Selbstversuch bei der NZ Neu-Böhringen Singen
Den Narr in mir gefunden
Singen. Von außen den Närrinnen und Narren beim Umzug zuschauen kann jeder. Wie ist es jedoch, wenn man selbst für einen Tag Teil einer Narrenzunft ist und selbst im Häs steckt? Für das WOCHENBLATT habe ich den Selbstversuch gewagt und bin als Hansele mit der Narrenzunft Neu-Böhringen Singen beim Narrentag in Schlatt unter Krähen mitgelaufen.
Zu Beginn erst einmal etwas zur Geschichte des Vereins: Diese ist so einzigartig, dass man sie kaum glauben kann. Dabei hat laut Ulrike Wiese alles sehr klein angefangen: »1904 hat man bei einem Stammtischgespräch aufgrund des eigenen Unmuts über die Stadt Singen und den Umgang derer mit den Leuten im Osten der Stadt in Richtung Alusingen und Maggi kurzerhand eine eigene Gemeinde mit ihrem ersten Bürgermeister Dominik Weber ausgerufen.« Da man selbst eine geografische Nähe zu Böhringen hatte, nannte man sich fortan Neu-Böhringen. Die Proklamation hierzu fand am 11.11.1904 in der Wirtschaft »Zur Eisenbahn« statt, der erste offizielle Fastnachtsauftritt folgte ein Jahr später. Als Wappentier wählte man die Katze, da es damals alles noch ziemlich heruntergekommen war und viele streunende Katzen unterwegs waren. Als Figur wurde diese erst 1978 in „Neu-Böhringen“ eingeführt. Weitere Figuren der Zunft sind die 1953 ins Leben gerufenen Hansele, die an Till Eulenspiegel angelehnten Bajazzos, die Bürgerfrauen und Bürgergesellen, welche Wiese zufolge »als Leute aus dem normalen Volk heraus« gedacht sind, sowie die Narrenpolizei. Damals wurde man oft als Maggianer oder Alu-Fitting bezeichnet und hatte dadurch den Ruf als Arbeiterverein. »Dies ist bei uns auch heute noch ein Stück weit so, da jeder bei uns irgendwo anpacken muss, um das ganze Drumherum im Verein aufrechtzuerhalten«, so Wiese.
Närrischer Familienverein im Singener Osten
Bereits bei der ersten Anprobe des Häs beim Infoabend des Vereins eine Woche vor der geplanten Umzugsteilnahme merkte ich, dass es ein ganz anderes Gefühl ist, tatsächlich Teil einer Narrenzunft, in diesem Fall Teil der Figurengruppe der »Hansele«, zu sein. In diesem Moment war die Versuchung sehr groß, einfach kurz aus dem »Hüsli« der Neu-Böhringer zu stürmen, für Schabernack zu sorgen und somit gleich »mitzuarbeiten«. Hierfür fehlten jedoch einige Dinge, wie die traditionelle »Saubloddere«. Darüber hinaus spürte ich auch ohne Häs an diesem Abend, wie stark dieser Verein verbindet: »Wir sind nicht nur eine Gemeinschaft, sondern in dieser Hinsicht auch ein bisschen ein Familienverein«, erzählt mir Diana Alt, die bei den Umzügen auf den Narrensamen der Neu-Böhringer aufpasst. »Es herrscht bei uns ein unheimlich großer Zusammenhalt«, sagt der Vorsitzende Jörg Hanser. Dabei hat man es als Narr selbst nicht immer leicht, so wurde man bei Umzügen bereits mit Erbsen aus Spuckrohren befeuert oder die Katzen mit Rasierschaum beschmiert. »Das hat einfach nichts mehr mit Fastnacht zu tun und würde es unter Narren aufgrund der eingeschworenen Gemeinschaft nicht geben«, ergänzt Hanser.
Vom Redakteur zum Hansele
Am Sonntag, 5. Februar war es dann so weit: Der Umzug auf dem Narrentag in Schlatt unter Krähen stand an. Bereits bei der Anfahrt hatte ich beim Blick auf den vernebelten Hohenkrähen das Gefühl, dass das Mystische, welches ich schon als kleiner Junge direkt mit der Fastnacht in Verbindung brachte, heute ein Teil von uns sein wird. Zusammen mit den anderen Hansele und den restlichen Zunftmitgliedern wurde zunächst das närrische Schlatt erkundet und Bekanntschaften mit anderen Zünften aus der Umgebung gepflegt. Schon hier spürte ich: »Das ist eine echte Narren-Familie!«, da man immer nach seinen Närrinnen und Narren schaute und aufeinander aufpasste wie Diana Alt auf die Narrensamen. Die Nervosität jedoch stieg bei mir minütlich an – auch, weil ein Teil meiner Hansele-Hose immer wieder nach unten rutschte und somit die Fleckle ein bisschen dreckig werden ließ. »Alles halb so schlimm«, sagte mir mein Hansele-Kollege Sascha, »des isch bei mir auch meistens so.« Und mit einem Male war die anfängliche Nervosität auch schon wieder verflogen. Als ich mit den Neu-Böhringern bei mittlerweile einsetzendem Regen bei der Aufstellung angekommen war, bekamen wir von Jörg Hanser gesagt, wer von welcher Stelle aus zu laufen hatte. Die Hansele liefen demnach direkt hinter den Katzen als Letzte. Für mich in diesem Fall kein schlechtes Omen, denn das Beste kommt ja bekanntlich immer zum Schluss. »Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung und des habe mir beides nit«, scherzte ich noch mit Sascha kurz vor Umzugsbeginn. Als dann schließlich der Startschuss erfolgte und die Maske unten war, begann der Spaß. Von einer Sekunde auf die andere wurde ich zum Hansele und konnte nun endlich mit der »Saubloddere« am Stecken und meinen Kollegen jede Menge Schabernack treiben. Etwas, was ich mir im wahrsten Sinne des Wortes als Kind nie hätte erträumen können. Ich war auf einmal jemand ganz Anderes. Habe ich sonst immer als Bub die Süßigkeiten eingesackt, war es diesmal umgekehrt. Ich hatte eine große Freude dabei, den kleinen Kindern mit einem lächelnden »Lueg amol« die Taschen mit Gutsele – so nennt man Bonbons bei uns im Südschwarzwald – zu füllen. Auch, weil ich in diesem Moment genau wusste, wie schön es als Kind immer war und ich mich selbst als kleiner Bub vor Augen hatte.
»Hoorig« statt »Narri Narro«
Bei der Musik der »Ohre-Fetzer« tanzte ich stets im Takt mit, als gäbe es kein Morgen mehr. Auch die »Saubloddere« wurde entweder einem Erwachsenen auf den Poppes oder auf die Straße gehauen. Musste ich es doch meist immer bei meinen Familienmitgliedern anschauen und konnte noch selbst darüber lachen, konnte ich dies nun gemeinsam mit den Besuchern tun. Auch weil jeder am Straßenrand wusste, dass wir es als Narren nicht ernst mit ihnen meinen. Die Gemeinschaft Fastnacht war in diesem Augenblick für mich sehr spürbar. Mit den Schaulustigen sagte man den »Hoorig«-Spruch auf und belohnte die Kinder, die ihn mitsprachen. Es ist, um ehrlich zu sein, ein Spruch, an den ich, der als gebürtiger Schwarzwälder eigentlich nur »Narri Narro« kennt, mich erst noch gewöhnen muss. Die Brauchtums- und Traditionspflege jedoch hatte mich spätestens in diesem Moment fest im Griff und ich hielt sie fest – weil ich fest verschmolzen war in der Rolle und einfach nur großen Spaß hatte. Die alltäglichen Dinge ließ ich in diesen knapp 60 Minuten Umzug einfach mal zuhause. Dies versuchte ich, so gut es ging, als verkleideter Narr auch den Umzugsgästen zu vermitteln, was den Reaktionen derer nach auch sehr gut geklappt hat. Als wir bei der großen Bühne angekommen waren, kündigte Ulrike Wiese in ihrer Funktion als Landvögtin der Narrenvereinigung Hegau-Bodensee nebst OB Bernd Häusler mich persönlich an. Nachdem Sascha sie auf mich aufmerksam gemacht hatte, grüßte ich mit einem »Hoorig Uli!« umgehend zurück. Als Narr ist es eben üblich, dass man sich duzt. Der Bühnengruß und die Tatsache, dass sich meine Fahrerin Annalena als Katze, mit der ich während des Umzugs tanzte, entpuppte, unterstrich nochmal eindrucksvoll das Wir-Gefühl, welches in der Fastnacht, allen voran jedoch bei der Narrenzunft Neu-Böhringen seit jeher herrscht und wie klein diese bunte, närrische Welt im Gesamten doch ist. Ich kann nach diesem fantastischen Erlebnis jedem Fastnachtsbegeisterten, wie ich es bin, aber auch Laien nur raten, ebenfalls selbst den Versuch zu wagen und in ein Häs zu schlüpfen. Nur dann weiß man wirklich, wie groß die Fastnachtsfamilie wirklich ist und dass man nichts Schlimmes befürchten muss. Versprochen!
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Autor:Philipp Findling aus Singen |
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