Ein Trialog im Hospiz Horizont
Hinter dem Lindern des größten Schmerzes ist Zuversicht möglich

Iris Eggensberger und Beate Hager im vorweihnachtlichen Qochenblatt-Gespräch: Zuversicht hat hier im Hospiz eine existenziellere Bedeutung.  | Foto: Anatol Hennig / Wochenblatt
  • Iris Eggensberger und Beate Hager im vorweihnachtlichen Qochenblatt-Gespräch: Zuversicht hat hier im Hospiz eine existenziellere Bedeutung.
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Singen. Zuversicht hier, wo Menschen hingehen, um zu sterben? Ja. Iris Eggensberger leitet das Hospiz Horizont in der Singener Innenstadt und Beate Hager ist Trauerfachkraft des ambulanten Hospizdienstes Horizont. Sie sind, würde man in der Welt draußen sagen, Expertinnen für Zuversicht.

Hier drin im Hospiz geht es allerdings nicht um solche Marketing-Etiketten. Hier drin geht es um die Wahrheit menschlicher Existenz. Für Menschen, die hierherkommen, um den letzten Weg dieses Lebens zu gehen und für Menschen, die sich Angehörige nennen.
Trauer ist auf der einen Seite zu Recht ichbezogen, weil es „meine Trauer“ ist, sagt Beate Hager. Aber andererseits, sagt sie, „trauern wir über die soziale Beziehungen, die nicht mehr da sind“. Menschen fühlen sich nicht mehr ganz, weil ein anderer Mensch fehlt.“
Wie kann in solchen Situationen, kurz vor dem eigenen Tod oder nach dem Tod eines Angehörigen, Zuversicht entstehen? "Wir können Menschen einen Raum geben, ihre Zuversicht wieder zu entdecken, wahrzunehmen oder wachsen zu lassen“, sagt Iris Eggensberger.
Zuversicht habe Voraussetzungen. Als erstes, dass Bedürfnisse, Vorstellungen und Ängste wahrgenommen werden. Wie geht Bedürfnisse wahrnehmen? Hinhören und nicht nur zuhören, so Hager später im Gespräch. „Auf der Befindlichkeitskarte des anderen sein können“, sagt sie. Dabei bringt Mitleid niemand weiter, Mitgefühl, Empathie und Achtsamkeit gegenüber sich und den anderen schon.
Palliativmedizin, die Medizin, mit der auf den letzten Metern des Lebens Leid gelindert werden kann, kommt von Pallium, einem lateinischen Wort, was so viel wie Mantel heißt. Wer einen Mantel hat, geschützt ist gegen Kälte, Sturm und Regen, der kann zuversichtlich sein.
Und selbstwirksam, weil er nicht alle Kraft braucht, um zu kämpfen und um den Schmerz auszuhalten. „Es entsteht, wenn die Bedürfnisse gesehen werden“, sagt Iris Eggensberger, „Vertrauen auf das Leben, was jetzt lebbar ist.“ Und so ist Selbstwirksamkeit erst möglich.
Aber im Angesicht des Todes ist doch dann die Selbstwirksamkeit irgendwann vorbei? Nach meinen beiden Gesprächspartnerinnen nicht. Menschen haben Zukunftsbilder, zum Beispiel, dass sie jetzt ihren bereits verstorbenen Mann oder ihre verstorbene Frau wiedersehen können. Der Glaube an ein Leben nach dem Tod hilft, im Leben und am Lebensende Zuversicht zu bekommen, sagt
Eggensberger. Und die nicht Gläubigen? „Selbst, wer nicht an ein Weiter nach dem Tod glaubt, der kann sich vorstellen, welche Farbe das Nichts hat,“ sagt Eggensberger. „Und bis zum Ende dieses Lebens wird noch gelebt, da kann man Vertrauen haben in das, was noch lebbar ist.“
Was ist, wenn jemand einen Menschen dann verloren hat an den Tod? Der Trauerprozess ist wichtig, sagt Beate Hager: „Trauernde müssen auch in ihrer Trauer gesehen werden“. Wir glauben zu wissen, wie Trauer zu sein hat. Aber Trauer hat viele Gesichter, so Hager: „Trauer kann wütend machen, Angst machen, Schwere bedeuten.“ „Durch die Trauer muss man durch, um mit dem
Verlust leben zu können.“ Wenn man mit Menschen redet, was am Gehen locken würde und was hält, dann kommt die Zuversicht auf das, was hält, auf den Sinn im Leben, auf die Aufgaben,“ teilt Hager ihre Erfahrungen.

Nahe Angehörige würden vielmals sagen, dass die Situation schon kritisch gewesen sei für sie, „aber dann wollen Sie doch leben. Es hat noch nie jemand gesagt, ich will gehen.“ Bei all dem geht es um Würde. „Um eine Kultur der Sorge, um würdevollen Umgang mit sich und den anderen. Es geht darum, Sorge zu tragen.“ Iris Eggensberger sagt etwas, das einem nachdenklich machen kann: „Die Würde des Sterbenden beginnt bei der Würdigung der Menschen, die sich um ihn sorgen.“ Und Würde braucht auch Innehalten. Auch dann, wenn drum herum viel Stress ist. „Wenn ich weiß, es gibt eine sorgende Gemeinschaft, dann kann ich zuversichtlich sein, auch wenn ich weiß, dass ich mich der sorgenden Gemeinschaft zumuten darf.“

Nach dem Gespräch fällt beiden ein Zitat von Albert Schweitzer ein: „Du bist so jung wie Deine Zuversicht und so alt wie Deine Zweifel.“ Wir haben immer die Chance jung zu sein und wir müssen manchmal auch alt sein. In jedem Alter. Zum Schluss ist noch etwas wichtig: In so einem Hospiz wird sicherlich auch geweint, aber es wird auch viel gelacht. „Ich habe noch nie so viel Humor erlebt, wie bei Menschen am Lebensende“, sagt Iris Eggensberger.
Als ich nach dem Gespräch in die nasskalte Singener City heraustrete, denke ich: Würde und Zuversicht kann man genau hier lernen, im Hospiz, dort, wo es keine Fassade mehr gibt, hinter der man sich, seine Bedürfnisse und seine Ängste versteckt

Autor:

Anatol Hennig aus Singen

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