Was macht der Lockdown mit den Kindern?
Eine Umarmung, die viel bewirken kann

Kinder in Coronazeiten | Foto: Für Kinder kann der Mangel an sozialen Kontakten entwicklungspsychologische Folgen haben. 
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  • Kinder in Coronazeiten
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Landkreis Konstanz. In der frühen Kindheit werden ohne jeden Zweifel wichtige Weichen für das spätere Leben gestellt. Eine Entwicklung folgt zum einen allgemeinen Prinzipien, verläuft andererseits aber immer auch individuell. In jedem Fall ist es für eine positive Entwicklung wichtig, dass jedes Kind Unterstützung und Anregung durch Gleichaltrige sowie durch Erwachsene erhält. Wenn Kinder über eine längere Zeit nicht die soziale Gemeinschaft haben, könnten sie psychisch erkranken.

Bereits Beobachtungen des Arztes und Psychoanalytikers René Spitz in den 20er und 30er Jahren, der sich mit der Entwicklung von Heimkindern beschäftigt hat, zeigen auf, dass gestörte Beziehungserfahrungen eine nachhaltige Wirkung auf die Entwicklung von Kindern haben können. So stellte Spitz fest, dass Säuglinge, die körperlich ausreichend versorgt wurden, aber emotional vernachlässigt blieben, teilweise verstarben. Daraus schloss Spitz, dass menschliche Nähe und Zuwendung für eine gesunde Entwicklung essenziell seien.

Dabei zeigten weitere Studien: Kinder, die unter solchen Bedingungen aufwachsen, bleiben in fast allen Entwicklungsbereichen weit hinter ihren eigenen biologischen Möglichkeiten zurück und könne soziale Defizite entwickeln. Entwicklungspsychologen gehen heute davon aus, dass Kinder im ersten halben Jahr lernen, primäre Bezugspersonen von anderen Menschen zu unterscheiden. Viele Kinder zeigen später auch ein eindeutiges Bindungsverhalten und sind gleichzeitig sehr neugierig auf andere Menschen. Dies gilt insbesondere für Gleichaltrige. Sobald Kinder durch wachsende Mobilität und Selbstständigkeit auch eine gewisse Unabhängigkeit entwickelt haben, wollen sie mit anderen Kindern spielen. Wie verschiedene Studien belegen, scheinen Kinder, die in den ersten Lebensjahren vielfältige soziale Kontakte mit anderen Kindern und verschiedenen Erwachsenen haben, später ein höheres Maß an Sozialkompetenz aufzuweisen als Kinder, die keinem entsprechenden Umfeld ausgesetzt waren.

Grundlegende Bedürfnisse

»Natürlich wollen Kinder sich austoben und auf den Spielplätzen spielen. Sie brauchen auch den Umgang mit anderen Kindern. Denn man kann als Kind auch nur lernen, wie man mit anderen zurechtkommt, wenn man die Gelegenheit hat, mit anderen zusammenzusein«, sagt auch der Hirnforscher Gerald Hüther in einem Video-Statement. Das gehöre zu den Bedürfnissen, mit denen Menschen auf die Welt kommen. »In dem Moment, in dem Kinder sich an die Regeln und Maßnahmen halten, müssen sie versuchen diese Bedürfnisse zu unterdrücken.« Und das sei ein großes Problem, denn tiefliegende Bedürfnisse werden dabei regelrecht »bekämpft«.

Im Hirn entstehen hemmende Verschaltungen, die sich über die Netzwerke und Bereiche im Hirn legen, wo eigentlich die tiefgründigen Bedürfnisse entstehen. Wenn das passiert, dann könne sich das Kind auch so verhalten, wie Erwachsene es erwarten – allerdings ist dann auch das Bedürfnis beim Kind nicht mehr vorhanden. Für einen Erwachsenen sei die Unterdrückung solcher Bedürfnisse für ein Jahr nicht so gravierend, für ein fünfjähriges Kind stellt es ein Fünftel seines Lebens dar.

Und auch Singens Bürgermeisterin Ute Seifried sagt: »Kinder brauchen andere Kinder. Sie wollen die Welt entdecken, brauchen Herausforderungen; an denen sie wachsen können. Im gemeinsamen Miteinander, beim Spielen und Lernen entwickeln Kinder ein Selbstbild und üben ihre Rolle in einer Gemeinschaft. Das sind ganz wichtige Entwicklungsschritte.

Das fehlt vielen unserer Kinder zur Zeit, und deshalb melden uns auch viele Eltern, dass ihre Kinder Rückschritte machen, sprachlich, motorisch, in ihrer gesamten Entwicklung. Eltern können das alleine nicht auffangen, auch wenn sie sich große Mühe geben. Es gibt den schönen alten Spruch, dass es ein ganzes Dorf braucht, damit ein Kind gut groß werden kann. In der heutigen Zeit ersetzen unsere Betreuungs- und Bildungseinrichtungen das, was früher eine Dorfgemeinschaft geleistet hat.«

Kinder müssen geschützt werden, so der Appell des Hirnforschers Hüther. »Schauen Sie sich Ihre Kinder an und überlegen Sie, wie Sie ihnen helfen können. Nehmen Sie Ihre Kinder in den Arm, fragen Sie sie, wie es ihnen geht und nehmen Sie ernst, was es Ihnen erzählt. Denken Sie gemeinsam darüber nach, wie sich diese Bedürfnisse stillen lassen.«

Hier geht es zum Video des Hirnforschers Gerald Hüther.

- Graziella Verchio

Autor:

Redaktion aus Singen

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