Predigt beim Stadtfestgottesdienst von Pfarrerin Andrea Fink
»Über sich Hinauswachsen«
Singen. Beim ökumenischen Gottesdienst am Sonntag während des Singener Stadtfestes hielt Pfarrerin Andrea Fink eine eindrucksvolle Predigt zum Thema über sich hinauswachsen, gerade auch zum Thema Flüchtlinge.
»Liebe Mitfeiernde beim Stadtfestgottesdienst!
Ihr seid über euch hinausgewachsen, das war ein unglaubliches Konzert!“ Am vergangenen Wochenende bei der Nacht der Chöre freuten sich viele Sängerinnen und Sänger über dieses Kompliment. Und in der Tat war es beeindruckend, wie der Rathausplatz einen ganzen Abend lang von Klängen und Rhythmen erfüllt war!
Die deutsche Nationalmannschaft ist gestern Abend zum Glück auch noch über sich hinausgewachsen… - in den letzten Minuten der Nachspielzeit kam das erlösende 2:1!
„Das war eine sehr gute Leistung, du bist richtig über dich hinausgewachsen“ stellt der Prüfer am Ende der Abschlussprüfung fest.
Über sich hinauswachsen – so heißt das Thema des heutigen Gottesdienstes. Über sich hinauswachsen - das bedeutet: Menschen schaffen etwas, was für sie nicht selbstverständlich ist, sie überwinden Hindernisse, beweisen Mut und Stärke. Auch zur Entwicklung unserer Persönlichkeit gehören solche Erfahrungen dazu. Da sind Herausforderungen, die auf uns zukommen und denen wir uns stellen müssen. Da sind Aufgaben, die uns am Herzen liegen, für die wir uns leidenschaftlich einsetzen, alles geben. Manchmal bedeutet über sich hinauswachsen: Abhängigkeiten hinter sich lassen. Abhängigkeiten von anderen Menschen, von Meinungen, oder auch von materiellen Standards. Oder es heißt, ganz für einen anderen Menschen da zu sein, ihm das zu geben, was er braucht.
Heute ist Johannistag; der 24. Juni ist Johannes dem Täufer gewidmet. Ganz bewusst ist die Erinnerung an ihn mit dem Fest der Sommersonnenwende verbunden. Derzeit genießen wir ja die längsten Tage des Jahres. Alles um uns herum atmet Lebenskraft. Und gleichzeitig spüren wir, dass das nicht so bleibt, dass das Sonnenlicht wieder abnehmen wird. Johannes weiß um dieses Werden und Vergehen. Auch im Blick auf seine eigene Bedeutung. Er wächst über sich hinaus, indem er sich selbst zurücknimmt, indem er auf einen anderen, auf Jesus hinweist. Wir haben es vorhin in der Lesung gehört. Im Blick auf Jesus sagt Johannes: Ich muss abnehmen, er aber muss wachsen!
Ein spannender Gedanke: Über mich hinauswachsen, indem ich von mir absehe. Indem ich mich zurücknehme.
Derzeit wird in unserem Land heftig darüber diskutiert, welche politischen Lösungen beim Thema Flucht und Migration die richtigen sind. Nationales Denken, nationale Interessen rücken bei vielen wieder in den Mittelpunkt. Und leider hat es den Anschein, dass die europäische Antwort sich darin erschöpft, für Abschreckung und Abschottung zu sorgen! Da geht es dann nur noch um die Sorge um das eigene Wohlergehen, um die eigene Sicherheit und Bequemlichkeit!
Über mich hinauswachsen, indem ich von mir absehe. Gottes Liebe ist global, sie macht nicht an Ländergrenzen halt! Statt Angst und Rückzug braucht es Mut zur Menschlichkeit! Wir beschädigen die Seele Europas, wenn wir bei unseren Entscheidungen die Menschlichkeit ausblenden! Wenn wir so tun, als gelten die Menschenrechte nur für uns und nicht für alle Menschen. Die Würde des Menschen ist nicht verhandelbar! Auch nicht an unseren Grenzen! Über uns hinauswachsen hin zu einer menschlicheren Welt für alle!
„Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen“. Johannes verstand sich als Wegweiser zu Christus. Er wollte hin weisen auf den, der uns wieder zurechtbringen, an Leib und Seele heilen kann. Christus, seine Botschaft, sie soll sichtbar werden, sie soll immer mehr Raum gewinnen: in uns selbst, in unseren Beziehungen, in unserem Miteinander. Jesus hat freiwillig auf Macht, Reichtum und Ansehen verzichtet. Sein Großwerden ist ein Weg nach unten, zuletzt sogar in die Welt des Todes. Bis in die äußerste Dunkelheit wollte er den Menschen nahe sein.
Überall, wo wir einen Blick für andere haben, machen wir etwas von dieser Nähe Jesu erfahrbar. Unser Zusammenleben im Sinne Jesu gestalten. So, dass sich jeder seiner Würde bewusst ist, dass jeder die Würde des anderen achtet. Dass wir Verbundenheit untereinander spüren. In all unserer Vielfalt und Buntheit. Das schafft Freiräume, schafft Lebensfreude, ermöglicht wirkliche Gemeinschaft. Auch als Gesellschaft können wir über uns hinauswachsen!
In Singen geschieht dies bereits an vielen Orten. In Chören und Vereinen, in der Vesperkirche, bei der Museumsnacht, beim Stadtfest und an vielen anderen Orten. Einige Menschen engagieren sich im neuen Verein InSi – Integration ins Singen. Der Verein ist auch auf dem Stadtfest mit einem Stand vertreten. Bei den bisherigen Zusammenkünften von InSi spüre ich eine große Lust, miteinander unterwegs zu sein. Und ich erlebe ein echtes Interesse, die Lebenssituation anderer wahrzunehmen, zu unterstützen, sich aber auch selbst dadurch beschenken zu lassen.
Auch als Gläubige verschiedener Religionen wollen wir miteinander ein Stück Weg gehen. Wollen voneinander hören, miteinander feiern. Ich denke, wir erfahren dabei auch etwas von dem Gott, der größer ist als unsere Vorstellungen von ihm! Christus Raum geben. Auf Christus hinweisen. Johannes damals tat es mit Leidenschaft. Er wollte die Menschen wachrütteln, wollte eine verschüttete Sehnsucht in ihnen wecken.
Die Sehnsucht nach gutem, erfüllendem Leben, nach Gerechtigkeit, nach einem guten Miteinander. Die Menschen haben etwas gespürt von dem, was das Leben wertvoll macht, worauf es wirklich ankommt. „Was sollen wir denn tun?“ fragen sie am Ende seiner Rede. Die Antworten des Täufers sind frappierend einfach: „Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.“ Johannes macht uns Mut zu konkreten, kleinen Schritten. Kleine Schritte können Großes in Bewegung bringen. Können bewirken, dass wir über uns hinauswachsen. Als einzelne und als Gemeinschaft! Amen
- Stefan Mohr
Autor:Redaktion aus Singen |
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