Reinhard Zedler nach 40 Jahren bei der AWO
Wenige Menschen haben wohl die Chance, so viele Menschen richtig kennenzulernen

Reinhard Zedler geht als Geschäftsführer des AWO-Kreisverbands im Februar nach über 40 Jahren bei der AWO in den Ruhestand.  | Foto: swb-Bild: Oliver Fiedler
2Bilder
  • Reinhard Zedler geht als Geschäftsführer des AWO-Kreisverbands im Februar nach über 40 Jahren bei der AWO in den Ruhestand.
  • Foto: swb-Bild: Oliver Fiedler
  • hochgeladen von Oliver Fiedler

Seit 40 Jahren ist Reinhard Zedler bei der AWO, und nun geht die Laufbahn des Geschäftsführers des Kreisverbands Konstanz in Richtung »Unruhestand«. Das Aufgabenfeld ist inzwischen so komplex geworden durch die vielen Veränderungen der Gesellschaft, dass seine Nachfolgerin,  Regina Brütsch, schon vor über einem Jahr durch den Vorstand gewählt wurde, um einen möglichst lückenlosen Übergang in der Nachfolge zu schaffen.

Die Frage gleich am Anfang: »Ist das ein Traumjob?« »Na klar«, antwortet Reinhard Zedler im Gespräch mit dem Wochenblatt ohne zu zögern. »Ich gehe jeden Tag sehr gerne zur Arbeit. Jetzt, gerade in der Zeit dieser vielen Herausforderungen, habe ich oft überlegt, wie es wäre weiterzumachen, aber ich habe mich dazu entschieden, jetzt mit 66 Jahren aus dem Erwerbsleben zu treten, weil ich auch noch andere Pläne habe«, sagt der Sozialmanager. »Die Zeit rinnt, und vieles kann man nicht mehr machen, wenn man erst mal 80 wäre«, scherzt er. »Alles, was ich in der AWO machen konnte, war ein absoluter Traumjob«, sagt er mit einem gewinnenden Lächeln. Im Rhein-Neckar-Kreis begann sein Wirken für die Arbeiterwohlfahrt, aus dem Ehrenamt wurde bald eine Berufung, seit 1988 ist Zedler hier im Kreisverband Konstanz, übrigens weil sein Vorgänger, der auch aus der Region Mannheim/Heidelberg kam, hier Perspektiven eröffnete, und auch der Liebe wegen. Schon 1993 wurde er stellvertretender Geschäftsführer des Kreisverbands.

Die Frage: Ist man da nicht Unternehmer in einem mittelständischen Betrieb?
»Ich habe früher auch in einem Krankenhaus gearbeitet und gemerkt, wie das ist, wenn man unter gewaltigem Stress steht. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, wie viel Spaß es macht, wenn man als Team arbeitet. Damals habe ich mir das Ziel gesetzt, dass, wenn ich mal Chef werde, alle zusammenarbeiten und auch gerne zur Arbeit gehen sollen. Von mir sollten die Menschen eine andere Art von Arbeitssituation erleben, hatte ich mir gesetzt.«

Die Frage: Haben Sie ihr Ziel erreicht?
»Ich bin zur AWO gekommen, als sie noch ein ganz kleiner Verband war und ein Underdog unter den Wohlfahrtsverbänden. Damals war das aufmüpfig, innovativ, offen und transparent und das hat mir ganz gut gefallen. Als ich nach Singen kam, gabs da nur ein kleines Büro in der Bahnhofstraße. Und auch wenn wir so gewachsen sind, gibt es immer noch den Wunsch etwas Neues zu entwickeln und dabei die Mitarbeitenden mitzunehmen. Das hat mir ganz viel Kraft gegeben, dass sich das alles immer weiter entwickeln konnte.«

Die Frage: Und jetzt rütteln die neuen Krisen an den Fundamenten von alledem, was uns Sicherheit gegeben hatte, scheinbar zumindest.
»Wenn ich an die aktuellen Zeiten denke, erinnere ich mich, dass wir auch schon ganz andere Zeiten gehabt hatten: Tschernobyl zum Beispiel, die Vogelgrippe hier am See, wir hatten den Rinderwahnsinn. Und wir hatten auch immer Probleme unsere Projekte zu finanzieren und wir hatten schon viel schwierigere Zeiten und Anlass auf die Straße zu gehen, wenn ich nur an den Nato-Doppelbeschluss Anfang der 1980er denke. Das war eine konkrete Bedrohung gewesen. Die Flüchtlingssituation war auch schon immer da und auch schon viel schlimmer. Was den Klimawandel betrifft, bin ich eher pessimistisch. Da werden wir nicht mehr drum rumkommen, sondern müssen lernen, mit den Folgen umzugehen.«

Man sei inzwischen eine Lobby als Sozialverband, die in beide Richtungen wirke, noch in die Politik und zu den Menschen. Über die Arbeit in den Arbeitsfeldern des Verbands, aber auch über den Verein Kinderchancen oder die Tafeln könne man viel bewirken bei den Menschen. »Man muss sich da immer vorstellen, was wäre, wenn es so etwas nicht mehr geben könnte«, mahnt er an.

Und: »Ich bin ganz dankbar, dass ich so aufgewachsen bin, wie es damals war. Mein Vater war Flüchtling aus Schlesien, meine Mutter kam aus dem ausgebombten Hannover. Wir waren fünf Kinder, wir waren arm. Wir waren die Outlaws. Das haben uns unsere Eltern erst später erzählt. Denn wir fanden das damals toll als Geschwister. Ich wohnte mit meinem Bruder im Zimmer bis ich ausgezogen bin, meine Schwestern waren zu dritt im Zimmer. Wir sind auch dauernd umgezogen, weil mein Vater als Polizist dauernd zu anderen Dienststellen musste. Das hat mich aber vielleicht offen für vieles gemacht. Es war natürlich eine andere Zeit. Die macht es mir aber auch vielleicht einfacher, mit all den Einschränkungen umzugehen, die da kommen sollen.«

Die Frage: Und wofür sind Sie in dieser Zeit jetzt am meisten dankbar?
»Es sind auf jeden Fall die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Wenige Menschen haben wohl die Chance, so viele Menschen kennenzulernen und wirklich kennenzulernen. Ich habe da eine Vertrauensbasis geschenkt bekommen, bei der sich ganz viele Menschen mit ihren ganzen Problemen geöffnet haben und die – zum Beispiel im Sozialpsychiatrischen Dienst, wo ich hier angefangen habe – mir zeigen konnten, dass sie eigentlich einen Schatz in sich tragen. Es war anstrengend, dass meine Tür immer offen war, aber es brachte mir eine ganz andere Nähe.«

Reinhard Zedler geht als Geschäftsführer des AWO-Kreisverbands im Februar nach über 40 Jahren bei der AWO in den Ruhestand.  | Foto: swb-Bild: Oliver Fiedler
Die Hände von Reinhard Zedler. | Foto: Fiedler
Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

8 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.