Interview zu häuslicher Gewalt gegen Kinder in Zeiten von Corona
Wenn der Zufluchtsort geschlossen hat
Kindergärten und Schulen haben geschlossen. Für Kinder aus Problemfamilien kann dieser Zustand mitunter gefährlich werden. Das WOCHENBLATT sprach mit Thomas Geiger, dem Leiter des Amts für Kinder, Jugend und Familie im Landkreis, sowie mit Bärbel Wagner, Fachbereichsleiterin beim Diakonischen Werk, über diese Problematik.
Verzeichnen Sie im Zuge der Corona-Krise schon mehr Fälle von Gewalt gegen Kinder und Jugendliche?
Thomas Geiger: In den letzten drei Wochen haben wir keinen spürbar höheren Meldungseingang zu verzeichnen. Auch erkennen wir aktuell keine steigenden Falleingänge den Kinderschutz betreffend. Über die Gründe kann natürlich spekuliert werden, aber wir vermuten, dass dies maßgeblich damit zusammenhängt, dass Kinder und Jugendliche aktuell zuhause betreut werden. Die wesentliche Zahl von Meldungen erhalten wir üblicherweise über die Schulen von Lehrern oder Schulsozialarbeitern oder über die Kindertageseinrichtungen, wenn sich dort Auffälligkeiten zeigen. Das fällt momentan weg.
Bärbel Wagner: Wir betreiben mit dem Diakonischen Werk zwei Kinderwohnungen, in denen Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren normalerweise von 13 bis 18 Uhr betreut werden.
Das geht natürlich im Moment nicht. Aber weil wir auch die Befürchtung haben, dass hier häusliche Gewalt zu einem großen Problem werden könnte, versuchen wir so gut es geht Einzelbetreuung für die Kinder anzubieten und auch immer im konkreten Kontakt zu den Familien zu bleiben.
Herr Geiger, was passiert, wenn das Jugendamt darauf aufmerksam wird, dass Kindern in ihren Familien Gewalt widerfährt?
Thomas Geiger: Für den Kinderschutz haben wir ein standardisiertes Verfahren, das eine Risiko- bzw. Gefährdungseinschätzung vorsieht und dem sich erforderlichenfalls ein Schutzkonzept anschließt. Die Arbeitsweise hinsichtlich des Kinderschutzes hat sich nur um den Aspekt erweitert, dass wir noch genauer überlegen müssen, wie wir den Kinderschutz sicherstellen können und gleichzeitig für die unsere Mitarbeitenden keine gesundheitlichen Risiken entstehen. Konkret sieht dies so aus, dass wir bei Hinweisen auf Gewalt gegen Kinder zunächst im Team das Risiko für das Kind einschätzen. Wir werden mit Kind und Eltern Kontakt aufnehmen. In der Covid-19-Krise werden wir einen Hausbesuch nur dann durchführen, wenn wir keine andere Möglichkeit haben, mit den Eltern und dem Kind zu sprechen.
Das Wohl des Kindes ist nach wie vor nach den gesetzlichen Vorgaben in Kooperation mit den Eltern sicherzustellen, wir erarbeiten also mit den Eltern Möglichkeiten, wie der weiteren Misshandlung oder auch der häuslichen Gewalt entgegenwirkt werden kann und muss.
Ist es im Moment überhaupt möglich, Kinder in Pflegefamilien zu vermitteln?
Thomas Geiger: Grundsätzlich ist das Amt für Kinder, Jugend und Familien ja auch in der aktuellen Krisenzeit gefordert, für junge Menschen und Familien bei vorhandenem Bedarf einen alternativen Lebensraum anzubieten. Die bestehenden Optionen haben sich jedoch im Zusammenhang mit der Corona- Krise verschlechtert.
Können betroffene Kinder selbst etwas tun?
Thomas Geiger: Kinder und Jugendliche haben selbstverständlich die Möglichkeit, sich eigenständig bei uns zu melden. Falls dies nicht möglich ist, sollten sich Kinder an Vertrauenspersonen wenden, damit diese dann Kontakt zum Sozialen Dienst des Amtes für Kinder, Jugend und Familie aufnehmen kann. Während der üblichen Bürozeiten sind wir über die zentrale Rufnummer 07531/800–2700 erreichbar. Bei häuslicher Gewalt zwischen den Eltern kann auf jeden Fall die Polizei gerufen werden – in allen anderen Fällen auch.
Allerdings sollten Eltern sich selbst frühzeitig Hilfe holen. So bieten die psychologischen Beratungsstellen regelmäßig Telefonberatung an.
Auch hat unsere psychologische Beratungsstelle des Landkreises eine Telefon-Hotline eingerichtet. Montags, mittwochs und freitags von 10 bis 12 Uhr, dienstags und donnerstags von 14 bis 16 Uhr, können sich Kinder, Jugendliche oder Eltern ohne Voranmeldung über die Telefonnummer 07531/800–3211 oder –3311 direkt mit einem Familienberater verbinden lassen. Wichtig ist, dass Betroffene sich frühzeitig Hilfe holen.
- Dominique Hahn
Autor:Redaktion aus Singen |
Kommentare