Nachgeholter Palliativtag im Radolfzeller Milchwerk
Wenn die Luft vor dem Ende ausgeht
Radolfzell. Mit gut einjähriger, Corona geschuldeter Verspätung fand nun der 5. Palliativtag des GLKN, ausgerichtet vom Palliativ-Care-Team des Klinikums Konstanz, im Radolfzeller Milchwerk statt. Bewusst hatten sich die Veranstalter gegen eine digitale Veranstaltung entschieden, weil gerade im Palliative Care-Bereich die persönliche Begegnung wichtig sei, führte Dr. Ursula Kalhammer, Ärztliche Leiterin der Palliativstation Konstanz und Moderatorin des Nachmittags, in ihrer Begrüßung aus. Dass die Rechnung des Orga-Teams aufgegangen war, zeigte sich an der großen Resonanz der Veranstaltung. Rund 100 Beschäftigte aus dem stationären und aus dem ambulanten Bereich waren zur Präsenzveranstaltung gekommen. Diese widmete sich auf unterschiedliche Weise dem Thema "Luft und Atmen" - in der Palliativversorgung ein bedeutendes Thema, haben doch nicht wenige Patienten Luftnot und Angst davor. Eine kleine Industrieausstellung im Foyer des Milchwerks rundete die Veranstaltung ab.
GLKN-Geschäftsführer Rainer Ott freute sich über das große Interesse am Palliativtag und betonte, dass gerade in der Pandemiezeit die Herausforderungen für die MitarbeiterInnen der Palliativmedizin nochmals deutlich größer waren, spiele doch im Palliativbereich die Nähe zum Patienten eine große Rolle. Er dankte dem ganzen Palliativ-Care-Team für das große Engagement zum Wohle der Patienten. Er dankte auch Dr. Ursula Kalhammer und dem Orga-Team sowie den Referenten und Sponsoren für das Zustandekommen und Gelingender Veranstaltung. Prof. Jörg Glatzle, Chefarzt der Viszeralchirurgie und Leiter des Krebszentrums am Klinikum Konstanz, blickte auf die Pandemiezeit zurück und erinnerte daran, dass das Sterben in Einsamkeit ein großes Thema am Klinikum Konstanz gewesen sei.
Dr. Robin Benkelmann, Hämatoonkologe und Palliativmediziner am MVZ Konstanz, sprach als erster Referent des Nachmittags über das Thema "Wenn Atmen zur Not wird - Systemkontrolle bei Dyspnoe". Er machte klar, "Luft ist mehr als ein Gasgemisch" und zeigte die verschiedenen Dimensionen der Atemnot auf. Atemnot, die sich objektiv messen lässt, muss aber nicht dem subjektiven Befinden entsprechen und ist in der Palliativmedizin oft anders zu bewerten. Atemnot löst Angst aus, kann panisch machen, was die Atmung wiederum erschwert - ein Teufelskreis. Wenn die kausalen Ursachen nicht mehr therapierbar sind, dann kann eine Therapie mit Opiaten helfen, auch eine beruhigende Atmosphäre, die Mobilisation und anderes. Benkelmann gab einen umfassenden und informativen Abriss durch das ganze Thema Atemnot. Spezieller wurde es beim Vortrag von Atmungstherapeut Markus Kösler, der am Klinikum Konstanz in der II. Medizinischen Klinik arbeitet. Er widmete sich dem Tracheostoma und berichtete aus der Praxis über häufige Probleme des (klinischen) Alltags und gab praktische Tipps für das Handling und zeigte Lösungsmöglichkeiten auf. In der Palliativmedizin sei "unerschrockenes Handeln" angesagt, dafür braucht es jedoch ein gutes Fachwissen über die technisch aufwändige Behandlungspflege wie es bei Patienten mit Tracheostoma der Fall ist.
Nach der Pause sprach Sozialpädagogin und Supervisorin Sigrid Tomberg, die in Konstanz eine eigene Praxis für systemische Beratung, Coaching und Organisationsentwicklung hat. Sie referierte zum Thema "Damit dem Team die Luft nicht wegbleibt", denn auch den Teams, die sich um die Patienten kümmern, darf im übertragenen Sinne die Luft nicht ausgehen. Sie habe höchsten Respekt vor der Leistung der Anwesenden, denn gerade während der Corona-Zeit seien die Angehörigen zwangsweise oft ausgefallen und die Pflegekräfte und Mitarbeitenden in Kliniken, Heimen und ambulanten Diensten hatten noch mehr zu tragen. "Zum Glück waren Sie da" rief Tomberg den Anwesenden zu. Alle, die in der Palliativmedizin arbeiten, sind ständig mit Grenzerfahrungen konfrontiert, "empathisch sein, heißt immer auch mitschwingen". Die Begleitung Sterbender könne zur emotionalen Erschöpfung führen, denn loslassen sei anstrengend. Die Gefahr der posttraumatischen Belastungsstörung sei groß. Deswegen sei die Selbstfürsorge besonders wichtig. Um das innere Gleichgewicht wieder zu erlangen oder zu halten zeigte Tomberg verschiedene Möglichkeiten auf und wies auf den Zusammenhang zwischen körperlicher, psychischer, sozialer und Spiritueller Gesundheit hin. Ihr Appell: "Achten Sie Ihre Grenzen. Halten Sie inne und lassen Sie Stille zu" und "verlieren Sie die Freude nicht!"
Pfarrerin und Klinikseelsorgerin Louisa Mallig sprach im letzten Referat des Tages mit dem Titel "Ist da noch Luft nach oben" über die Möglichkeiten und Grenzen der spirituellen Kommunikation an Ende des Lebens. Mit eindrücklichen und berührenden Beispielen aus ihrem Alltag zeigte sie auf, wie sie Patienten bei deren Suche nach dem Verstehen der eigenen Situation begleite. Ganz still wurde es da im Saal. Mallig gab Impulse für die praktische Arbeit in der Palliativmedizin und ermunterte: Auch wenn im Pflegealltag wenig Zeit bleibe, so tue jede noch so kleine Erwiderung dem Patienten gut. Kleine Sätze, die dem Patienten zeige: "Ich habe mich auf Deine Welt eingelassen". Die Klinikseelsorgerin endete mit einem Zitat von Martin Buber: "Der Mensch wird im Du zum Ich".
Ganz praktisch wurde es zum Abschluss der pünktlich endenden Veranstaltung. Nach Dankesworten, Abschlussworten von Dr. Ursula Kalhammer und Geschenken für die Referenten und das Orga-Team, brachte Physiotherapeutin Andrea Geist Atmen und Bewegung zusammen und lud alle im Saal ein mitzumachen. Eine Aufforderung, der gerne alle folgten und bei einer kleinen, aber effektiven Übung ihren Atem fließen ließen.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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