Färbe holt „Merlin“ in die Gegenwart
Mit Rap und Selinskyj-Shirts an die große Tafelrunde

Fionn Stacey (stehend), Alexandra Born, Elmar F. Kühling, Ralf Beckord (von hinten), Daniel Leers, Bianca Waechter an der Tafelrunde. | Foto: Eric Bührer/Färbe
  • Fionn Stacey (stehend), Alexandra Born, Elmar F. Kühling, Ralf Beckord (von hinten), Daniel Leers, Bianca Waechter an der Tafelrunde.
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Singen. Das Stück „Merlin – oder Das wüste Land“ hat Regisseur Klaus Hemmerle nach seiner Jugend in Singen immer wieder verfolgt und es war das erste, bei dem er vor rund 40 Jahren auf der Bühne des Züricher Schauspielhauses mitwirkte. Als das Stück auch noch neu war und die Sage um die Ritter der Tafelrunde, um die Suche nach dem Gral gerade auch Hochkonjunktur hatte. Damals, müsste man fast sagen. Nun hat Hemmerle das Stück, das ihn nach seinen eigenen Angaben im Sommerurlaub am steinigen Strand wieder einholte, in einer sehr eigenen Fassung in die Färbe geholt und die „Tafelrunde“ im Theaterraum aufgebaut.

Schon beim Auftakt bekommt es das Publikum in einer hochdramatischen Szene mit dem Teufel persönlich zu tun. Denn Bianca Waechter drückt sich „Hanne“, ein Riesenbaby, aus dem Leib, das auch schon gleich „erwachsen“ ist, eben Merlin (Elmar F. Kühling), der sogleich seine Initiation durch seinen teuflischen Vater im langen schwarzen Mantel (Ralf Beckord) erhält, der in seinen finsteren Rollen in diesem Stück so richtig diabolisch aufgeht. Und es geht gleich schon dramatisch weiter, denn der „Clown“ Bruder der Kindsmutter, die sich im Gegensatz zu Maria noch an die „Qualitäten“ ihres Verführers Unterwelt erinnert, beleidigt das Publikum derart, dass ein Gast den Raum unter Protest verlässt. Aber keine Angst: der Gast ist natürlich Stefan Wallraven und Komparse, der sich noch öfter in die Handlung einmischen wird.

Klar: hier gehts um die ganz großen Momente des Theaters wie der Weltgeschichte. Fionn Stacey, neu im Enspemble, bringt die „Beats“ ins Stück und operiert mit Deutschrap über den Nebeln der Geschichte, mutiert in der nächsten Szene zum König Arthur und zieht das Schwert aus dem Fels, als wäre es die Butter auf dem Tisch. Ja, die Tafelrunde, der Krieg, die Sehnsucht oder der Lebenssinn haben in der Schlacht zu sterben als Held, das wird hier fühlbar als Spur aus dieser Zeit, in der es gern um „alles“ ging, um den „wahren Kampf“, der von uns so lange weit weg gewesen war, dass die „Universial Soldiers“, die Daniel Leers in einer Szene mit der Gitarre besingt, beides können, für die Ukraine oder für Russland in den Krieg ziehen. Spätestens dann fällt es einem wie Schuppen von den Augen, dass hier zwar „alte Welten“ beschrieben werden, die aber freilich wieder in unsere Atemluft zurückgekehrt sind, und dass die „Tafelrunde“ inzwischen ein runder Tisch geworden ist.

Und Liebe und Eifersucht sind eben auch zeitlos, weniger von der Welt zu bekommen als Polio oder die Cholera: Die Frauen halt, die der Welt unmöglich machen, je Frieden zu bekommen, was aber wiederum an den Männern liegt. Ralf Beckord, zwischenzeitlich vom Teufel zu Lancelot mutiert, wird Liebhaber von Ginevra (Bianka Waechter), der Frau von Artus, doch ein Zauber sorgt dafür, dass er mit Elaine (Alexandra Born in ihrem Färbe-Debut) ein Kind zeugte, was zu einem heißen Aufeinandertreffen führt, in dem es vor Gift in der Luft nur so knistert. Daniel Leers, der hier auch mal als Morgraise mutiert, aber in der Begierde übersieht, dass Artus ihr Halbruder ist. Mordred (wieder Alexandra Born), das Leben, das aus dieser heftigen Liason entstand, wiederum wird Artus' Leben dann beenden wollen. Keine Frage, hier geht es heiß her, da wird getanzt, gekämpft, geliebt, gestorben, auf diesem runden Tisch, der das Herz dieser Inszenierung ist, die freilich den ganzen Raum der Färbe nutzt, in den Merlin flink wie ein Wiesel klettert, aus dem die Stimmen der Finsternis erschallen, aus der Finsternis in die Finsternis.
Das Original von Trankred Dorst wäre eine 15-Stunden-Langstrecke, viele kennen ja irgendwelche Filme aus diesem sagenhaften Stoff, mit viel Blut und Leid und den „wahren Helden“ der Welt, die den Krieg besiegen können, im Krieg und nicht im Frieden. Hier ist nun eine ganz eigene Position aus dem „wüsten Land“ entstanden, auch wenn der Handlungsstrang zwischendrin mal etwas zerfasert. Ein großer Wurf ist es – mit einem scharfen Schwert, ein schauspielerischer Stresstest, der die Zuschauer fesselt, schon wegen der Fragen der Helden und Heldinnen an sich selbst. Und den Frieden, den schaffen wir sowieso nie. Dafür schafft es das Ensemble, das für die Tänze von Ines Kuhlike von der Färbe-Ballettschule schrittsicher gemacht wurde, mit Intendatin Cornelia Hentschel als Dramaturgin, die Zuschauer brillant auf die Suche nach dem „Gral“, der immer herausblitzte aus den Szenen, mitzunehmen.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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