"Neurosige Zeiten" der Kulissenschieber Radolfzell

Wenn sich die Bühne zum Irrenhaus verwandelt

Radolfzell. Sie sind wieder on Tour, die Kulissenschieber auf Radolfzell. Diesmal brachte der Theaterverein am 10. Januar im Radolfzeller Milchwerk mit "Neurosige Zeiten" von Winnie Abel eine wahrlich "irre Komödie" auf die Bühne.

Wie soll Agnes (Selena Schinocca) ihre Mutter (Hanni Fischer) zu Besuch empfangen, ohne dass diese merkt, dass ihre Tochter in einer psychiatrischen Klinik wohnt? Vor dieser Herausforderung steht Agnes Adolon, Tochter einer reichen Hoteldynastie; denn die Mutter meldet sich spontan zum Besuch an. Diese geht allerdings davon aus, dass ihre Tochter in einer schicken Villa residiert und nicht in einer Klinik. Kurzerhand macht man die Klinik zum Privathaus und die Mitpatienten der Wohngruppe zum Hauspersonal. Die liebeswahnsinnige Stalkerin Marianne (Sabine Torres-Prado) wird zur Haushälterin, die menschenscheue Waltraut (Marianne Grünberg) zur Hausmeisterin und der zwangsneurotische Hans (Hermann Zimny) muss Agnes' langjährigen Lebenspartner mimen - ein wahnwitziger Plan. Und dann ist da auch noch die Ärztin Frau Dr. Dr. Ilse Schanz (Martina Bohuschke). Es beginnt ein verrücktes Verwirrspiel.

Es hat fast schon etwas Seltsames wie Seltenes, wenn eine junge Hotelerbin in einer Psychiatrie untergebracht ist. Doch als der Schock für Agnes feststeht, spielt diese unmittelbar ihre Sexsucht, den Grund, wofür sie in dieser Wohngruppe mit Marianne, Waltraut, Hans sowie der manisch-depressiven Künstlerin Desirée (Mareen Bromma) haust, aus. Daran glauben muss der arme Hans, brillant wie authentisch verkörpert von Hermann Zimny, so soll dieser beim Besuch der Mutter Cécile Adolon den Liebhaber, besser gesagt den "Darling" der Hotelerbin abgeben und künftig "mehr erotisch als neurotisch" sein. 

Es ist ein Durcheinander, das mit dem Besuch der Tupperware-Verkäuferin Herta (Karen Gerner), den steten Steppvisiten von Dr. Dr. Schanz und dem Beschäftigungstherapeut Rolf (Michael Kowalski) sowie dem überraschenden Auftauchen von Mariannes Idol, dem Schlagersänger Hardi Hammer (Martin Ritzi) seinen Gipfel findet. Fortan eröffnet sich in diesem Stück unter der Regie von Karen Gerner und Martin Ritzi eine Verkettung kurioser Ereignisse, die durch geniale, perfekt an die Szenerie angelehnte Wortwitze ("irre schicke Villa", "Die Schrauben waren eh schon locker") die Lachmuskeln des Publikums bis auf das Äußerste strapaziert. So wird unter anderem Herta bei ihrem ersten Auftritt doch glatt für Agnes' Mutter gehalten und Dr. Dr. Schanz von Cécile für verrückt erklärt.

Generell fragt man sich als Zuschauer bei diesem mehr als unterhaltsamen Stück der Kulissenschieber nicht gerade selten, wer hier nun wirklich verrückt ist und wer doch nicht in die Psychiatrie gehört, wozu neben dem authentischen Spiel und den glänzend aufgelegten Darstellern auch eine überraschende Wendung gegen Ende maßgeblich ihren Teil beitragen. Vor allem aufgrund der Authentizität hatte man als Publikum während der etwas mehr als 100 Minuten andauernden Komödie den Eindruck, doch tatsächlich selbst mittendrin in einer solchen Anstalt zu sein. Und selbst wenn es dort oft Härtefälle gibt, so zeigt "Neurosige Zeiten", dass man sich diesem Thema auf jeden Fall auch mit einer großen Prise Humor annähern kann.

Die Kulissenschieber Radolfzell spielen "Neurosige Zeiten" noch am 25. Januar im Bürgerhaus Moos (Vorverkauf in der Touristinfo Moos) sowie am 1. und 2. Februar (Samstag 19 Uhr, Sonntag 16 Uhr) im Zollhaus Ludwigshafen (Vorverkauf in der Touristinfo Ludwigshafen). Die Vorstellungen am 18. und 19. Januar im Kulturpunkt Arlen sind bereits ausverkauft.