Hallo und guten Tag
Mehr Kaschmirwolle als es Ziegen dafür gibt

Meine Chefin hat in den letzten Tagen und Wo-chen viel Post bekommen. Zahlrei-che Kataloge – angefordert oder nicht – landeten in unserem Briefkasten. Die allerbeste Ehefrau braucht nach ihren eigenen Worten »für den kommenden Winter etwas Neues«. Gemeinsam mit ihrer Freundin Marianne wollte sie deshalb in den Katalogen danach suchen. Von meinem Platz aus beobachtete ich das Geschehen und bald schon hatten die Beiden das Objekt der Begierde entdeckt. Eine Strickjacke aus Kaschmirwolle sollte es sein. Einzig der stolze Preis machte meine Leibköchin stutzig und ließ sie zögern. Marianne fand den Preis nicht zu hoch, schließlich war die Jacke aus zehnfädiger Kaschmirwolle ge-strickt und hatte zu allem ein wunderschönes Muster. »Du musst immer daran denken, dass die Wolle von den gehörnten, schlappohrigen Kaschmirziegen stammt. Bis heute ist es trotz mehrerer Versuche nicht gelungen sie in Europa anzusiedeln. Deshalb kommt die Wolle weiterhin aus der Mongolei, China und Indien. Die Gewinnung der Wolle ist sehr auf-wändig. Das Fell wird während des Fellwechsels ausgekämmt. Eine Ziege gibt etwa 150 Gramm Wolle ab. Die Wolle wird dann von Hand nach Farben sortiert; außerdem werden Verunreinigungen entfernt. Dann wird das grobe Deckhaar entfernt, damit nur die feine Unterwolle übrig bleibt und daraus werden dann Stoffe gewoben oder gestrickt. Für einen Pullover wird die Wolle von vier bis fünf Kaschmirziegen benötigt. 6.000 Tonnen Wolle etwa werden nach Aussagen der Fachleute pro Jahr aus dem Fell der Kaschmirziegen gekämmt. Verkauft wird unter dem Namen Kaschmir aber ein Vielfaches da-von. Die kostbare Kaschmirwolle wird nach den Feststellungen der Experten nicht selten mit Schafwolle oder Recyclingmaterial gestreckt. Das war vor Jahren schon in einem Artikel des FOCUS zu lesen. 70 Prozent der als Kaschmir gekennzeichneten Artikel sollen zu wenig oder gar kein Kaschmir enthalten«, erzählte Marianne. »Du willst doch sicher sein, dass Deine Jacke tatsächlich aus Kaschmirwolle ist oder nicht?«. Meine Chefin hatte jetzt noch mehr Bedenken wegen des Kaufs. Wer garantiert ihr, dass die schöne Jacke tatsächlich aus Kaschmirwolle ist? »In Deutschland muss ein ausschließlich mit Kaschmir bezeichnetes Produkt mindestens 85 Prozent Kaschmirwolle enthalten. Nur Waren höchster Güte aus reiner Kaschmirwolle dürfen die Bezeichnung 100% Kaschmir tragen«, weiß Marianne. Ich verstehe die Zweibeiner manchmal nicht. Es gibt Alpaka-, Angora- und Kaschmirwolle, Schurwolle und Lambswool sowie Merino- und Mohairwolle. Weshalb will jetzt alle Welt nur noch Kaschmirwolle tragen? Wird dadurch nicht direkt zum Betrug aufgefordert?

In diesem Sinn bis zum nächsten Mal, Ihr bunter Hund.

Autor:

Redaktion aus Singen

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