Ein Familiengeführtes Kaufhaus ist heutzutage eine Seltenheit. Dass es sich trotzdem behaupten kann beweist Hermann Kratt mit seinem Team in Radolfzell
»Treffpunkt, Mittelpunkt, Anziehungspunkt«

Hermann Kratt | Foto: Hermann Kratt nach dem Gespräch mit dem Wochenblatt in seinem leeren Kaufhaus. swb-Bild: dh
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Radolfzell. Das Kaufhaus Kratt ist in Radolfzell eine echte Institution. Seit 101 Jahren ist das Familienunternehmen eine Marke in der Innenstadt. Was das Erfolgsrezept dahinter ist, und wie er die Zukunft der Radolfzeller Innenstadt sieht, darüber spricht Geschäftsführer Hermann Kratt im Interview mit dem Wochenblatt.

Wochenblatt: Ein Familiengeführtes Kaufhaus ist in der heutigen Zeit ein Exot im Einzelhandel. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Hermann Kratt: Wir haben uns in den 101 Jahren unseres Bestehens immer wieder verändert. Wir haben uns immer den neuen Situationen gestellt und sind immer wieder neu auf die Bedürfnisse der Kunden eingegangen. Wir sind Radolfzeller und das Kaufhaus Kratt ist ein Teil von Radolfzell. Nur weil wir unsere Kunden kennen und wissen, was sie wollen, erfahren wir diese große Akzeptanz und im Moment auch diese große Solidarität. Ein wichtiges Kapital sind auch unsere Mitarbeiterinnen, die zum Teil ihre Kunden schon lange kennen und deshalb genau auf deren Wünsche eingehen können.

Wochenblatt: Sind 101 Jahre Firmen- und Familiengeschichte für Sie eher ein Segen oder eine Last?
Hermann Kratt: Teils, Teils. Wir haben über diese 101 Jahre die Marke »Kratt« geschaffen. Wir haben einmal den Werbespruch geprägt »Treffpunkt, Mittelpunkt, Anziehungspunkt«, weil wir mehr sein wollen als nur der schnelle Einkauf. Jugendliche verlieren wir oft, wenn die Spielwarenabteilung uninteressant wird, aber die kommen dann wieder, wenn sie verheiratet sind und ihren Hausstand einrichten. Insofern hat Tradition einen Vorteil. Aber das Gefährliche ist, dass man sich nicht auf Traditionen zurücklehnen darf. Man muss sich verändern und sich den Gegebenheiten stellen.

Wochenblatt: Wie ordnen sie die jetzige Krise in die Geschichte Ihres Unternehmens ein?
Hermann Kratt: Das ist eine Herausforderung, mit der ich nie gerechnet habe. Wahrscheinlich geht es mir da aber wie allen anderen auch. Es zeigt mir einmal mehr wie wichtig es ist, ständig an sich und seinem Unternehmen zu arbeiten und wie wichtig es ist gute Verbindungen haben, sei es zur Industrie, zu Großhändlern oder zur Bank. Das ist eine Sache, die wir nur gemeinsam bewältigen können. Auch was mein Team anbelangt, einige sind jetzt zum zweiten Mal in Kurzarbeit aber uns ist bewusst: gemeinsam sind wir stark. Worüber sich viele keine Gedanken machen, ist, dass für uns auch der Einkauf in Coronazeiten viel Schwieriger ist als jemals zuvor. Durch die Pandemie sind die ganzen großen Messen ausgefallen, die wir normalerweise besuchen. Jetzt lädt mich jeder Lieferant zu einer eigenen Hausmesse ein, aber das kann ich natürlich gar nicht leisten, dort überall hinzufahren. Wenn die Hersteller jetzt merken, dass sie sich die großen Messen sparen können, wird das sehr schwierig für uns kleinere Händler. Für die Großen mit ihren Zentraleinkäufern ist das natürlich weniger ein Problem.

Wochenblatt: Begünstigen solche Krisen auch Innovationen?
Hermann Kratt: (überlegt) Das halte ich für schwierig. Aktuell spricht jeder von Onlineshops. Für mich ist Online aber nicht die Alternative. Unsere Stärke sind unsere Qualität, unser Sortiment und unsere Mitarbeiter. Und ich bin der Meinung, man kann nicht zweier Herren Diener sein. Wenn ich im Online-Geschäft mitspielen will bin ich ein ganz kleines Licht. Aber als Kaufhaus Kratt in Radolfzell habe ich eine gewisse Größe und diese will ich mir erhalten. Deshalb verzetteln wir uns nicht in Online-Geschäfte. Wir sehen unsere Stärken lokal.

Wochenblatt: Aber Sie haben doch trotzdem eine Homepage und einen Social-Media-Auftritt.
Hermann Kratt: Wichtig ist heutzutage, dass man im Netz präsent ist. Wenn jemand eingibt Kaffeemaschine Radolfzell, dann muss der Kratt kommen. Das ist uns sehr wichtig und das pflegen wir auch. Also online sind wir sehr wohl präsent, weil der Verbraucher heute vorinformiert sein will. Deshalb geht es ohne eine gut gepflegte Website und einen Social-Media-Auftritt heute nicht mehr
Nur einen Onlineshop bieten wir eben nicht an.

Wochenblatt: Was wünschen Sie sich für die Zeit nach dem Lockdown?
Herrmann Kratt: Ich hoffe, dass der Lockdown bewirkt, dass die Leute merken was Radolfzell ist, wenn die Gastronomie und die Händler vor Ort nicht mehr sind und dass diese Erkenntnis die Leute solidarisch macht, und sie sehen, was es wert ist, vermehrt lokal einzukaufen um diese Innenstadt zu erhalten. Das ist ja auch bequemer als extra in eine andere Stadt zu fahren, um einzukaufen.

Wochenblatt: Wie wichtig sind lokale Unternehmen als Arbeitgeber für eine Region?
Hermann Kratt: Nur wenn eine Region gute Arbeitsplätze hat, ist eine Region auch finanzkräftig. Dann haben die Leute auch Geld zum Einkaufen. Für mich haben meine Mitarbeiter absolute Priorität. Bevor ich einen neuen Teppichboden kaufe, investiere ich lieber in meine Mitarbeiter. Denn das ist mein Plus gegenüber anderen. Natürlich sind für uns als Unternehmen auch andere Firmen wichtig, die hier im Umfeld für Arbeitsplätze sorgen. Arbeitsplätze in der Innenstadt bringen auch uns wieder Frequenz und alles, was der Innenstadt genommen wird, fehlt an Frequenz.

Wochenblatt: Was ist für Sie das große Plus an der Radolfzeller Innenstadt und wo sehen Sie noch Verbesserungspotential?
Hermann Kratt: Wir haben Konstanzer Kunden, die sagen Radolfzell ist schön, Radolfzell ist überschaubar und hat Flair. Dazu trägt zum einen die Altstadt bei aber auch die zahlreichen inhabergeführten Geschäfte, sei es ein Andreas Joos, der mit seinem Geschäft ein unglaublicher Magnet ist oder ein Traditionsgeschäft wie Spielwaren Swars, das es in dieser Form so praktisch nirgends mehr gibt. Wir sind noch eine Stadt die besondere Geschäfte hat und nicht nur Filialisten. Radolfzell hat auch noch viel Potenzial und Chancen, aber diese muss man auch nutzen. Für mich gehört zum Beispiel ein Edeka-Markt nicht ans Schoch-Areal, wo er geplant ist, sondern an den Bahnhof. Wir müssen in der Innenstadt kompakt sein. Eine Innenstadt braucht Frequenz. Wenn wir jetzt draußen im Norden die Leute abfangen, kommen sie nicht mehr in die Innenstadt. Auch der Tourismus ist ein wichtiger Faktor für die Stadt. Das hat sich dieses Jahr besonders gezeigt, wo viele aufgrund von Corona die Bodenseeregion ganz neu als Reiseziel entdeckt haben. Das muss man eigentlich in Zukunft noch weiterentwickeln. Wir haben Potenzial, aber das müssen wir nutzen und stärken.

Wochenblatt: Fühlen Sie sich aktuell von der Politik genug wahrgenommen mit ihren Sorgen, oder haben sie das Gefühl, dass der Bezug zur Situation vor Ort fehlt?
Hermann Kratt: Ich würde aktuell nicht mit den Politikern tauschen wollen. Auch für sie ist diese Situation völlig neu und auch sie müssen ihre Erfahrungen machen. Was mir fehlt, ist aber eine langfristige Perspektive und mir persönlich fehlt auch manchmal das Verständnis für einzelne Regelungen. Warum waren bis vor kurzem Abholstationen verboten, obwohl sie für den kleinen Einzelhandel sehr wichtig gewesen wären, während die Menschen gleichzeitig an der Post Schlange stehen dürfen. Das finde ich nicht fair. Genauso wie die Tatsache, dass sogenannte systemrelevante Händler alles verkaufen dürfen, während wir geschlossen haben müssen. Da müsste es eine klare Abgrenzung geben, dass diese beispielsweise Drogerieartikel und Lebensmittel verkaufen dürfen aber keine Spiel- oder Haushaltswaren. Hier macht es sich die Politik oft zu einfach. Ich habe das Gefühl es ist den Politikern manchmal gar nicht bewusst, was sie mit diesen Ungerechtigkeiten anrichtet.

Wochenblatt: Was halten Sie von einer Paketabgabe für die großen Onlinehändler, die den Innenstädten zugutekommen soll, wie es der Bundestagsabgeordnete Andreas Jung vorgeschlagen hat?
Hermann Kratt: Ich finde, man sollte sich eher Gedanken darüber machen, wie man diese Unternehmen generell in eine Steuerpflicht bringen kann. Nicht Paketabhängig, sondern dass diese Unternehmen steuerlich genauso ihre Pflichten haben wie wir, auch wenn sie in Irland oder sonst wo ihren Geschäftssitz haben. Denn diesen Wettbewerbsvorteil der Steuerfreiheit kann man gar nicht ausgleichen. Ich glaube, das schafft man auch nicht mit einer Paketabgabe.

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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