IG Metall bilanziert ein gutes Jahr nach den Streiks vom letzten Januar
Metallindustrie zwischen Vollgas und bangem Warten
Singen (of). Es war eines unserer besten Jahre sagte Enzo Savarino bei der Jahrespressekonferenz am Mittwoch, denn die Streiks vor einem Jahr, die die IG Metall sehr intensiv und auch erfolgreich durchführte, hat der Gewerkschaft doch eine Menge neuer Mitglieder gebracht: „Wir hatten letztes Jahr 638 Neuaufnahmen, das war so viel wie in den letzten zehn Jahren nicht mehr“ so Savarino. Von 5.095 auf 5.372 zum Jahresende stieg die Zahl der Mitarbeiter-Mitglieder in den Betrieben an, mit den Rentnern und Arbeitslosen, die bei der Gewerkschaft bleiben, sei man inzwischen auf eine Marke von über 8.000 gekommen.
Was die Betriebe im Singener Sprengel betrifft, ist die Lage doch sehr unterschiedlich. Als “skandalös“ bezeichnete Raoul Ulbrich als zweiter Bevollmächtigter die Situation beim Singener Unternehmen Gohl, das in 2017 mit dem Konkurrenten KTK in Karlsruhe unter der Federführung der Cofinair-Gruppe verschmolz, in Singen aber nun rund 30 Leute mit einem Mini-Sozialplan entlassen will. „Da habe ich kein anderes Wort als „Riesensauerei“ dafür“, polterte Raoul Ulbrich, den das Unternehmen schon länger im negativen Sinn beschäftigt. Im Rahmen der Sitzung des Ortskartells haben die Betriebsratsvertreter eine Solidaritätserklärung verabschiedet. Joachim Graf von Betriebsrat sprach von Erpressungsversuchen mit Drohungen der Verlagerung nach Frankreich. „Der aktuell vorgelegte Sozialplan ist an Zynismus kaum zu überbieten“, so Graf. Bis im Juli soll hier die „Restrukturierung“ durchgepeitscht werden.
Das ehemalige „TRW Messmer“, dann ZF Radolfzell, das Anfang letzten Jahres durch einen Verkauf an ein chinesisches Unternehmen zu „BCS AIS“ mutierte. Muss derzeit Sorgen machen. Der letzte Verlauf ging weniger glatt über die Bühne als angekündigt. „Es ist sehr viel Personal abgebaut worden durch Aufhebungsverträge“, informierte Betriebsrätin Cristina Pereira. Fast 200 Mitarbeiter habe der Standort im letzten Jahr dadurch verloren seit dem Verkauf durch ZF. Aber auf der anderen Seite seien tatsächlich jetzt zum Jahreswechsel neue Aufträge reingekommen mit Regen-Licht-Sensoren für Audi, Renault und den PSA-Konzern, was doch eine Perspektive gibt. Diese Sensoren werden für andere Hersteller in Radolfzell seit mehreren Jahren bereits produziert.
Salvatore Valentino vom Amcor flexibles Betriebsrat zeigt sich zufrieden: 100 neue Mitarbeiter im letzten Jahr mit Arbeitsplatzsicherung für die nächsten fünf Jahre, ein Auftragseingang von 120 Prozent zeigen, dass das Unternehmen aktuell im höchsten Gang fährt. Constellium mit inzwischen 2.300 Mitarbeiter an den Standorten Singen, Gottmadingen und Dahnsfeld läuft auch derzeit mit Vollgas, sagte der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende, Wolfgang Bandel. Sorgen macht mehr die Altersstruktur, die nach einem eigenen Rentenmodell wie mehr Ausbildung ruft. „In einer Region mit zwei bis drei Prozent Arbeitslosigkeit wird es sehr schwierig neue Kräfte zu finden. Auch ein Personalchef fehlt nach wie vor am Standort, so Bandel auf Nachfrage. Und genau den bräuchte als Mittler zwischen Belegschaft, Betriebsrat und Geschäftsleitung – und um neue Fachkräfte zu gewinnen, die man in anderen Regionen suchen muss.
„Fondium“ ist einer neuer Name, fast 120 Jahre war das „Georg Fischer“ gewesen: Die Belegschaft ist maximal verunsichert nach dem auch für uns völlig überraschenden Verkauf am Nikolaustag im letzten Jahr, so Betriebsratsvorsitzender Thomas Fischer. „Wir kennen die Zukunft noch nicht“, machte er eine aktuelle Ratlosigkeit deutlich. Zuversichtlich stimme derzeit, dass die Kunden des Singener Werks doch zu 80 Prozent aus den Nutzfahrzeugsektor kommen, das Thema Elektromobilität also noch keine gravierenden Auswirkungen haben werde. „Es wurden viele Dinge angestoßen, die Leiharbeit wurde heruntergefahren, aber es sind auch viele gegangen die nicht ersetzt wurden“, beschreibt er das aktuelle Szenario. „Die ersten 100 Tage sind Mitte März vorbei und wir wissen noch nicht, wo die Reise hingeht.“ Die IG Metall freilich hat ihren Standpunkt. Man habe einen Vertrag zu Sicherung des Standorts und der Beschäftigung mit den alten Besitzern abgeschlossen und den hätten die neuen Eigentümer mit dem Werk gekauft und müssten ihn natürlich einhalten, so Enzo Savarino. Erst Anfang Februar wird es ein erstes Zusammentreffen zwischen der „Fondium“-Geschäftsleitung und den Gewerkschaftsfunktionären geben.
Als recht erfolgreich bezeichnete Raoul Ulbrich die neuen Regelungen zur Arbeitszeit, die im neuen Tarifvertrag letztes Jahres vereinbart wurden. Danach können Mitarbeiter acht Tage aus besonderem Grund frei nehmen, zum Beispiel wenn Kinderbetreuung oder Seniorenpflege ansteht. Über 1.000 Anträge seien genehmigt worden nach Erkenntnissen einer Umfrage, nur 74 seien abgelehnt worden.
Das Thema betriebliche Altersvorsorge will die Gewerkschaft in diesem Jahr in den Mittelpunkt stellen. Zwar hätten laut der letzten Umfrage rund 70 Prozent der Betriebe eine betriebliche Altersvorsorge, aber nur die Hälfte davon hätten eine, an der auch der Arbeitgeber beteiligt sei. Ziel sei, für den nächsten Tarifvertrag, der für 2020 ansteht, hier neue Vereinbarungen abzustreben.
Fabian Fink von der IG Metall-Jugend, unterstrich, dass gerade die Tarifverträge für Auszubildende in Zeiten von „Industrie 4.0“ oder dualem Studium nach 40 Jahren Geltungsdauer einer grundlegenden Erneuerung bedürften.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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