Ein Einblick hinter die Türen der Corona-Stationen im Landkreis Konstanz
»Marathonlauf« in den Krankenhäusern

Covid-Station | Foto: Aufnahmen von den Intensivstationen im Landkreis sind selten, da es dort stressig zugeht. Diese entstand im vergangenen Jahr im Radolfzeller Klinikum. Die meisten Covid-19-Patienten werden allerdings in Singen behandelt. swb-Bild: Archiv/GLKN
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  • Foto: Aufnahmen von den Intensivstationen im Landkreis sind selten, da es dort stressig zugeht. Diese entstand im vergangenen Jahr im Radolfzeller Klinikum. Die meisten Covid-19-Patienten werden allerdings in Singen behandelt. swb-Bild: Archiv/GLKN
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Landkreis Konstanz. Immer wieder hörte man in den letzten Wochen in den Medien von Medizinern, die vor der Überlastung der Kliniken durch die dritte Corona-Welle warnen. Doch wie ist eigentlich die Situation in den Krankenhäusern im Landkreis Konstanz? Das Wochenblatt sprach darüber mit Prof. Frank Hinder, Ärztliche Direktor des Hegau-Bodensee-Klinikums und Michael Hanke, dem Geschäftsführer des Krankenhauses Stockach.

Seit über einem Jahr sind auch die Kliniken im Landkreis Konstanz im Corona-Modus. »Die Mitarbeiter sind eigentlich die ganze Zeit wie in einem Marathonlauf, nur mit einer kurzen Verschnaufpause im letzten Sommer«, erklärt Prof. Frank Hinder, der Ärztliche Direktor des Hegau-Bodensee-Klinikums, im Gespräch mit dem Wochenblatt. Erst am vergangenen Montag musste eine fünfte Allgemeinstation zur Covid-Station umfunktioniert werden. Das ist sehr aufwändig, betont Hinder. »Wir brauchen auf den Covid-Stationen mehr Personal als auf einer normalen Station, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich nach dem Patientenkontakt immer wieder komplett umkleiden und das braucht Zeit.

Damit nicht die Vorsicht leidet, weil Zeitdruck besteht, müssen wir das Personal in anderen Bereichen abziehen, um genug Personal für die Covid-Stationen zu haben«, macht der Mediziner deutlich. Dazu komme, dass Covid-Patienten in einem bestimmten Stadium der Erkrankung regelmäßig umgedreht werden müssen. »Dazu benötigt man fünf Leute und diese brauchen 20 Minuten um den Patienten zu drehen. Das geht noch, wenn sie nur einen solchen Patienten haben, aber wenn es zehn sind, dann ist das Personal stundenlang damit beschäftigt, einfach nur die Patienten umzudrehen. Aber es gibt ja noch sehr viele andere Aufgaben, die auf der Station zu erledigen sind.«

Hohe psychische Belastung

Neben der körperlichen Anstrengung macht dem Krankenhauspersonal aber auch die psychische Belastung zu schaffen. »Wir haben jetzt ganz andere Patienten auf der Intensivstation als in der ersten Welle. Wenn ein sehr alter Mensch mit vielen Vorerkrankungen stirbt, dann ist das zwar auch belastend, aber jetzt kommt es zum Teil vor, dass wir 40- oder 50-jährige Patienten haben, die vielleicht auch noch sehr junge Kinder haben. Und wenn es bei diesen Patienten zu Todesfällen kommt, dann ist das doch nochmal schwerer zu verarbeiten, insbesondere wenn man bedenkt, dass das Personal, das den Patienten betreut, oftmals im gleichen Alter ist. Für die Patienten, die sich in Isolation befinden, wie auch für die Angehörigen ist die Situation ebenfalls belastend, denn Besuche sind in der Regel nicht möglich. »Wenn wir denken, dass ein Patient sterben wird, dann ermöglichen wir den Angehörigen unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und einzeln Besuche, damit sie zumindest noch die Chance haben, sich zu verabschieden«, sagt Frank Hinder.

Mehr fortgeschrittene Krebserkrankungen

Doch es gibt noch etwas anderes, was Prof. Hinder Sorgen macht. Viele Menschen haben sich das vergangene Jahr über aus Angst vor Corona nicht getraut zu Vorsorgeuntersuchungen zu gehen. Manch einer von ihnen läuft deshalb jetzt im Krankenhaus auf, weil sich eine Behandlung nicht mehr weiter aufschieben lässt. »Wir stellen fest, dass gerade deutlich mehr Menschen mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen zu uns kommen als noch 2019«, so Hinder.

Vor dem Hintergrund dessen, dass von den regulären Stationen Personal zur Covid-Versorgung abgezogen werden musste, plädiert Hinder indes dafür, wieder in den Modus zu gehen, in dem sogenannte elektive Eingriffe, also solche, die nicht zwingend erforderlich sind, verschoben werden, wie es im letzten Frühjahr bereits der Fall war.

Neue Behandlungsmöglichkeiten

Die gute Nachricht ist, dass die Medizin in einem Jahr Corona auch einiges dazugelernt hat. Wie Prof. Hinder auf Nachfrage des Wochenblatts erklärt, können Covid-Fälle inzwischen deutlich besser behandelt werden als in der ersten Welle. »Die Behandlungsmöglichkeiten haben sich deutlich verbessert. Inzwischen können wir die schweren Entzündungen mit Dexamethason, einem Kortison-ähnlichen Präparat behandeln. Manche Patienten entwickeln zudem viele kleine Embolien, in diesen Fällen können wir mit Blutverdünnern arbeiten. Wäre das nicht der Fall, dann hätten wir eine deutlich höhere Sterberate«, macht Hinder deutlich.

Der Silberstreif am Horizont

Auf die Frage, was er den Leserinnen und Lesern des Wochenblatts gerne mit auf den Weg geben würde, sagt Frank Hinder: »Nehmen Sie es nicht auf die leichte Schulter. Helfen Sie mit, die Pandemie zu beenden, in dem Sie Abstand halten, Ihre Maske korrekt über Mund und Nase tragen und regelmäßig lüften. Ich weiß, dass das schwer ist, es fällt uns allen schwer, aber wir müssen nur noch drei bis vier Monate durchhalten, dann werden wir durch die Impfungen eine stabile Lage erreicht haben. Das Beispiel Israel, wo aktuell schon 60 Prozent der Bevölkerung geimpft ist, zeigt, dass dort die Zahlen jetzt deutlich zurückgehen. Dahin müssen wir auch kommen, dann bekommen wir unser normales Leben wieder zurück. Das Gute ist also, dass wir jetzt im Gegensatz zu letztem Frühjahr eine Perspektive haben. Aber so lange müssen wir noch durchhalten«.

Doppelt so viele Covid-19-Patienten

Das Krankenhaus in Stockach sieht sich aktuell nicht ganz so stark belastet wie vor Wochen, allerdings: »Es sind allerdings doch doppelt so viele Patienten hier wie in der ersten Phase, die natürlich Auswirkungen auf den übrigen Krankenhausbetrieb haben, was die Planbarkeit im Krankenhausbetrieb betrifft«, so Michael Hanke, Verwaltungsleiter des regionalen Krankenhauses. Die Behandlung von Covid-19-Patienten sei sehr zeitintensiv, zumal die Patienten auch jünger werden und die Verweildauer dadurch auch länger wird. Das setze Grenzen im Betrieb, zumal zwölf Betten einfach für diesen Bereich derzeit wegfallen und auch Intensivbetten – darüber verfügt Stockach sei Jahren unverändert sechs – in Anspruch genommen werden müssen. Die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsverbund funktioniere, so dass man bei sehr schweren Verläufen überweisen könne und sich hier auf die leichteren bis mittleren Fälle konzentrieren könne, lobt Hanke das gute Miteineinander.

»Wir bekommen aber die klare Botschaft aus der Bevölkerung wie durch den Förderverein, dass die Arbeit, die wir uns hier machen, erkannt wird. Die Politik honoriert das freilicht nicht und unsere klare Botschaft ist, dass ein gutes Gesundheitssystem mehr wert sein muss als ihm gegenwärtig gegeben wird«, spielt Michael Hanke auf die aktuellen Diskussionen um sogenannte personalgerechtere Standards in den Kliniken an, die schon seit langem zwischen der Krankenhausgesellschaft, dem Pflegerat, den Gewerkschaften mit dem Gesundheitsministerium geführt werden.

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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