Nachgefragt bei Mieterbund und Städten:
2.400 Wohnungen fehlen im Landkreis

Ganz so dramatisch, wie in der Karikatur dargestellt, gestaltet sich die Mietwohnlage im Landkreis Konstanz zwar noch nicht. Doch wird hier vonseiten der Politik ein beherztes Eingreifen dringend gebraucht. | Foto: Rainer Demattio
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  • Ganz so dramatisch, wie in der Karikatur dargestellt, gestaltet sich die Mietwohnlage im Landkreis Konstanz zwar noch nicht. Doch wird hier vonseiten der Politik ein beherztes Eingreifen dringend gebraucht.
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Landkreis Konstanz/Singen/Radolfzell. „Deutschland rast auf drastische Wohnungsnot zu." Mit dieser Warnung auf Twitter unterstreicht der Deutsche Mieterbund bereits zum wiederholten Mal die prekäre Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt. Die Mangellage beschränkt sich dabei nicht ausschließlich auf Metropolen wie Stuttgart und Berlin. Dass auch die Regionen rund um den Bodensee als Wohnort attraktiv sind, ist nicht neu: Allein im Landkreis Konstanz fehlen 2.400 Wohnungen, so Matthias Günther vom Eduard-Pestel-Institut Hannover.

Die Feuer, welche derzeit im Wohnungsbau gelöscht werden müssen, sind groß – auch hier in der Region. Ein Indiz dafür sind unter anderem die gestiegenen Mietpreisspiegel. Wie Winfried Kropp dem WOCHENBLATT auf Anfrage mitteilte, ist dies aktuell in Konstanz, Radolfzell und Singen der Fall. In der Konzilstadt stieg der Mietspiegel bei Bestandsmieten von durchschnittlich 9,38 Euro auf 10,37 Euro pro Quadratmeter, was einem Anstieg von etwa 10,6 Prozent entspreche. In Radolfzell hingegen sei laut Kropp mit 19,6 Prozent von im Schnitt 7,41 Euro auf 8,86 Euro pro Quadratmeter eine noch höhere Teuerung zu verzeichnen. „Der Gemeinderat der Stadt Singen hat beschlossen, gemeinsam mit Rielasingen-Worblingen einen Mietspiegel zu erarbeiten", berichtet er aus der Hegaustadt. Hierzu werde sich in Kürze ein „Arbeitskreis Mietspiegel“ aus Vertretern der Verwaltung und der Interessensverbände von Mietern und Vermietern treffen und die Vorbereitungen besprechen.

Bedarf an Wohnungen wird bis 2035 vorhanden sein

Die von Kropp genannten Zahlen spiegeln seiner Aussage nach sowohl die Eindrücke der Betroffenen als auch die Erfahrungen aus seiner Beratungspraxis wider: „Wer aus beruflichen oder familiären Gründen umziehen muss, hat es in unserer Region schwer, vor allem entlang der Seehas-Linie.“ Zudem lägen Neuvertragsmieten, welche Wohnungssuchende bezahlen müssen, weit über den Bestandsmieten, die in den Mietspiegeln statistisch erfasst werden. In diesem Zusammenhang könne beobachtet werden, dass vor allem Familien mit Kindern es aufgrund der steigenden Preise schwer am Markt haben: „Hier ist insofern ein Verlagerungseffekt erkennbar, da gerade diese Zielgruppe immer mehr aus den Städten raus und aufs Land ziehen muss“, so Kropp.
Doch nicht nur diese Tatsache ändere ihm zufolge nichts daran, dass der Bedarf an Wohnungen nach wie vor sehr groß ist. „Es ist davon auszugehen, dass bis 2035, eventuell darüber hinaus, Bedarf an zusätzlichen Wohnungen vorhanden sein wird, denn die Zahl der Haushalte wird weiter wachsen.“
Darüber hinaus macht Kropp auf die Problematik der bezahlbaren Mietwohnungen im Landkreis aufmerksam: „Für einen Mietwohnungsbau für Normalbürger wie Familien mit Kindern fehlen derzeit die Träger. Für den sozialen Wohnungsbau wird daher seit vielen Jahren viel zu wenig getan, wenn man von der Städtischen Wohnungsbaugesellschaft in Konstanz, der WOBAK, absieht.“ Dies seien laut dem Pressesprecher des Deutschen Mieterbundes Bodensee nicht sichtbare Lücken, welche durch die einbrechende Baukonjunktur erheblich verschärft werden.

Die Wohnraumsituation im Landkreis bleibt laut Winfried Kropp angespannt. | Foto: Deutscher Mieterbund Bodensee/Guido Kasper
  • Die Wohnraumsituation im Landkreis bleibt laut Winfried Kropp angespannt.
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Bundesweit fehlen 700.000 Wohnungen

Angesprochen auf den derzeitigen allgemeinen Wohnraummangel gab Kropp preis, dass laut einem Gutachten, welches der Deutsche Mieterbund und die IG BAU beim Eduard-Pestel-Institut in Auftrag gaben, bundesweit aktuell 700.000 Wohnungen fehlen. Im Land Baden-Württemberg sind es einem weiteren Gutachten von 2018 zufolge 80.000 Wohnungen zu wenig. Hierzu bemängelte Kropp vor allem die nicht erbrachte Bauleistung in den letzten Jahren: „Das Defizit ist hier mittlerweile auf über 150.000 Wohnungen angestiegen und könnte in den nächsten Jahren noch weiter auf 200.000 Wohnungen anwachsen.“ Beim sozialen Wohnungsbau gehe man seiner Auffassung nach davon aus, dass bundesweit 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr gebaut werden müssen.

„Versprechen der Regierung muss schnell umgesetzt werden“

Aufgrund des deutlich erkennbaren Wohnraummangels sehe Kropp vor allem die Bundes- und Landesregierung in der Bringschuld: „Ohne staatliche Förderung ist man aktuell weit weg von den Zielen, die man sich im Bereich des Wohnungsbaus gesetzt hat.“ Versprechen aus dem Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung wie die Verringerung der sogenannten Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen müssen seiner Meinung nach schnell umgesetzt werden. „Neben höheren Fördermitteln für den sozialen Wohnungsbau muss in den klimaneutralen Gebäudebestand investiert werden, indem sowohl energetische Sanierungen als auch nachhaltige Energieversorgungen gefördert werden“, erzählt er. Wohnungspolitische Fehler machen sich ihm zufolge erst viele Jahre später bemerkbar: „Mit dem Vorhaben einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit will die Ampel-Regierung solche Fehler korrigieren. Dies unterstützen wir als Deutscher Mieterbund.“

Einmalprämie der Landesregierung in Planung

Für das Jahr 2023 wagt Winfried Kropp folgende Prognose: „Die Mieten werden weiter steigen und der Wohnungsmangel wachsen. Bereits geplante Wohnungsbauprojekte werden weiterhin zurückgestellt.“ Jedoch sei seitens der Landesregierung eine Einmalprämie von 6.000 Euro pro fertige Wohnung beabsichtigt, um zurückgestellte Projekte umzusetzen. „Dies muss jedoch so überlegt sein, dass es auch wirkt“, stellt Kropp klar. Der Großteil des Landkreises Konstanz sei seiner Auskunft nach ein Gebiet, in dem die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum gefährdet ist, weswegen Wohnungsunternehmen im Landkreis künftig von dieser Hilfe sicher profitieren können.

Exemplarisch hat das WOCHENBLATT auch bei den Stadtverwaltungen in Singen und Radolfzell Einblicke in den dortigen Wohnungsmarkt gewonnen. Angaben aus Stockach lagen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung leider noch nicht vor.

Lage im Singener Mietwohnraum

So berichtet Stefan Mohr,  zuständig für die Pressearbeit der Stadt Singen, dass allein schon für die 17.000 Personen, die zur Arbeit in die Hegaustadt kommen, der dortige Wohnraum interessant sei. Insgesamt gebe es laut den Daten von Empirica, einem Forschungs- und Beratungsinstitut, das sich viel mit dem Immobilienmarkt befasst, in Singen etwa 22.700 Wohnungen, von denen 11.800 mietbar sind. Hier betont Stefan Mohr, dass sich seit dem Jahr 2018, aus dem die Daten stammen, einiges getan hat. Dabei seien auch Investoren, wie die Baugenossenschaften Oberzellerhau und Hegau von Bedeutung, durch die bezahlbarer Mietwohnraum mit „einer Durchschnittshöhe von etwa sechs Euro Kaltmiete“ pro Quadratmeter im Bestandswohnungsbau geschaffen werden könne. „Die hohe Anzahl von Empfängern von Sozialleistungen, die in unserer Stadt heimisch sind, zeigt zudem, dass Singen seine Hausaufgaben in puncto Wohnungsmarkt gemacht hat“, unterstreicht der Pressesprecher. Nichtsdestotrotz sieht er weiteres Potenzial, gerade bei der Unterstützung durch Land und Bund. So war laut Mohr ein diesbezügliches „Förderprogramm des Landes Baden-Württemberg durch die L-Bank schon im Juli 2022 für das gesamte Jahr ausgeschöpft.“

Maßnahmen 2022:

Auf die Anfrage des WOCHENBLATTs erläuterte Thomas Mügge, Fachbereichsleiter Bauen bei der Stadt Singen, die Maßnahmen, die auch vorbereitend 2022 zur Schaffung von Wohnraum getroffen wurden. So gehe er derzeit davon aus, dass rund 80 Prozent der 242 im vergangenen Jahr im Stadtareal genehmigten Wohnungen „als Mietwohnraum dem Singener Wohnungsmarkt zur Verfügung gestellt werden“. Schließe man die Ortsteile inklusive Einzelhausbauten und Ähnlichem ein, wären es schon 297 Wohnmöglichkeiten. Sozial geförderter Wohnraum entstehe dabei sowohl mit dem Großteil der 47 Wohnungen des ersten Bauabschnitts am „Scheffelareal“ in der Hauptstraße sowie mit den 23 Wohneinheiten in der Feuerwehrstraße.
Derzeit im Bau sind zudem 86 Wohnungen in der Wehrdstraße und die 67 Einheiten der „Überlinger Höfe“. Ebenso 57 Wohnungen in der Innenstadt entlang der Freiheitstraße und Theodor-Hanloser-Straße und 39 weitere an der Rielasinger Straße.

Für den Stadtbereich Singen wurden im Jahr 2022 einige Neubauprojekte für Wohnraum vorangetrieben. Hier exemplarisch die Baustelle hinter der C&A-Filiale in der Singener Innenstadt. | Foto: ak
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Im Ortsteil Beuren an der Aach wurde bereits mit den Arbeiten für das Neubaugebiet „Engener Straße“ begonnen. Der hier gebotene „Raum für 35 Einzelhäuser und Doppelhaushälften sowie zwei Sechsfamilienhäuser“ geht nach der Erschließung in die Grundstücksvergabe, berichtet Thomas Mügge über die Aussichten in den Ortsteilen. Ein weiteres Projekt stehe mit einem Entwurf für 44 Einzelhäuser und Doppelhaushälften in Schlatt unter Krähen an.

Weitere Projekte stünden demnächst mit den Mehrfamilienhäusern in Singen-Bohlingen und mit den 69 geplanten Wohnungen des „Schlossquartiers“ an der Schaffhauser Straße an. Im „Scheffelareal“ sollen zusätzliche 83 Wohnungen in den künftigen Bauabschnitten entstehen, bei den „Schwarzwaldhöfen“ seien 88 Mieteinheiten angedacht. Auch in der Singener Nordstadt entstehen in der Bruderhofstraße bis zu 75 Wohnungen, die zu einem Drittel sozial gefördert werden.

Mehr Informationen zu dem Großprojekt in der Nordstadt sind hier zu finden:

Edeka und Siedlungswerk machen das Rennen für die Nordstadt

In den letzten fünf Jahren seien insgesamt 1.561 Wohneinheiten in unterschiedlichsten Bauprojekten entstanden. „Insgesamt setzen wir auf eine qualitätsvolle Stadtentwicklung, die auch Wohnraum für alle Bevölkerungsgruppen bieten soll“, äußert sich der Fachbereichsleiter zum bereits lange vorhandenen Fokus der Stadt. Die Projekte selbst würden von vielen Seiten unterstützt und begleitet, auch durch den Fachbereich Bauen und den Gestaltungsbeirat der Stadt Singen selbst. Steigende Baupreise und Zinsen erschweren jedoch momentan die Finanzierung und somit den Fortschritt von Bauprojekten im laufenden Jahr.

Angespannt in Radolfzell

Von der Stadt Radolfzell wurde bereits im vergangenen Jahr ein Gutachten „Wohnraumbedarfsanalyse“ in Auftrag gegeben, das in diesem Jahr fertiggestellt werden soll. Anlass dazu war unter anderem ein Wohnungsmarkt, den Angelique Augenstein als „angespannt“ bezeichnet. Von dessen Ergebnissen erhofft sich die Leiterin des Dezernats III der Stadt Radolfzell, das auch den Bereich Bauen und Wohnen abdeckt, einen „Hinweis“ auf die aktuelle Wohnmarktsituation in Radolfzell. Auf diese wolle man sich beim künftigen Vorgehen beziehen, dabei betont sie, dass es sich teils um „Annahmen und Hochrechnungen“ handle. Weiter berichtet sie, dass sich Radolfzell unter den Städten und Gemeinden befindet, für die vonseiten der Landesebene eine „Mietpreisbegrenzungsverordnung“ (auch Mietpreisbremse) gilt. Diese wurde 2020 verlängert und angepasst (wie auch in dieser Meldung des Landes genauer nachzulesen ist). Damit ist für Mietwohnungen in Radolfzell der qualifizierte Mietspiegel verbindlich anzuwenden.

Auch über die Nachfrage bei Bauplatzausschreibungen berichtet Augenstein, hier käme man auf „bis zu 20 Bewerber pro Bauplatz“. Zugleich erlebe man hier – ähnlich wie bei den Singener Bauprojekten – mit den aktuellen Kostenentwicklungen einen Rückgang.
Seit 2021 gebe es in Radolfzell zudem einen Flächenmanager, dessen Aufgaben Angelique Augenstein weiter erläutert: „Dieser kümmert sich explizit um die Baulücken der Gesamtgemarkung. Da die Stadt hierbei auch auf die Privateigentümer angewiesen ist, wird das Flächenmanagement noch einige Zeit in Anspruch nehmen.“

Zur Abdeckung des sozialen Wohnungsbaus habe man in Radolfzell unter anderem die „Baulandpolitischen Grundsätze“ festgelegt. Demnach besteht für Investoren in größere Bauprojekte die Pflicht, 30 Prozent als sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Beispiele sind die Projekte am Untertorplatz und Schoch-Areal, in der Schlesierstraße sollen sogar 50 Prozent der Einheiten als sozialer Wohnungsbau umgesetzt werden.

Der Handlungsbedarf für die Stadt Radolfzell zeigt sich auch in dem für März angesetzten Termin eines „Dialogforums Wohnen“. Hier soll ein Beteiligungsprozess beginnen, „damit die Stadt für und mit den Bürgern ihre zukünftige Bebauung planen kann.“ Auch Investoren, Naturschutzverbände und andere Perspektiven sollen hier einbezogen werden. „Ziel ist es, eine Art Leitfaden beziehungsweise Handlungsprogramm zum Wohnen in Radolfzell für die nächsten Jahre zu erarbeiten“, berichtet Augenstein. Mit konkreten Informationen sei in Kürze zu rechnen.

Von Philipp Findling und Anja Kurz

Autor:

Redaktion aus Singen

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