Hallo und guten Tag
Eine Pleite ohne Insolvenzmasse
Vor einigen Tagen hatte ich mit meinem Kumpel Struppi eine längere Diskussion. Mein Freund vertrat die Auffassung, dass die Zweibeiner das Wort gerecht oft in den Mund nehmen und den Begriff nur arg strapazieren würden. Auf meine Frage was er denn unter gerecht oder Gerechtigkeit verstehe, bekam ich nur eine vage Antwort. Ich selbst wusste auch keine passende Formulierung und deshalb beschlossen wir Bruno Bernhardiner zu besuchen. Der Professor konnte uns bestimmt eine Erklärung geben. "Also", legte unsere Intelligenzbestie los, "in der christlichen Ethik bedeutet Gerechtigkeit (Rechtschaffenheit) die Befolgung der göttlichen Gebote". Über Platon gelangte er dann zur Gerechtigkeit im engeren Sinn. Laut Bruno ist Gerechtigkeit die Verhaltensweise, die durch die Rücksicht auf die Rechte anderer bestimmt wird; ja und dann gibt es da noch die aktive und die passive Gerechtigkeit, nicht zu vergessen die Gerechtigkeit im juristischen Sinne. Der Professor dozierte dann noch über die Gerechtigkeit des Glaubens und die Gerechtigkeit Gottes. Zum Schluss wies er uns noch darauf hin, dass bei der Gerechtigkeit im juristischen Sinn auch der Billigkeit Rechnung getragen werden muss, weil es sonst zur Ungerechtigkeit im ethischen Sinn führen kann. Wir waren sprachlos. Bruno, unser Lexikon auf vier Pfoten, wusste wie immer Bescheid. Doch die Sache mit der Gerechtigkeit im juristischen Sinn und die Forderung nach Billigkeit ließ Struppi keine Ruhe. Damit habe er Probleme, er begreife das einfach nicht. Die Urteile, die da in den letzten Tagen und Wochen ergangen wären, hätten nach seiner Meinung nichts mit Gerechtigkeit im juristischen Sinn zu tun. Da legt Franjo Pooth eine Pleite mit ungefähr 19 Millionen Euro hin; er wird wegen Bestechung, Vorteilsgewährung, Untreue und Insolvenzverschleppung zu einem Jahr Haft auf Bewährung und zur Zahlung eines Strafbefehls von 100.000 Euro verurteilt. Außerdem hat er der Sparkasse eine Million Euro zu zahlen. Durch den Insolvenzverwalter erfuhren die Gläubiger, dass pro 100 Euro Forderung gerade noch eine Insolvenzmasse von 37 Cent vorhanden ist. Da ist der Strafbefehl mit 100.000 Euro doch ein echtes Schnäppchen oder nicht? Versteht man das unter Billigkeit? Die Gläubiger, die ihr Geld nicht mehr kriegen, werden ihre helle Freude haben. Außerdem würde meinen Freund interessieren woher denn die Kohle für den Strafbefehl und für die Zahlung an die Sparkasse kommt, wenn der Mann so hoch verschuldet ist. Also, ganz Unrecht hat Struppi da ja nicht. Der thüringische Ministerpräsident hat einen schrecklichen Unfall mit tödlichem Ausgang verursacht. Er wird zu einer Geldstrafe von 33.000 Euro- und zu einem Schmerzensgeld von 5.000 Euro verurteilt. Ist das Gerechtigkeit im juristischen Sinn oder wurde hier der Forderung nach Billigkeit Rechnung getragen? Und wie passt das mit dem Richterspruch zusammen, der eine Verdachtskündigung gegen eine Kassiererin wegen 1,30 Euro bestätigte? Hier wurde doch der Forderung nach Billigkeit nicht Rechnung getragen. Wenn Richter wegen 1,30 Euro eiskalt eine Existenz vernichten, dann ist das schreiendes Unrecht. Da kann ich Struppi nur zustimmen. Könnte es sein, liebe WOCHENBLATT - Leserinnen und - Leser, dass der Forderung nach Billigkeit erst ab einer bestimmten Schadenshöhe Rechnung getragen wird? Ist Justitia wirklich blind? Nach diesen Urteilen muss man es glauben.
In diesem Sinn bis zum nächsten Mal, Ihr bunter Hund.
Autor:Redaktion aus Singen |
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