Zeller Kultur inszeniert Ödon von Horwath
Wenn das Niemand ein Jemand wäre
Radolfzell. Da hat sich die Zeller Kultur mit ihrer Theatergruppe, unter der Leitung von Waldtraud Rasch, einen wahren Schatz für die jüngste Inszenierung ausgegraben. Denn mit "Niemand" von Ödön von Horvath kam hier ein Stück auf die Bühne, das fast 100 Jahre verschwunden war. Das Stück aus der beklemmenden Zeit der 1920er Jahre, als das Geld eben zum Leben oft nicht reichte und die Pfandleiher die Mächtigen in den Quartieren waren, wurde erst 2015 wieder entdeckt und kam deshalb auch erst 2016 in Wien zur Uraufführung.
Die dunkle Zeit in dem Haus des Pfandleihers Fürchtegott Lehmann, der aufgrund seiner Behinderung das Haus nicht einmal verlassen konnte und ein hartes Regime führte, hat die Theatergruppe sehr treffend porträtiert.
Alle Bewohner in Lehmanns Mietshaus stehen in seiner Schuld: die Dirne Gilda, ihr Zuhälter Wladimir, der arme Geiger Klein, die Kellnerin und alle Nachfolger und Nachfolgerinnen dieser Figuren: Denn die Rollen und Schicksale doppeln sich in dem Stück auf ungeahnte Weise, jeder scheint mit den anderen durch eine zunächst unsichtbare Vernetzung verbunden zu sein. Es ist das Netz der Armut.
Denn hier geht es zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit hin und her. Zum Beispiel durch die Hochzeit Lehmanns mit Ursula, einer mittellosen Bewohnerin dieses Hauses, die auch dem Geiger die Option gibt, durch die Begleitung des Festes etwas zu verdienen. Doch die Hochzeit erweist sich schon in der ersten Nacht als Holzweg. Die Braut, der es eher um "Mitleid" ging, die weitere große Ebene in diesem Stück, konnte die Ehe da nicht vollziehen, schon gar nicht bei angeschaltetem Licht.
Und da dann die Eskapaden der Gilda, die es doch schafft, dem schwächelnden Lehmann einen Ring abzuluchsen, der sich dann im Nachhinein als billige Kopie herausstellt.
Und dann geschieht gar ein Mord und noch schlimmer taucht Lehmanns großer Bruder auf, der sich nicht nur die Ursula schnappt. Eine Katastrophe stürzt in die nächste hinein. Immer wieder tauscht NIEMAND als übergeordnete Macht auf. Aber wer ist dieser NIEMAND? Und muss Lehmann am Ende sterben, um dem anderen Lehmann Platz zu machen?
Die Szenen spiegeln das Kleinmilleu treffend wieder, gerade wenn die "Große Wirt" die Kunden mal beim Bier wieder warten lässt, wenn die Bedienung entlassen wird, weil sie falsch abgerechnet hat und der Lehmann, im Überschwang der bevorstehenden Hochzeit ihre Schuld bezahlt. Die Frage bleibt freilich immer: wenn dieser Niemand eben doch ein Jemand wäre? Das Stück ist wie ein Vorentwurf für viele der weiteren Werke Ödön von Horvaths, freilich auch eine sehr finstere Version dessen, wo der Boden der Gesellschaft zu finden ist, sie zu dieser Zeit zwischen Depression und Inflation, zwischen neuen Lebenslüsten der 1920er und finsteren Tönen der Nationalisten schwankt.
Es spielten mit Ileana Förster als Fürchtegott Lehmann, Duniya Das aus "Ursula", als Dirne Gilda Annabell Maria Hein, unter anderem als Kaspar Lehmann Alexander Binder, in weiteren Rollen Sebastian Braun, Andreas Nitschke, Gabi Bühler, Thomas Weber, Veronika Wild und Gabi Büchler zum Teil in mehreren Rollen.
Das Stück in der Zeller Kultur wird noch am 5., 6., 7., 12. 13. und 14. Mai im Theatersaal des Kulturzentrums an der Fürstenbergstraße aufgeführt. Mehr dazu auch unter https://www.zellerkultur
Ein besonderer Dank bei der Premiere wurde von Waltraud Rasch in Richtung des Rotary-Club Radolfzell-Hegau geschickt, der kurz zuvor seine Unterstützung auch für 2023 formuliert hatte. Ergebnis der fortgesetzten Förderung sind neue Scheinwerfer, die auch die dunklen Seiten des Theaters in ein ganz neues Licht rücken können.
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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