Die Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt braucht Zeit
»Vom Sozialhilfeempfänger zum Steuerzahler«
Singen (stm). Rund 1.000 Flüchtlinge leben derzeit in Singen. Spürbar hat die Zahl der Neuzuweisungen in den Landkreis im Mai nachgelassen. Nichtsdestotrotz ist die Integration der Asylsuchenden und gerade jener mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit von besonderer Bedeutung. Hier übernimmt der Helferkreis mit inzwischen 370 Helfern eine herausgehobene Aufgabe. Die vom Helferkreis angebotenen Deutschkurse werden sehr gut angenommen, erklärt die Flüchtlingsbeauftragte Shirin Burkart. Zudem seien zahlreiche Projekte von Kinderbetreuung bis zu sportlichen Aktivitäten am Start. Der internationale Chor wird beim Stadtfest auftreten. Kürzlich wurde zudem ein Theaterprojekt in Kooperation mit der Gems ins Leben gerufen, so Burkart.
Ein essentieller Bestandteil von Integration ist neben Sprache die Ausbildung und Arbeitsvermittlung der Asylsuchenden. Im Gespräch mit dem WOCHENBLATT spricht der beim Helferkreis für das Projekt »Beschäftigung, Praktika, Ausbildung, Arbeit« zuständige Bernhard Grunewald von einem »Talentschuppen Kreissporthalle« mit unterschiedlichsten Fähigkeiten. Hierfür setzt Grunewald, 25 Jahre bei der Adam Opel AG als Gesamtschwerbehindertenvertreter tätig, zahlreiche Hebel in Gang.
Ein besonderer Erfolg könnte ein Stipendium bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft für einen geflüchteten syrischen Agrarwissenschaftler sein, freut sich Grunewald. Erste Vorarbeiten mit der Universität Hohenheim seien bereits abgeschlossen. Fünf weitere Kreissporthallenbewohner haben an einer Informationsveranstaltung der Universität und Fachhochschule für Studierwillige in Konstanz teilgenommen. Beim »Tag des offenen Handwerks in Singen« hatten 17 Asylsuchende 40 Betriebskontakte. Grunewald wünscht sich mehr – am besten zweiwöchige Schnupperpraktika für die »bildungshungrigen« Männer und Frauen, deren Ziel es sei, vom »Sozialhilfeempfänger zum Steuerzahler« zu werden. Demnächst biete die Volkshochschule einen qualifizierten Kurs für Gastronomiekräfte an, kündigt er an.
Beispiele wie der Lehrling Motala Cessay, der letzten Sommer bei der Bäckerei Künz seine Ausbildung angefangen hat und für den Juniorchef Philipp Künz nur lobende Worte findet, sind noch die Ausnahme.
Dabei hat Bernhard Grunewald zu dem Gespräch beim WOCHENBLATT zwei seiner Talente mitgebracht: Saber Safi aus der Region Kundus. Der 22-jährige Afghane ist verheiratet und hat zwei Kinder. Vor seiner Flucht hat er keine Schule besucht – nach nicht einmal einem Jahr dolmetscht er für die Beschäftigungsagentur. Safis Rezept – morgens Deutschkurs beim Helferkreis, nachmittags bei der VHS und abends Tagesthemen.
Auch Salim Karou, Elektroingenieur aus Syrien, hat Talent. Der anerkannte Asylant hat nicht nur fünf Jahre erfolgreich in Aleppo studiert, sondern verfügt zudem über fünf Jahre Berufserfahrung bei Service und Verkauf von deutschen Hydraulikpumpen. Grunewald hofft, dass Karou, der gerade einen Kurs beginnt, parallel ein Praktikum absolvieren kann.
Der Chef der Singener Arbeitsagentur, Klaus Schramm, mahnt indes zur realistischen Einschätzung der Arbeitsperspektive von Flüchtlingen und verweist auf den Chef der BA und Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärte Frank-Dietrich Weise am 10. April, dass die Flüchtlinge »im besten Fall einen kleinen Beitrag« beim Fachkräftemangel leisten können. »Es gibt bestimmt zehn, 15 Prozent, die sind richtig gut qualifiziert, die kriegen wir relativ schnell, wenn sie das wollen, in Arbeit«, so Weise. Bei anderen jedoch werde es, so die Auffassung des Chefs der Arbeitsagentur, ohne Zweifel länger dauern und mehr kosten, als mit den Menschen, die hier sind.
- Stefan Mohr
Autor:Redaktion aus Singen |
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