»Verlorene Bilder« in der Gems
Leere Rahmen – leeres Leben

Georg Mehlich als Curth Georg Becker mit den leeren Rahmen der »verlorenen Bilder« von seinem überdimensionalen »Alten Ego« (Andreas Klumpf) auf der Bühne der Gems. | Foto: Gems/Tina Keck
  • Georg Mehlich als Curth Georg Becker mit den leeren Rahmen der »verlorenen Bilder« von seinem überdimensionalen »Alten Ego« (Andreas Klumpf) auf der Bühne der Gems.
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Singen. Gerd Zahner hat mit seinen Theaterstücken über die braunen Abschnitte der Vergangenheit im Hegau schon so manches Salz in Wunden gestreut, die man entweder vergessen hatte oder sie lieber vergessen machen wollte, die aber dann doch genauso wieder weh taten wie damals. Nun hatte sich Zahner den Singener Künstler Curth Georg Becker (1904 - 1972) vorgenommen. Becker war als Künstler der expressionistischen klassischen Moderne der Nachkriegszeit und Protagonist der einstigen »Singener Kunstausstellung« doch immer wieder in Vergessenheit geraten, ist zurzeit aber in der Wahrnehmung wieder präsent, weil sein Geburtshaus in der Scheffelstraße gerade mit viel Aufwand saniert wird und dazu immer wieder die Frage gestellt wird, wie »original« dieses Haus bleiben sollte, oder überhaupt noch war.
Das künstlerische Leben Beckers hatte viele Stationen, die Kontakte zum späteren Leader der Hörimaler, Otto Dix, kamen in Düsseldorf zustande. Bilder von ihm galten in der Nazizeit als »entartet« und sechs Jahre war er im Krieg, inklusive Kriegsgefangenschaft in der damaligen Sowjetunion, aus der er 1946 zurückkehrte – als »einfacher Soldat«, der natürlich nicht nein sagen konnte. Seine Frau versuchte noch im Februar 1945, die Bilder aus seinem damaligen Berliner Atelier in Sicherheit zu bringen, doch genau den »Anhalter Bahnhof« hat es damals erwischt, 170 Bilder gingen verloren, die es fortan nur noch in seiner Erinnerung gab. Genau um diese »verlorenen Bilder« strickt Gerd Zahner einen Monolog von Curth Georg Becker, der als Theater in der ausgefeilten Inszenierung von Mark Zurmühle zum Dialog des Künstlers (Georg Mehlich) auf der Bühne mit (s)einem »Alten Ego« (Andreas Klumpf) auf der Leinwand über eine Videoinstallation von Aaron Bircher in verblüffener Präzision fasziniert. Doch die »Story« wandelt auf dem dünnen Eis vieler Vermutungen. Natürlich war Becker im »Schlachthaus Ukraine«, natürlich hat er das Grauen der Feldzüge erlebt, Gräber geschaufelt und könnte bei den Massakern dabei gewesen sein, müsste mindestens davon gewusst haben. Wie viele Menschen verloren vielleicht durch den Soldaten Becker ihr Leben? All das blieb in ihm, zumindest der Öffentlichkeit gegenüber. Zahner lässt Becker hier über das Feuer philosophieren, das den »Bög« an der Fastnacht verschlingt, über das Feuer, das eben diese 170 Bilder seiner früheren Schaffensphase zerstörte. Und über die Bilder, die er für Brot vom Bauern gemacht hat. Das Grauen blieb allem Anschein in ihm, seine Bilder sollten »gefallen«, legt Zahner hier in den Dialog auf der Bühne und Sätze wie »meine Erlösung ist das Vergessen« oder »Wem der Anfang fehlt, dem fehlt das Ende« oder wie in Anlehnung an den großen Rimbaud über die Gemetzel aus dem Ersten Weltkrieg mit »Ich werde ein Anderer bleiben«. Becker war danach einer derer, die wegen ihrer Kunst, das »Licht« zu malen, gerühmt wurden, viele seiner Zeichnungen vermitteln einen durchaus vielen Sinnesfreuden zugewandten Menschen. Zahner stellt Beckers Blau in einen emotionalen Mittelpunkt im Gespräch über die Bilder, die – übrigens installiert von Alexander Weinmann – leere Rahmen waren, weil man darüber genauso wenig weiß, wie sich Krieg und eigene Todesangst für ihn angefühlt haben. Klar, auch Zahner ahnt hier was, mit dem Grauen und den finsteren Kapiteln dieser Zeit hat er sich ja auch mit Leidenschaft befasst. Und wenn man sich so manche der Bilder Curt Georg Beckers anschaut, eben diese Sehnsucht nach Licht, dann spürt man irgendwie doch, was sich da abspielt, wenn nicht das Licht alles überstrahlen würde. Becker bleibt als Mensch – und deshalb auch in dem Stück –  ein Geheimnis. Da greift der Chronist ins Leere des Schweigens. Und gerade das macht ja dieses Werk nach den »verlorenen Bildern« in seiner »Unerklärlichkeit« wieder spannend. Als Maler war Becker zumindest Täter gewesen.
Das Stück löst wahrscheinlich in jedem der Zuschauer ganz andere Assoziationen aus. Den Künstler kann es nicht wirklich greifen.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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