Schimmelreiter Güttingen
Von kopflosen Reitern und geheimen Zeremonien
Radolfzell. In der Geschichte des Narrenvereins Schimmelreiter Güttingen gehen reale Ereignisse und Sagen Hand in Hand. Und noch heute ist der Verein zum Teil in der realen Welt, zum Teil im Sagenhaften zu Hause.
Auf der einen Seite ist da eine Schanzanlage, die im Jahr 1632 während des Dreißigjährigen Kriegs errichtet wurde. Damit sollten die anrückenden Schweden bei ihrem Vormarsch gegen Konstanz aufgehalten werden. Diese Wehranlage existiert bis heute und wurde 2020 auf Initiative von Ehrennarrenrat Andreas Bohl vom Verein in Zusammenarbeit mit dem Landkreis Konstanz, der Stadt Radolfzell und Kreisarchäologen Jürgen Hald freigelegt und wieder zugänglich gemacht. Seit 2021 ist sie Kulturdenkmal.
Die Sage vom kopflosen Reiter
So weit die Realität. Die Sage erzählt nun von einem schwedischen Offizier hoch zu Ross, der beim Kampf an der Schanze geköpft wurde. Der enthauptete Soldat wurde dann nahe der Wehranlage begraben. Dieser Ort ist heute als „Schwedengrab“ bekannt. „Das hieß schon Schwedengrab bevor der Verein gegründet wurde“, erklärt Ehrennarrentrat Andreas Bohl.
Doch lange hielt es den schwedischen Offizier nicht in seiner Ruhestätte. Die Sage erzählt davon, dass er nachts rücklings auf einem Schimmel sitzend und mit seinem Kopf unter dem Arm im Schanzhölzle, dem Wald zwischen Güttingen und Stahringen, umhergeistert. „Er hat in seinem Grab keine Ruhe gefunden“, sagt Bohl.
Narren gebieten dem Spuk Einhalt
Dies veranlasste im Jahr 1952 einige „mutige, tapfere Güttinger“ einen Narrenverein zu gründen. Seitdem – so die Erzählung – kommt der Schimmelreiter nur noch einmal im Jahr aus seinem Grab, um Fastnacht zu feiern. Dieser erste Narrenverein hatte aber nur kurz Bestand: 1966 löste sich der Verein wieder auf. 22 Jahre später, im Jahr 1988, kam es auf Anregung von Alfred Knam zur Neugründung im mittlerweile abgerissenem Gasthaus Traube.
Fester Bestandteil der Vereinstradition ist es, den Geist nach der Fastnacht wieder in sein Grab zu befördern. In der Nacht zum Aschermittwoch kommt der Narrenrat am Schwedengrab zusammen, um den Schimmelreiter wieder zu bannen. „Nur die Narrenräte wissen, was da passiert“, erklärt Andreas Bohl.
Eine weitere Sage, die ebenfalls aus der Zeit des Dreißigährigen Kriegs stammt, erzählt von einem Hofverwalter – einem Maier – der zusammen mit den Einwohnern vor der schwedischen Reiterei aus dem Dorf in den Wald geflohen war. Nachts schlich er sich zurück auf seinen Hof und fand in der verwüsteten Stube sieben schlafende betrunkene schwedische Reiter vor, denen er aus Wut die Hälse durchgeschnitten haben soll.
Häser verkörpern Realität und Mythos
Dieser Mix aus Sage und Realität spiegelt sich auch in den Häsern des Vereins wider. Der Narrenrat mit Mantel und Hut verkörpert den schwedischen Offizier, das Schimmele mit einer Pferdemaske aus Holz und Pferdehaar sowohl das Ross als auch den Schimmelreiter. Die Figur der Marketenderin repräsentieren die Begleiterinnen, die das schwedische Heer versorgten und der Hafersack steht für die Verpflegung der Pferde. Die Holzer und der Narrenpolizist komplettieren die Figuren des Vereins.
Eine besondere Tradition ist auch die Fasnetbeerdigung komplett mit Pfarrer, Messmer und Ministrant, bei der die fünfte Jahreszeit zu Grabe getragen wird. Für die Hintergründe dieser Tradition hat Ehrennarrenrat Michael Bohl nachrecherchiert: Ursprünglich wurde die Beerdigung von der Familie Keller vom Gasthaus Adler zur allgemeinen Belustigung in den 50er Jahren erfunden. Der Narrenverein Schimmelreiter hat das dann später übernommen.
Alle Beiträge unserer Narrenzeitung 2023 und des närrischen Treibens in der Region finden Sie auf unserer Fasnets-Seite www.wochenblatt.net/tag/fastnacht
Autor:Tobias Lange aus Singen |
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