Die Glückspilze der Caritas Singen-Hegau
Beflügelnde Begeisterung
Singen. Mit dem ganzen Trubel zur Fastnacht kann ich ehrlicherweise nicht viel anfangen. Das fängt schon damit an, dass ich in einer »Faschings-Zone« aufgewachsen bin, aber auch dafür kann ich mich nur mäßig begeistern. Dabei kann ich gar nicht so genau sagen, woran das liegt. Und es fasziniert mich umso mehr, wenn Menschen voll in dieser Zeit aufblühen. Ein Termin, auf den ich in diesem Aspekt besonders gespannt war, waren die Glückspilze der Caritas Singen-Hegau.
Die Glückspilze sind eine Gruppe von Menschen mit Einschränkungen, die entweder in den Außenwohngruppen Laurentius, Christophorus und Katharina, dem Haus St. Clara oder beim Ambulant Betreuten Wohnen durch die Caritas Singen-Hegau betreut werden. Organisiert von und mit Martina Kaiser läuft die in diesem Jahr etwa 40 Personen zählende Gruppe, verstärkt durch Angehörige, Ehrenamtliche und Personal, seit einigen Jahren an dem Singener Kinderumzug am Fastnachtssamstag mit.
Als ich am Samstag, 4. Februar, vor dem Haus Laurentius stehe und klingle, ist gleich hörbar, dass drinnen einiges los ist. Schon bei der Terminabstimmung hatte mir die Projektleiterin mitgeteilt, dass alle ganz aufgeregt wären, vor dem Umzug ihr Kostüm anziehen zu dürfen. Aufgeregt waren sie dann auch, als ich den Raum betrat, ein Raum, geschmückt mit einer bunten Girlande, auf dem Tisch zwei Teller, voll beladen mit Berlinern, und aus einem Lautsprecher dröhnte die typische Fastnachts-Musik. Anfangs war ich von diesem Empfang etwas geplättet, aber die anwesenden BetreuerInnen zeigten sich sehr fähig, dieses Durcheinander schnell zu organisieren. Und so saß ich dann ein paar Minuten später – zunächst in angespanntem Schweigen – an einem Tisch mit etwa zwölf Menschen aus der Truppe der Glückspilze.
Die Glückspilze
Nach und nach stellte sich die fastnachtsbegeisterte Gruppe vor, erst jeder einzeln, dann die Glückspilze als Ganzes. Ihr Kostüm tragen sie immer ein paar Jahre hintereinander. Beim Start des Projekts im Jahr 2008 waren das noch Kühe gewesen, die für die damals über 50 Teilnehmenden selbst genäht wurden. Dieses Jahr werden sie wohl ein letztes Mal als Glückspilze beim großen Umzug durch die Stadt Singen ziehen, denn nächstes Jahr soll eine neue Verkleidung her. Das ist aber auch eine Kostenfrage, da die meisten der Glückspilze ihre Kostüme von ihrem Taschengeld bezahlen. Doch Martina Kaiser betont, dass die Caritas es jedem ermöglicht mitzumachen, wenn er möchte. Neben dem Kostüm sparen die Umzugsteilnehmenden auch, um Bonbons zu kaufen, die sie dann in die Menge werfen. »Das Werfen mussten wir etwas üben, damit nicht schon am Anfang des Umzugs alles weg ist«, lacht die Projektleiterin. »Inzwischen klappt das aber ganz gut!«
Als ich nachfrage, ob die Gruppe denn auch einen Spruch zur Fastnacht hat, merke ich auf jeden Fall, dass sie den nicht mehr üben müssen. Prompt und (fast) unisono tönt mir da ein »Hoorig, hoorig« entgegen, die Begeisterung für die Fastnacht wird spürbar. Die bringt auch Ulrika Weggenmann auf den Punkt, denn: »Wenn man einmal angefangen hat, hört man nicht mehr auf.« Immerhin ist sie selbst schon seit der ersten Stunde, im Jahr 2008, dabei. Und auch abseits vom Fastnachtssamstag sind die BewohnerInnen in anderen Kostümen am Rand einiger Umzüge zu finden, egal ob beim Höriumzug oder in der Fastnachtswoche ab dem Schmotzigen Dunnschtig. Ein Höhepunkt sei auch die Party am Freitag im BeTreff der Lebenshilfe, bei der gern auch mal mit dem Poppele getanzt werde, berichtet Martina Kaiser.
Was gefällt euch an der Fastnacht?
Für die einen geht es an der Fastnacht ganz klar um die Gemeinschaft, darum, unter Leuten zu sein. »Da ist dann nicht überall nur tote Hose und alles grau!«, ruft zum Beispiel Ulrika Weggenmann. »Da geht es um den Spaß an der Freude, am Verkleiden und man erlebt mal was anderes.« Viele empfinden den Umzug mit den vielen Menschen am Rand, die zuschauen, applaudieren oder anderweitig mitmachen, als etwas ganz Besonderes, auch Marc Nowak: »Am Ende gibt es noch für alle was zu essen und auf dem Marktplatz ist richtig was los.«
Selbst danach gab es die letzten Male dann noch die beliebte »After-Umzugsparty« im Haus Katharina mit der Guggenmusik Ohrebuzer aus Beuren.
Denn für andere ist genau das, die Musik und das Tanzen während dem Umzug und danach auf der Party, das Tolle an der Fastnacht. Ganz besonders begeistert von Schlager, Guggen- und Fastnachtsmusik ist Ralf Schlusemann. Gerade die Guggen mag er sehr gerne, weil sie »gute Stimmung machen.« Da sein Cousin in einer Gruppe mitspielt, kann er sich schon seit seiner Kindheit dafür begeistern. Darüber hinaus hatte eine Gruppe aus der Caritas-Werkstatt St. Pirmin bereits mehrere Male als »Sergeant Pirmin's Lonely Heart Club Band« bei der jährlichen SWR-Suche nach dem nächsten närrischen Ohrwurm ihren Auftritt.
Hier ein Video über die Vorbereitungen dafür aus dem Jahr 2014:
Dabei hat sich auch bei den klassischen Fastnachtsvereinen die Inklusion mittlerweile etabliert, das freut Martina Kaiser umso mehr. Auch sei das Engagement der Poppele-Zunft für den Samstagsumzug der Impuls für die Entstehung der Caritas-Gruppe gewesen. Für sie selbst wiederum sei die Fastnacht nicht von allzu großer Bedeutung. Warum dann dennoch diese »logistische Meisterleistung« aller Helfenden und Mitarbeitenden, um die BewohnerInnen zu schminken, zu kostümieren und zu den Umzügen zu begleiten? »Die Freude, die sie an der Fastnacht haben, beflügelt einen so, dass man alles mitmacht«, bringt sie ihren Antrieb selbst auf den Punkt.
Mein Fazit
Und ganz ehrlich: Das verstehe ich sehr gut. Als ich gut eine Stunde später das Haus Laurentius verlasse, hat sich an meiner Grundeinstellung wenig verändert. Doch dieser Aufrichtigkeit und Vorfreude konnte selbst ich mich nicht entziehen.
Fastnacht steht wie wohl kein anderes Fest für Vielfalt und dafür, dass man so sein darf wie man ist. Es bietet die Möglichkeit, sich auszuprobieren, aus der üblichen Rolle heraus- und vielleicht in eine neue hineinzuschlüpfen. Hinter dem ernst erhobenen Zeigefinger steckt auch immer ein Augenzwinkern und es wird selten über-, sondern eher miteinander gelacht. Ja, ich habe gemerkt, dass ich von dieser Glückspilz-Bande noch einiges lernen kann. Ein Glück fängt die Fastnacht gerade erst an.
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Autor:Anja Kurz aus Engen |
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