und spricht 7 Sprachen. Sein Vater, Maurer von Beruf, hatte allen seinen 8 Kindern einen Hochschulabschluss ermöglicht.
Dr.Bani war in den Irak-Kriegswirren zeitweilig einziger Arzt für 50.000 Menschen und rettete durch seine Attestierung von Reiseunfähigkeit 1.000 Menschen vor dem sicheren Tod durch Deportation per Busladung in die Wüste, wo Menschen bei lebendigem Leib begraben wurden.
Der Gewalttod eines jungen Mädchens in Deutschland, begangen von einem 20-jährigen kurdischen Landsmann, der sofort nach der Tat in den Irak flüchtete, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Er identifizierte den Mörder, stellte seine Aussage den Autonomen Behörden Kurdistans zur Verfügung, drängte den dortigen Innenminister in Direkttelefonaten zu raschem Handeln und erreichte die Verhaftung und Auslieferung des Täters nach Deutschland zu einem rechtsstaatlichen Gerichtsverfahren, „da er unser Volk in Verruf bringt“, so Dr. Bani, und um dem Opfer wenigstens Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen.
Schweigen kam für Dr. Bani nicht in Frage, wohlwissend, dass das Irakische Ausssenministerium scharfe Kritik an der Auslieferung nach Deutschland übte - Zivilcourage, um bestehendem Recht zur Geltung zur verhelfen!
Dr. Bani, nach seinem Heimatgefühl befragt, sagte in seiner Dankesrede: “Heimat ist für mich der Ort, wo es nicht egal ist, ob es mich gibt“ - und das sei Singen, wo er sich mitsamt seiner Familie wohlfühle und wo ihm der Saal beeindruckt Beifall zollte. Dr. Bani spendet sein Preisgeld umgehend an den Förderverein der Kinderklinik.
Auch die anschliessende Fimpremiere des 2.Teils „Gemeinsam Zukunft leben“ - ein beeindruckendes Werk über den Stand der Dinge in Sachen Integration in Singen des italienischen Filmemachers Fulvio Zanettini - fand starken Anklang im Publikum und ein ausdrückliches Dankschön von OB Häusler, Marcel Da Rin und Ingo Lenßen für den Regisseur und die mitwirkende Solin Yousef, stellvertretend für alle Beteiligten.
Ehrenbürger Wilhelm „Willi“ Waibel erhielt aus den Händen von Ingo Lenßen den diesjährigen 1. Preis in Zivilcourage, da er stets „gegen das Schweigen, das Unrecht und Vergessen“, welches nach Ende des Krieges und der Nazi-Herrschaft folgte, angegangen sei und sich in einer persönlich mutigen Geste vor 200 mißtrauischen ukrainischen ehemaligen Zwangsarbeitern in Kobljaki für das entschuldigte, was ihnen angetan worden war, wie Laudatorin Dr. Carmen Scheide erinnerte. Vorangegangen war die lange, intensive Suche nach diesen Menschen, über die er nach Kriegsende eine Liste gefunden hatte, die ihn nicht mehr loslies und seinen Wunsch nach Versöhnung, Frieden und Toleranz stärkte, „gelebte Werte“, so Dr. Scheide, ein Vorbild ob seiner Haltung.
Die Schrecken des Krieges kannte er selbst aus der Bombardierung Singens und er half Pfarrer Hertenstein von St.Josef nach Kriegsende oft als Messdiener bei der Betreuung deutscher Kriegsgefangener im Lager Singen, wo auch die Theresienkapelle entstand.
„Das Fehlen von Seiten in den Geschichtsbüchern über 1933-45“ läßt ihn nicht los, wie er auf der Bühne betonte. Es gäbe immer großes Interesse daran, Geschichte endgültig abzuschließen, aber das käme nach seinem Eindruck von Menschen, die wieder zum alten System des Grauens zurück wollten. Er danke OB Häusler und dem Rathaus für ihre andauernde Unterstützung seines Wirkens - dies sei nicht immer so gewesen, da er wegen gefälschter Baupläne auch schon als Kläger gegen die Stadt aufgetreten und dort zeitweilig verhasst gewesen sei. Sein Preisgeld stifte er dem Förderverein Theresienkapelle, welchen er bei Dr. Carmen Schade in besten Händen wisse.
Marcel Da Rin wies auf die anstehende Premiere des Dokumentarfilms “Der Chronist” von Marcus Welsch über Willi Waibel am kommenden Sonntag um 17 Uhr in der Stadthalle hin, der Eintritt ist frei.
Ein abschliessender Höhepunkt besonderer Art war die Begegnung mit Tan Caglar, der mit seinem Rolli zwar auf die GEMS-Bühne gehievt werden musste, dessen wahrhafte Barrieren aber eher noch in den Köpfen seiner Mitmenschen verankert sind, denen er beim Einparken oder Einkaufen begegnet und die selten souverän mit seiner Situation umgehen können, die ihn im Fitness-Zentrum auf das Laufband und zum Kaffeetrinken zunächst mal an den Stehtisch bitten - er kontert dann mit der Bestellung „ 1mal Kaffee ToGo!”.
Zum Anwärmen übte er, unterstützt von Walafried Schrott, mit dem Saal Beifall spenden, Stufe 1 wie leichter Nieselregen, 2 wie Regenschauer, 3 wie aus Eimern - sofort sprang der Funke über und ein launiger Abend begann, der den Saal zunehmend ergreifen sollte: Tan Caglar, ein besonderer Mensch mit einer besonderen Begabung und Gesundheit, der über sich selbst und seine Erfahrungen mit den Handicaps seiner Zeitgenossen lachen und damit Lachsalven bei Ihnen selbst auslösen kann, der das Publikum leichtfüßig in sein bewegtes Leben mitnehmen konnte. Applaus der Stufe 3 für den überaus begabten, vollends professionellen Comedian aus Hildesheim - und viele Fotos im Anschluss.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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