Ein Törchen hinter dem Waldfriedhof führt zur Schießanlage
SS-Mahnmal wird einfach ignoriert

Radolfzell (li). Vielleicht muss man von außen kommen, um die Dimension der Radolfzeller SS-Geschichte im Dritten Reich zu begreifen. Das WOCHENBLATT hatte am 8. Mai 1995 zum 50Jährigen der Kapitulation des Nazi-Regimes eine Sonderzeitung herausgebracht, in der die lokalen Geschehnisse herausgearbeitet wurden. Neue Zeitzeugen waren gefunden worden, die das kollektive Schweigen der Nachkriegszeit gebrochen haben. Dabei wurde die zentrale Rolle der SS-Kaserne in Radolfzell immer deutlicher, denn von hier aus kam die Furcht und die Angst gerade in den letzten Kriegstagen draußen her.

Der Rest der früheren Kaserne ist das heutige RIZ, ein Gründer-und Technologiezentrum. Bis heute erinnert dort keine Gedenktafel an die Vergangenheit. Die ist hinter dem Waldfriedhof auf Güttinger Gemarkung bis heute im Wald sichtbar, ein Großkaliberschießstand in drei Etappen, der von Dachauer KZ-Insassen in der Radolfzeller Außenstelle ab 1941 fertiggestellt wurde.

Dieses SS-Mahnmal wird bis heute in Radolfzell ignoriert. Während dies offiziell gilt, haben sich andere Mitmenschen dies längst zur Kultstätte erkoren. Unter der 60 Meter breiten Hauptschießwand ist beim Rundgang eine Feuerstelle zu sehen. Der Platz ist nur über eine schmierige Furt zu erreichen. Unterhalb von ihr stehen bis heute bunkerartige Schießstände. Graffitis wurden auf den meterdicken Beton gemalt. Verräterisch: »Dem Deutschen Volke« und der Name Rommel.

Da haben offenbar auch einige etwas historisch durcheinandergebracht. Die offenbar rechtsradikale Verehrung des Platzes schockiert. Die SS hatte 1939 wegen Personalmangels die Bauarbeiten einstellen müssen, hat Museumsleiter Achim Fenner dokumentiert. Bis dahin allein waren von 47.000 Kubikmeter Mutterboden 40.000 bewegt und 4.500 Nagelfluh gesprengt worden.

Die SS-Kaserne war zum Ausbildungslager geworden. Deshalb sollte der Schießstand 1941 komplett erstellt werden. Am 19. Mai 1941 kamen 113 KZ-Häftlinge aus Dachau in Radolfzell auf dem Bahnhof an. Sie wurden zur Kaserne geführt und dann täglich an ihren Arbeitsplatz im Wald hinter dem Friedhof. Das lief über Jahre hinweg so. Eine bedrückende Realität, die sich in den Köpfen der Menschen verfestigt haben muss. Zum Kriegsende wurden Teile der SS-Kaserne und der Schießstände gesprengt.
Noch eine Zahl für die Geschichte: Im September 1939 waren 4.000 Menschen aus den Orten im Rheinknie hierher in die SS-Kaserne und an andere Orte evakuiert worden. Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten 234 jüdischen Mitbürger von der Höri von SS-Männern aus Radolfzell ergriffen und zum Bahnhof nach Singen auf Lastwagen gebracht worden. 71 davon sind in Gurs umgekommen. Am Seetorplatz gibt es dafür einen Gedenkstein, an dem auch der Autor bisher glatt vorbeigelaufen ist.

In Radolfzell gab es Hinrichtungen in der Kaserne, die dokumentiert sind. Das sei auch Achim Fenner gedankt. Ein Tabu-Thema gibt es allerdings bis heute: Wieviele Kinder haben SS-Soldaten in Radolfzell gezeugt? Dem Führer Kinder zu schenken, war der Wunsch vieler Maiden in dieser Zeit.

- Hans Paul Lichtwald

Autor:

Redaktion aus Singen

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