Spurensuche mit Susanne Eschenburg
Einzelkämpferin in gelebter Gemeinschaft
Kreis Konstanz (sw). Ihre Vereidigung zur Lehrerin. Einzigartig. Denn sie war die Einzige. Ihre Kollegen hatten zwei Tage zuvor im Schulamt Stockach, untergebracht im heutigen Rathaus und damaligen Landratsamt des Anfang der 70er Jahre noch bestehenden Landkreises Stockach, den Schwur auf die baden-württembergische Verfassung abgelegt. Sie weiß bis heute nicht warum. Das ist sie gewöhnt. Sie ist oft allein dagestanden – als Trägerin eines großen Namens, als Sozialdemokratin im tief-schwarzen Südbaden, als fortschrittliche Lehrerin.
Doch sie meistert alles mit links. Alles außer Schreiben. Das wurde der 1949 geborenen Linkshänderin zwangsweise mit rechts beigebracht. War so vorgeschrieben. War Teil des Lehrplans. Sie hat es gehasst und es geändert. Als sie 1972 ihren Dienst an der Sernatingen-Schule in Ludwigshafen antrat, weigerte sich die junge Lehrerin, den sechs Linkshändern ihrer 38 Schüler starken Klasse das Schreiben mit der rechten Hand einzutrichtern. »Gut«, meinte der Rektor, »aber wenn der Schulrat kommt, klären Sie das ganz allein.« Der Schulrat kam. Die fünf sauber und schön schreibenden Linkshänder waren da, der mit dem schmierenden Gekrakel fehlte just an diesem Tag. Und unerwartet klopfte ihr der gefürchtete Schulrat anerkennend auf die Schulter. Mit ihrem Beruf und ihrem Wohnort Bodman-Ludwigshafen hat sie das große Los gezogen. In der Politik nicht immer. Während ihrer Studienzeit war sie eine gemäßigte 68erin: Demos und Sitins ja, Besetzungen und Gewalttaten nein. Politisch engagieren wollte sie sich auch, als sie 1972 an den See kam. Doch: »Die SPD schien hier nicht zu existieren.« Sie suchte. Und fand. Fand den SPD-Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Konstanz – Fritz-Joachim Gnädiger. Er verwies sie an den SPD-Ortsverein Stockach, geführt von Karl Imhäuser. Kriegsblind, ohne Augenlicht, aber politisch klarsehend. Er hatte Helfer – einen Fahrer, und jemand, der ihm vorlas. Zudem erkannte er die Menschen an der Stimme und konnte ohne Notizen aus dem Kopf gut argumentieren. Alsbald gründete sich in Stockach eine Juso-Arbeitsgemeinschaft mit 25 Mitgliedern.
Argumente halfen Susanne Eschenburg nicht, als sie bei den Kommunalwahlen 2014 für den Gemeinderat in Bod-man-Ludwigshafen kandidierte. Die CDU hatte exakt drei-mal so viel Stimmen wie die SPD. Nach dem Höchstzahlenverfahren nach Sainte-Laguë und Schepers erhielten da-durch die beiden Parteien im-mer die gleichen Höchstzahlen, auch beim letzten, dem 16. Platz. Das Wahlergebnis brachte keine eindeutige Entscheidung, was extrem selten vorkommt. Nach der Wahlordnung musste das Los entscheiden - für Monika Karle von der CDU. Das nahm sie sportlich: Sie gönnte der Christdemokratin als fähiger Mitbewerberin den Erfolg.
Engagiert war sie stets. Doch nicht immer trug sie den gleichen Nachnamen. Zur Zeit ihrer Eheschließung mit Wolfgang Eißer mussten Ehefrauen den Namen ihres Mannes annehmen – als einziges Zugeständnis war ein Doppelname erlaubt. Also hieß sie viele Jahre lang Eißer-Eschenburg. Doch als per Gesetz erlaubt wurde, dass beide Ehepartner ihre Geburtsnamen behalten können, nannte sie sich wieder nur Eschenburg. Denn: »Der Ehename ist ein Relikt aus der Sklavenzeit und die ist vorbei. Er symbolisiert, dass die Frau mit der Eheschließung aus der Vormundschaft des Vaters in die des Ehemanns übergeht.« Sie ging ihren eigenen Weg. Nach dem Examen in Göttingen kehrte sie nach Baden-Württemberg zurück, »das sich lange Zeit gar nicht als ein zusammengehörendes Bundesland empfand«. Zum 60-jährigen Landesjubiläum 2012 fragte sie ihre Schüler, zu welchem Landesteil denn Ludwigshafen gehöre. Manche meinten »Württemberg«, andere waren sich unsicher. Ein einziger Junge meinte: »Baden natürlich.« Seine Eltern stammen aus Kasachstan. Das ist für Susanne Eschenburg gelebte Integration. Für Susanne Eschenburg ist das gelebte Integration. Sie macht alles mit links. Auch das Denken.
»Er war kein Held«
WOCHENBLATT-Interview mit Susanne Eschenburg
Kreis Konstanz (sw). Das WOCHENBLATT sprach mit Su-anne Eschenburg, der seit 1972 in Bodman-Ludwigshafen lebenden Tochter von Theodor Eschenburg, über ihren Vater. Dem zuvor hochgeachteten Staatsrechtler und Politikwissenschaftler wurden nach seinem Tod Verstrickungen in die Verbrechen des Dritten Reiches vorgeworfen.
WOCHENBLATT: Wie war das Verhalten Ihres Vaters im »Dritten Reich«?
Susanne Eschenburg: Er stand in deutlicher Distanz zur Nazi-Ideologie, war niemals Parteimitglied, pflegte über lange Zeit die Kontakte zu den jüdischen Freunden weiter, aber er war kein Widerstandskämpfer, kein Dietrich Bonhoeffer, der bereit war, sein Leben für seine politischen Überzeugungen zu geben. Auch kein innerer Emigrant. Von Haus aus war er ein ängstlicher Mensch, bestimmt kein Held. Aber er hat sich auch nie so dargestellt. Sein Verhalten könnte man als geschicktes Durchmogeln bezeichnen.
WOCHENBLATT: Theodor Eschenburg wurde 2011, zwölf Jahre nach seinem Tod, in einem Aufsatz in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft von Rainer Eisfeld vorgeworfen, an der Verdrängung von Juden aus ihren Geschäften und der Einziehung ihrer Vermögen während der NS-Zeit beteiligt gewesen zu sein. Als Leiter einer Vorprüfstelle soll er an »Arisierungen« und »Entjudungen« mitgewirkt haben. Stimmt das?
Susanne Eschenburg: Die Quellenlage ist schwierig, denn viele Unterlagen sind durch Bombardierungen während des Weltkriegs, Vernichtungen, Brände und Auslagerungen verloren gegangen. Aber als Leiter von zwei Vorprüfstellen wurde er zu »Arisierungen« und »Liquidierungen« von Betrieben jüdischer Eigentümer befragt. Entscheidungen trafen andere. Drei Fälle sind bekannt: Als der Unternehmer Wilhelm Fischbein 1938 einen Pass für geschäftliche Auslandsreisen haben wollte, empfahl mein Vater zunächst, diesen zu verweigern. Eine Woche später schrieb er einen fünfseitigen Brief an das Reichswirtschaftsministerium, in dem er vehement forderte, Herrn Fischbein einen Pass, ja sogar eine Ausreisegenehmigung, zu erteilen. An den Spekulationen über den Sinneswandel mag ich mich nicht beteiligen. Aber hier hat er eine gute Figur gemacht. Über die Enteignungen von Alfred Auerhahn und Max Blaskopf ist viel weniger bekannt. Fakt ist: Mein Vater empfahl die Liquidierung, das heißt Stilllegung der beiden Wiener Unternehmen. Alfred Auerhahn ist dabei kein Schaden entstanden. Max Blaskopf und seine Frau lebten danach in ärmlichen Verhältnissen. Ob mein Vater eine reelle, einigermaßen ungefährliche Chance hatte, sowohl »Liquidierung« als auch »Arisierung« abzulehnen und stattdessen zu verlangen, den jüdischen Eigentümern ihre Firmen zu lassen, kann ich nicht beurteilen.
WOCHENBLATT: Hat er sich mitschuldig gemacht?
Susanne Eschenburg: Das ist im Jahr 2016 an einem warmen Septembertag, an dem wir ohne Furcht hier im Garten sitzen, schwer zu beurteilen. Bedenken Sie, in der Nazi-Zeit wurde eine Atmosphäre von Angst und Schrecken verbreitet. Viele Menschen wurden inhaftiert und umgebracht. Die Frage ist, wo Schuld und Verstrickung beginnen. Er stand sicherlich nicht an vorderster Stelle. Er war auch nicht an Gräueltaten im Krieg oder in KZs, auch nicht während seiner kurzen SS-Mitgliedschaft, beteiligt. Aber er übte seinen Beruf zum Wohle der Kurzwaren-Industriellen mit großem Engagement aus. Damit war er ein Teil der NS-Wirtschaft und nützte damit auch dem Regime. Das hat er übrigens selber sehr klar in seinen Erinnerungen geschrieben. Er mied die Nähe zur Ideologie und Praxis der Machthaber. Er verkehrte mit jüdischen Freunden und Geschäftspartnern und versuchte, ihre Situation nicht auszunutzen. Man könnte das als distanzierte Koexistenz, als Gratwanderung oder Eiertanz bezeichnen. Ihre Frage nach der Mitschuld kann ich nicht beantworten.
Kurz-Biografie
Theodor Eschenburg, 1904 in Kiel geboren und 1999 in Tübingen verstorben, war ein bekannter Staatsrechtler, Förderer des Schulfachs Gemeinschaftskunde, mitbeteiligt an der Gründung des Südweststaats, Verfasser vieler Schriften zur Zeitgeschichte und zur politischen Praxis, etwa zur »Herrschaft der Verbände«, Kolumnist der Wochenzeitschrift »Die Zeit«, Begründer der Politikwissenschaft in Deutschland und erster Lehrstuhlinhaber für dieses Fach an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Nach seinem Studium der Philosophie, Nationalökonomie und Geschichtswissenschaft arbeitete er bis 1933 beim Verein Deutscher Maschinenbauanstalten. Danach wurde er zu-nächst Teilhaber, später - als sein jüdischer Compagnion Berthold Cohn emigrieren musste – Alleininhaber eines Verbandsbüros in Berlin, das kleine Industrielle der Kurzwarenindustrie (zum Beispiel Knöpfe und Reißverschlüsse) bei Managementaufgaben und bei der Bildung von Abwehrkartellen unterstützte. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Flüchtlingskommissar für das Land Württemberg-Hohenzollern, 1952 wurde er trotz fehlender Habilitation der erste Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen. Lange nach seinem Tod wurde ihm seine Beteiligung an der »Arisierung« jüdischer Betriebe während der NS-Diktatur vorgeworfen und ein nach ihm benannter Preis wegen seiner Verstrickung in das Regime abgeschafft.
Von Simone Weiß
- Redaktion
Autor:Redaktion aus Singen |
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