Aktion seit 10 Jahren in Radolfzell
Zwei neue Stolpersteine gegen das Vergessen

Der frisch verlegte Stolperstein für Luise Fischer, die als "unwertes Leben" 1940 im Rahmen der "T4"-Aktion der Nationalsozialisten in Grafeneck ermordet wurde. Er wurde am Pfingstmontag verlegt. | Foto: Fiedler
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  • Der frisch verlegte Stolperstein für Luise Fischer, die als "unwertes Leben" 1940 im Rahmen der "T4"-Aktion der Nationalsozialisten in Grafeneck ermordet wurde. Er wurde am Pfingstmontag verlegt.
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Radolfzell-Böhringen. Seit inzwischen zehn Jahren werden in Radolfzell "Stolpersteine" verlegt, am Pfingsmontag konnte in Böhringen nun der Stolperstein Nummer 29 in der Bismarkstraße 11, der Stolperstein Nummer 30 in der Scheffelstraße 3 bei der Villa Bosch verlegt werden. Mit den Stolpersteinen wird in Böhringen an Luise Fischer gedacht, gegenüber der Villa Bosch an Nikolaus Honsell.

Beide wurden 1940 Opfer der sogenannten "T4"-Aktionen, bei denen tausende psychisch kranker Menschen umgebracht wurden. Alleine 448 Menschen aus der psychiatrischen "Heilanstalt" Reichenau wurden damals in den berüchtigten "Grauen Bussen" nach Grafeneck gebracht, wo eine industrielle Tötung durchgeführt und die Asche im Anschluss in den Wäldern um das Schloss verstreut wurde.

Wie Alfred Heim von der Initiative Stolpersteine Radolfzell sagte, sei man mit der Verlegung der Stolpersteine, die an den jeweils letzten frei gewählten Wohnort der Opfer erinnern, längst noch nicht zu Ende. Man habe hier erst rund ein Drittel der Menschen mit der Erinnerung würdigen können, von denen man bis jetzt wisse.

Für Böhringen war es der erste Stolperstein, der hier an der Bismarkstraße an einem Gebäude verlegt wurde, das selbst schon bald verschwinden wird, wie Ortsvorsteher Bernhard Diehl auf Nachfrage sagte. Ein Nachfahr der Familie Fischer, der selbst verzogen ist, verkaufte das alte Haus. Ein Bauantrag für den Neubau eines Mehrfamilienhauses ist bereits genehmigt, sodass es bald rückgebaut werden dürfte.


Der Ort hatte nichts erfahren

Bernhard Diehl eröffnete die Feierstunde mit einem Choral an der Trompete vor den über hundert Gästen dieser Gedenkstunde. Diehl bekannte, dass er praktisch in der Nachbarschaft aufgewachsen war, aber von diesem dunklen Kapitel der Ortsgeschichte als Kind nichts mitbekommen habe.

Erst als vor zwei Jahren die Nachforschungen zum Fall Luise Fischer hier in Radolfzell durch die Initiative begannen, sei man diesem schrecklichen Schicksal gewahr geworden. Und selbst Walter Fischer, der zum Schluss des Zeremoniells als Nachfahr das Wort ergriff, zeigte sich betroffen, dass auch er erst über die Forschung von diesem Schicksal erfahren habe, da in der Familie darüber einfach nicht geredet wurde. Er sei dankbar, dass diese Geschichte nun ein Teil des Gedenkens werde, als Mahnung an die Gegenwart.

Norbert Lumbe als Vertreter der Stadt Radolfzell unterstrich, dass ein Mensch erst dann vergessen ist, wenn sein Name auch vergessen sei. Das kann für Luise Fischer, deren Name nun in Metall graviert in der Straße den Ort markiert, den die Frau einst bewohnte, nun zunächst nicht mehr passieren

Wie Ute Müller von der Initiative Stolpersteine aus ihren und den von Gerd Wassermann angestellten Forschungen über das Leben von Luise Fischer berichtete, hatte die 1878 in Böhringen lebende Frau wiederholt unter psychischen Krisen zu leiden. Ab 1916 war sie mehrmals in der Heil- und Pflegeanstalt Reichenau, für eine Zeit lang auch in Emmendingen. Der genaue Grund der Einweisungen liegt im Dunkeln, 1928 sei sie als "unheilbar" eingestuft worden. Es gab einen langen Rechtsstreit über die Kosten der Behandlung zwischen der Gemeinde um dem Vormund von Luise Fischer, der 19245 nach deren Vaters Tod eingesetzt war.

Adolf Hitler verkündete bereits im September 1939 den "Gnadentod" für "unwertes Leben", das anderen das Essen wegnähme. Die Beurteilung fuße auf der Arbeitsfähigkeit der Personen, derweil in Grafeneck als eine von sechs Einrichtungen eine Vernichtungsanstalt aufgebaut wurde.

In den berüchtigten "Grauen Bussen" mit Milchglasscheiben wurde sie am 28. November 1940 mit 31 anderen Personen von der Heil- und Pflegeanstalt Reichenau abgeholt. Man gehe immer davon aus, dass der Einlieferungstag auch der Todestag sei, denn eine sonstige Unterbringung gab es dort nicht. Mehr zu ihrem Lebenslauf, wie auch dem von Nikolaus Honsell gibt es unter stolpersteine-radolfzell.de 

In Grafeneck wurde 1990 eine Gedenkstätte für die Opfer der "T4 -Aktion" eröffnet.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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