Polizeieinsatz in der Innenstadt
Gefahrstoff weiter unbekannt: Entwarnung erfolgte am Abend

Vor dem Cano-Gebäude in der Bahnhofstraße wurde eine Dekontaminationsstation eingerichtet, etwa 20 Betroffene gab es, die aber nicht als verletzt gewertet werden. | Foto: Fiedler
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  • Vor dem Cano-Gebäude in der Bahnhofstraße wurde eine Dekontaminationsstation eingerichtet, etwa 20 Betroffene gab es, die aber nicht als verletzt gewertet werden.
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Singen. Am Donnerstagvormittag, 16. Mai, begann ein Großeinsatz von Polizei und Rettungskräften in der Singener Innenstadt. Im Minutenabstand ertönten Sirenen, Fahrzeug nach Fahrzeug fuhr mit Blaulicht vor. Laut Pressestelle der Polizei ging es um den Austritt eines "noch unbekannten Stoffes", der hier Hunderte von Einsatzkräften in die Singener Innenstadt forderte.

Am Abend gab es dann zwar eine "Entwarnung" und auch die Meldung von der Verhaftung zweier Tatverdächtiger. Erst am nächsten Tag kam dann im Nachtrag die Meldung, dass die lokalisierte Substanz Bestandteil von handelsüblichen Pfeffersprays oder gar Pflanzenschutzmitteln sei, aber durchaus heftige Reizungen auslösen könne. Der Großeinsatz hatte in der Stadt aufgrund der Dimension und auch wegen der Länge durchaus für kritische Kommentare gesorgt, zumal zur Analyse der Substanzen sogar Kräfte aus Mannheim per Helikopter eingeflogen und Kampfmittelspezialisten des SEK aus Göppingen zum Einsatz gerufen wurden.

Schnell breiteten sich am Donnerstagmittag die Nachrichten zu einer besonderen Situation aus: Laut einem betroffenen Geschäftsinhaber hatte die Polizei Betroffene aufgefordert, ihre Geschäfte im Bereich des Herz-Jesu-Platzes zu räumen. Auch das Finanzamt und die Lutherkirche sollen geräumt worden sein. Auf dem Herz-Jesu-Platz waren Busse vorgefahren, um von dort die Insassen des Pflegeheims zu evakuieren, die in der Stadthalle untergebracht wurden.

Die Warnapp NINA gab am frühen Nachmittag die "Warnstufe Gefahr" heraus und sprach von einem Gefahrgutunfall, bei dem Schadstoffe freigesetzt wurden, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen könnten. Anwohner wurden aufgefordert, Türen und Fenster geschlossen zu halten und Klima- und Lüftungsanlagen auszuschalten. Eine Vielzahl von Landes- und Bundespolizisten sperrten den vermuteten Gefahrenbereich ab.

Nachdem die Sperrung am Anfang rund um den östlichen Teil des Cano gezogen wurde, wurde nach und nach ein großer Teil der östlichen Innenstadt gesperrt, auf der Freiheitstraße hatte sich ein beträchtlicher Stau entwickelt. Das Cano wurde zwischenzeitlich gegen 17 Uhr dann ebenfalls geräumt.

Die Polizei hatte am frühen Nachmittag eine erste offizielle Mitteilung herausgegeben. Demnach hatten gegen 13 Uhr Anwohner im Bereich einer Tiefgarage in der Ekkehardstraße/Thurgauerstraße Gasgeruch wahrgenommen. Bei einer ersten Überprüfung durch die Feuerwehr stellten diese den Austritt eines bislang unbekannten Gefahrenstoffs fest.

Um eine Gefahr für die Bevölkerung auszuschließen, sei die Innenstadt daraufhin geräumt und abgesperrt worden. Die Untersuchungen der Feuerwehr bezüglich des unbekannten Stoffes dauerten bis in die Nacht an. In den Aktionskreis der Befürchtungen wurde auch einbezogen, dass möglicherweise eine alte Weltkriegsbombe plötzlich an diesem Tag einen Defekt erlitten haben könnte, verschiedene Medien brachte dann gleich Nervengifte ins Spiel.

Das Polizeipräsidium hatte vor Ort Marcel Ferraro von der Pressestelle platziert, der den zahlreichen Medienvertretern und Fernsehteams zum aktuellen Sachstand Auskunft gab, wenn gleich er in der Frage des möglichen Gefahrenstoffs auch immer wieder vertrösten musste.

Ob ein Zusammenhang zu einer Reizstoffabgabe bei einem Vorfall in der Hegaustraße am späten Vormittag besteht, ist weiterhin in Abklärung. Gegen 10.40 Uhr am Donnerstag betraten laut Polizei zwei vermummte Täter eine Kanzlei und versprühten dort einen Reizstoff, der eine Person verletzte.

Anschließend flüchteten die beiden Männer. Im Rahmen der sofortigen Fahndung konnte ein am frühen Nachmittag festgenommen werden. Am Abend wurde in diesem Fall die Festnahme eines weiteren Tatverdächtigen bekannt gegeben. Beide Tatverdächtigen wurden auch am Abend wieder auf freien Fuß gesetzt. Fotos und Videos über eine Verhaftung unter großen Sicherheitsvorkehrungen machten bald die Runde. Die beiden Tatverdächtigen sollen 21 und 34 Jahre alt sein, ein mögliches Motiv liegt noch im Dunklen.

Den ganzen Nachmittag liefen Messungen dazu, um welchen Stoff es sich handeln könnte. Eine einstellige Zahl an Personen sei verletzt, so der Sprecher der Polizei zunächst vor Ort. 20 Personen seien möglicherweise kontaminiert, galten aber nicht als "Verletzte", sechs Personen hätten "Beeinträchtigungen". Die Personen wurden in einem speziellen Zeltbau dekontaminiert und danach in die Münchried-Sporthalle gebracht.

Beeindruckende Organisation

OB Bernd Häusler, der den ganzen Nachmittag unterwegs war und sich von Kreisbrandmeister Andreas Egger immer aktuell informieren ließ, zeigte sich beeindruckt von der Professionalität, mit der dieser Einsatz hier aufgebaut wurde, wie er in einem kurzen Statement am Abend betonte. Einen Einsatz in dieser Dimension habe er hier in der Stadt noch nie erlebt. Er sprach auch der Bevölkerung im betroffenen Gebiet seinen ausdrücklichen Dank für deren besonnene Reaktion aus. Diese Gefahrenlage habe auch deutlich gemacht, wie gut die Blaulicht-Organisationen auf solche Großereignisse vorbereitet seien.

Gegen 20.30 Uhr folgte schließlich die offizielle Entwarnung, Absperrungen gab es keine mehr und auch die geräumten Bereiche wurden wieder freigegeben. Laut der Meldung des Polizeipräsidiums Konstanz konnte durch Spezialkräfte "weder in einer Tiefgarage noch in den Räumen einer Anwaltskanzlei in der Hegaustraße ein Kampfstoff festgestellt werden".

Über den Tag hinweg waren verschiedene Kräfte des Polizeipräsidiums Konstanz in Einsatz, unterstützt von Beamtinnen und Beamten des Polizeipräsidiums Einsatz, der Bundespolizei, der Feuerwehren, des Rettungsdienstes und zahlreichen Mitarbeitenden des Landratsamtes Konstanz und der Stadt Singen - zusammen rund 600 Personen. Sie demonstrierte, wie ihre Arbeit für einen wirklichen Ernstfall vorbereitet ist. Der weite Einzugskreis der Alarmierung erklärt sich durch die Notwendigkeit, die lokalen Blaulicht-Organisationen für andere Ernstfälle einsatzbereit zu haben.

Autor:

Tobias Lange aus Singen

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