Harte Diskussionen um die "abghängte Region"
Schon der erste Knopf wurde bei der Gäubahn falsch gesetzt
Singen / Hegau. Die schlechten Nachrichten rund um die "Gäubahn" von Singen nach Stuttgart, die einmal Teil so legendärer europäischer Verbindungen wie Berlin - Rom oder Stuttgart - Lecce war, und auf der schon mal für ein paar Jahre auch der "Cisalpino" aus Italien oder der deutsche "ICE" für Tempo mit Neigetechnik sorgten, vervielfachten sich in den letzten Jahren. Obwohl die Politik hier stets von Fortschritten sprach.
Mehr und mehr kündigt sich im Zuge der schon wieder verschobene Fertigstellung und Inbetriebnahme von Stuttgart 21, dem kleinen Tiefenbahnhof der Landeshauptstadt, das große Debakel für unsere Region an: Nämlich, dass sie "abgehängt" wird, eventuell sogar länger als ein Jahrzehnt. Weil die Züge dann nicht mehr nach Stuttgart hineinfahren können, vermutlich ab 2026, will nun eine Initiative "Pro Gäubahn" eine Fülle von Aktionen starten, um die Bahnverbindung zu retten, wie auf einem kürzlich in Abstimmung mit der Stadt Singen veranstalteten "Aktionstag Gäubahn" im Singener Kulturzentrum Gems klar postuliert wurde.
Die Forderung der Initiative, die erst im März dieses Jahres in mehreren Städten der Strecke gegründet wurde, ist relativ schnell auf den Punkt gebracht: "Warum bleiben wir nicht einfach oben?", wurde plakativ mehrmals in den Raum geworfen. Was auf die weit über eine Million Menschen, die hier entlang der Strecke wohnen, wie noch viel mehr, die im weiteren Einzugsbereich der Strecke leben, zukomme, sei ein "verkehrspolitischer Skandal", wurde gleich schon zu Begrüßung von Frank Distel, einem der Initiatoren, angesagt.
Um diese Forderung des "Obenbleibens", also den Kopfbahnhof über Stuttgart 21 zu erhalten, und von Vayhingen weiter über die sogenannte Panoramabahn nach Stuttgart reinzukommen, statt eben in Vaihingen auf die S-Bahn in Richtung Stadtmitte umsteigen zu müssen, die nach Ansicht der Gäubahn-Aktivisten schon jetzt als überlastet und unzuverlässig gewertet wird, ging es.
Um diese Forderung auch plakativ in die Öffentlichkeit zu tragen, wurden hier unter der Moderation von Monika Zimmermann aus dem Bundesvorstand des Verkehrsclubs Deutschland die Bundespolitiker und vor allem bahnpolitischen Sprecher ihrer Fraktionen aufs Podium geladen, um sie genau mit diesem Wunsch des "oben bleiben" zu konfrontieren. Teilgenommen haben Matthias Gastel (Grüne), Isabel Cademartori (SPD) und Michael Donth (CDU).
Freilich, darauf konnten sich diese nicht wirklich einlassen, denn der Pfaffensteigtunnel, der ja irgendwann mal die Gäubahn zum Flughafen führen soll, und der vor zwei Jahren noch "eine Milliarde Euro" kosten sollte, inzwischen mit 2,7 Milliarden Euro gehandelt wird, und den - im Gegensatz zur Politik - der ebenfalls auf Podium geladene ehemalige SBB-Chef Benedikt Weibel für "unbezahlbar" hält, scheint für sie inzwischen die Lösung zu sein.
Die von der ehemaligen Landtagsabgeordneten Veronika Netzhammer ausgesprochene Forderung, dass man hier angesichts der veränderten Sachlage nochmals eine Volksabstimmung durchführen müsse, wie damals zu Stuttgart 21, verhallte schnell. Netzhammer hatte damals für den Tiefenbahnhof geworben, aus heutiger Sicht sieht sie sich getäuscht.
Da widersprach Matthias Gastel: Für ihn sei in Sachen Stuttgart 21 schon der erste Knopf falsch dran gemacht worden, deshalb stimmten auch alle weiteren Knöpfe für ihn nicht, meinte er harsch. Und eigentlich hätten damals eben viele Politiker tatsächlich verdrängt, was auf die Gäubahn zukomme, denn die Aufgabe der Panoramabahn wie der Anschluss an den Flughafen, um dann von Osten in den Tiefenbahnhof einzufahren, sei damals Teil des Konzepts zur Volksabstimmung gewesen.
Freilich: Die Initiative glaubt überhaupt nicht daran, dass der neue Tiefenbahnhof S21 einmal wirklich funktionieren würde. Auf den Gleisen solle es nach ihren Informationen rund 100 Doppelbelegungen pro Tag auf den Bahnsteigen geben. Das heißt, dass sich diesen zwei Züge teilen müssen, was schon sehr viele Störungen provoziere. Auch über 100 Kilometer Tunnelstrecke, die durch den Tiefenbahnhof im Stuttgarter Talkessel nötig wären, müssen irgendwann gewartet werden und der Bahnhof sei damit abgehängt und der Betrieb stehe alternativlos still. Schon dafür sei ein Erhalt des Kopfbahnhofs aus ihrer Sicht wichtig.
Da ging der Blick wieder in die Schweiz, wo ja auch trotz des neuen Gotthard-Basistunnels der alte Tunnel erhalten blieb, der Gold wert war, nachdem im letzten Jahr dort eine Güterzug-Havarie für eine lange Sperrung gesorgt hatte. Diese Alternativen habe man hier rund um den Tiefenbahnhof nicht.
Die Hoffnungen der Gäubahn-Aktivisten richteten sich freilich nicht nur für diesen Abend auf Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, der im letzten Sommer politisch sehr laut Klage gegen die Gäubahn-Abkoppelung eingereicht hatte mit der Forderung, die alte "Planfeststellung", also die Nutzung der Panoramabahn in die Stadt auf den Kopfbahnhof anzuwenden. "Hier müsse nun wieder die Rechtssprechung für eine Entscheidung sorgen, die Politik und die Bahn nicht hinbekomme", wurde bei der von rund 200 Personen besuchten Versammlung scharf kritisiert.
Die Initiative insistierte freilich weiter, denn sie sieht auch die Inbetriebnahme des Tiefenbahnhofs nicht schnell kommen. Wahrscheinlich gehe das nur Stück für Stück, sodass es den Kopfbahnhof wahrscheinlich noch viele Jahre zum Ausweichen brauche - eine Zeit, in der auch die Gäubahn auf ihrer alten Route in die Stadt fahren könnte. Der Haken daran ist freilich, dass die Flächen der Strecke längst der Stadt Stuttgart versprochen sind, die dort auf Wohnbau setzen will und deshalb derzeit genau diese Fragen blockiert.
Auch werden weitere Debakel schon angekündigt. Interessanterweise gebe die Bahn für die Planung des Pfaffensteig-Tunnels richtig Gas, mit einem sehr hohen Personaleinsatz. Und genau das Personal fehle nun, um die schon seit Jahrzehnten versprochenen Verbesserungen auf der Gäubahnstrecke mit wenigstens drei zweigleisigen Abschnitten umzusetzen, von denen, acht Jahre nach dem Startschuss, die erste bei Horb noch nicht einmal fertig gebaut sei. Die zwei anderen Abschnitte liegen noch in weiter Ferne, wie der Bundestagsabgeordnete Andreas Jung am Schluss der Veranstaltung einbrachte.
Die krasse Frage war immer wieder, wie viele Fahrgäste am Ende noch übrigen bleiben, die unter den Umständen der nächsten Jahre die Fahrt nach Stuttgart noch auf sich nehmen wollen, nachdem der Schienenersatzverkehr der letzten Jahre ja schon für extrem viel Frust gesorgt hatte.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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