Färbe legt mit dem "Trafikant" bemerkenswerten Start in die Saison hin
Die kleine Welt wird einfach abgeführt

Färbe Traffikant | Foto: swb-Bild: Bührer/ Färbe
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Singen. Was für ein Auftakt in die Theatersaison 21/22 bei der »Färbe« in Singen: mit dem "Trafikant" wurden schauspielerisch klare Zeichen gesetzt mit einem Stück, dessen Dramatik aus der Zeit der Okkupation Österreichs durch die Nazis hier in der Basilika das Ensemble mitten im Publikum ausspielte.

Die Geschichte gibt es ja schon als preisgekröntes Buch und auch schon als Film - mit Bruno Ganz in einer seiner Paraderollen- aber hier in der Färbe hat die Inszenierung von Klaus Hemmerle nach der Vorlage von Robert Seethaler mit Färbe-Chefin Cornelia Hentschel in der Dramaturgie noch einmal eine ganz eigene Qualität entwickelt.

Die Geschichte des jungen Franz Huchel (Reyniel Ostermann), der von seiner Mutter (Dina Roos) vom Land nach Wien zu einem alten Bekannten geschickt wurde nachdem ihr finanzieller Gönner ersoffen war und der fortan eben beim Trafikanten Otto Trsnjek (Elmar F. Kühling) seinen Lebensunterhalt bestreiten soll und der dabei dem berühmten Siegmund Freud (Marcus Calvin) begegnet, der ihn ins Leben, vor allem in die Liebe zu den Frauen einführen soll, ist ein dramatisches Stück Zeitgeschichte. Darüber, wie Freiheiten zunehmend unter dem rigiden Trampeln der SS-Truppen scheitern, wie Menschen plötzlich verschwinden und nie wieder zurück kommen, höchstens noch in einer Kiste die »Überreste« den Angehörigen zugestellt werden. Da stockt einem als Zuschauenden schon öfter mal der Atem.

Besonders auch dadurch, dass hier ein exzellentes Ensemble im wahrsten Sinne zusammen spielt. Die Szenen etwa im Laden des Trafikanten als kleine Welt im großen Wien haben ihre besondere Qualität an der Grenze zwischen Kleinbürgertum und den Weltveränderern - und wo zu Schluss die neuen Machthaber einen rüden Schlussstrich ziehen. Milena Weber, die als Anezka die große Liebe des Franz Huchel wird, sich bald aber als Varieté-Tänzerin entpuppt und den jungen Mann zur Verzweiflung damit treibt etwa, reißt die Emotionen hin und her. Ober der wandelbare und perfekt gesetzt Ralf Beckord, der den Zynismus dieser Zeit gnadenlos auszuspielen versteht, wie auch Daniel Leers als Gegenpart in vielen Rollen zwischen Gut und Böse.

Und auch der Raum spielt eine gewichtige Rolle in dem Stück, denn so kann oft in mehreren Ebenen gespielt werden, weil es eben auch in der Dramaturgie immer wieder das Oben und Unten gibt. Besonders beeindrucken, wenn die »Truppen« über den Köpfen der Zuschauenden marschieren, der «Prater« mit einer wagemutigen Schaukelpartiesimuliert wird, oder Siegmund Freud, den der junge Franz mit den Zigarren aus dem Trafikanten besticht, um mehr über das Leben zu erfahren, dann vor seiner Flucht nach England - weil er ja ein Jude ist - das Leben in einer Wolke aus Zigarrenrauch zusammenfasst.

Einfach gesagt: so gut war Theater in der Färbe schon lange nicht mehr - und das bezieht sich nicht auf die Zwangspause und Theater unter Pandemiebedingungen, das doch eher zur Erheiterung beitragen wollte nach der Zeit des Abstands.

Gespielt wird der »Trafikant« Mittwoch bis Samstag, jeweils 20.30 Uhr. Kartenreservierung unter 07731/64646. Es gelten natürlich die 3G-Regeln und Maskenpflicht während der Vorstellung wie derzeit überall.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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