Wohnungsmangel wird sich wohl weiter zuspitzen
"Noch" werden Familienheime gebaut

Auf dem Bild von links: Die beiden Vorstände der Baugenossenschaft Familienheim Bodensee Marco Bächle und Stefan Andelfinger (Vorstandsvorsitzender), sowie die Mitglieder des Aufsichtsrats Bernhard Hertrich (Vorsitzender, hinten), Eva-Maria Leirer, Michael Dohm, Susanne Strässle (stellvertretender Vorsitzende), Werner Schwacha und Dr. Christoph Wagener (Schriftführer) | Foto: Anja Kurz
  • Auf dem Bild von links: Die beiden Vorstände der Baugenossenschaft Familienheim Bodensee Marco Bächle und Stefan Andelfinger (Vorstandsvorsitzender), sowie die Mitglieder des Aufsichtsrats Bernhard Hertrich (Vorsitzender, hinten), Eva-Maria Leirer, Michael Dohm, Susanne Strässle (stellvertretender Vorsitzende), Werner Schwacha und Dr. Christoph Wagener (Schriftführer)
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Radolfzell/Landkreis Konstanz. Der Bausektor ist von massiven Krisen gebeutelt und Besserung scheint nicht in Sicht. Das war auch das Fazit aus der Mitgliederversammlung der Baugenossenschaft Familienheim Bodensee (BG), bei der am Mittwochabend, 21. Juni, die Bilanz des Geschäftsjahres 2022 vorgestellt wurde. 

Den Blick auf die Finanzen der Genossenschaft übernahm der Vorstandsvorsitzende Stefan Andelfinger. Trotz des Kriegs in der Ukraine, immens gestiegener Energie- und Baukosten und anderen "täglichen Herausforderungen" im vergangenen Jahr, habe man es geschafft, mit einem "guten Ergebnis abzuschließen". Bei einem Umsatz von 11,7 Millionen Euro erwirtschaftete man einen Überschuss von etwas weniger als 1,8 Millionen Euro, der als Ergebnisrücklage fast vollständig in das Eigenkapital der BG fließt. Der restliche Bilanzgewinn wird in einer Dividende von vier Prozent mit insgesamt 51.820 Euro an die Mitglieder ausgeschüttet. Diese Verwendungen wurden einstimmig entschieden.

Noch und Nöcher

Die Kosten seien insgesamt ähnlich wie im Vorjahr, höhere Personalkosten wurden durch Einsparungen an anderer Stelle "nahezu kompensiert". Bei den gezahlten Zinsen "kamen uns unsere langfristigen Festschreibungen noch zugute", betonte Andelfinger. Bei der "panikartigen" Erhöhung der Zinsen erwarte er weitere Schritte, was nicht ohne Folgen bleibe. Exemplarisch führte er den Baustopp der Wohnungsgesellschaft Vonovia auf, welcher die Wohnungsnot in Deutschland weiter verschärfen werde.

Die Bilanzsumme der BG steige von 83,48 Millionen Euro auf 88,44 Millionen Euro, was der Vorstandsvorsitzende auf die "noch anhaltende Bautätigkeit" und das so gesteigerte Anlagevermögen zurückführte. Eine beachtliche Eigenkapitalausstattung halte die BG Familienheim Bodensee zudem handlungsfähig, so Stefan Andelfinger: "Insgesamt sind wir mit den Bilanzzahlen sehr zufrieden."

Die Nachfrage halte weiterhin an, die Wohnungen seien attraktiv und mit einer durchschnittlichen Kaltmiete von rund 7,20 Euro (immer pro Quadratmeter) "noch bezahlbar". Ihrem genossenschaftlichen Auftrag werde die BG damit vollumfänglich gerecht, unterstrich der Vorstandsvorsitzende. In Unterhalt und Sanierung des Wohnungsbestands seien 2022 rund 2,8 Millionen Euro investiert worden. Auch im Neubau sei man "noch sehr aktiv gewesen", sodass sich die Gesamtinvestitionen auf etwa 9 Millionen Euro summierten. 

Zunächst keine neuen Projektierungen

Allerdings sieht Andelfinger Wachstum und Wohlstand durch immer strengere Anforderungen an den Klimaschutz, wegfallende Förderprogramme, sowie insbesondere durch Schuldenpolitik, Inflation und hohe Zinsen bedroht. 43 Prozent der Baugenossenschaften planen laut einer Befragung keinen Neubau im Jahr 2023. In den kommenden zwei Jahren könnten 60 Prozent weniger Wohnungen gebaut werden, als vorgesehen. "Auch wir werden bis auf Weiteres keine neuen Projektierungen mehr vornehmen und uns bei den bereits genehmigten Bauvorhaben sehr genau überlegen, ob und in welchem Zeitraum wir diese durchführen werden", betonte Andelfinger. Selbst als "gesunde Genossenschaft", sei es nahezu unmöglich, für die breite Bevölkerung kostendeckend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Warum ist das so?

Mit steigenden Baukosten (immer pro Quadratmeter) zwischen 4.500 bis 6.800 Euro je nach Region (Bodenseeregion etwa 5.200 Euro), hohen Zinsen und unklarer Gesetzeslage sei eine "auskömmliche und verlässliche Kalkulation" unmöglich.
Egal ob Bau- oder Baunebenkosten, diese hätten sich seit 2000 bis Anfang 2023 mindestens verdoppelt, beim technischen Ausbau stiegen diese sogar um 318 Prozent. "Mit deutscher Gründlichkeit hat man die Kosten zum Teil sinnlos in die Höhe getrieben", anstatt die Standards und damit auch die Kosten zu schmälern.

Gehe man von durchschnittlichen Baukosten von 5.000 Euro aus, brauche es einen Fördersatz von etwa 50 Prozent für sozialen Wohnraum mit einer Kaltmiete zwischen 6,8 bis 8,5 Euro. Bezahlbarer Wohnraum mit zehn bis 12,50 Euro Miete ohne Nebenkosten benötige Förderungen von etwa 30 Prozent. Erst ab 17,50 bis 20 Euro Miete beginne das normale Marktsegment, durch das Gebäudeenergiegesetz (GEG) könne man von einer Tendenz zu 23 Euro ausgehen.
"Alleine für nur 100.000 neue Sozialwohnungen bräuchten wir circa 15 Milliarden Euro an Subventionen", kalkulierte Andelfinger, ein Volumen, das die Bundesmittel übersteige und letztlich wohl die Steuerzahler oder ein neues "Sondervermögen" fordere.

Bei den Baubeteiligten, wo er sich schon lange "eine Entschlackung" erhoffe, habe sich die Lage noch deutlich verschlimmert: "Warum da die Kosten steigen, ist wohl selbstredend."
"Umweltschonendes, nachhaltiges, klimaneutrales, altersgerechtes, behindertengerechtes und sicheres Bauen" sei dabei ohne Frage sinnvoll, habe allerdings seinen Preis. Damit dies langfristig gelinge, brauche es eine breite gesellschaftliche Akzeptanz, hob er mit Blick auf das "dilettantische Gezerre" um das GEG hervor.
"Noch sind wir am Bauen", so die zunächst positive Bilanz Stefan Andelfingers. "Außerdem vermieten wir auch noch unter 20 Euro - zumindest, solange es geht."

Bauen muss "einfach einfacher" werden

Ähnlich äußerte sich im Anschluss auch der technische Vorstand Marco Bächle. Schon für die Pflege des Bestands sei 2022 durch höhere Standards ein "überdurchschnittlich hoher Betrag aufgewendet" worden. Die Sanierungen seien trotzdem im wirtschaftlichen und zeitlichen Rahmen abgeschlossen und an örtliche Handwerker vergeben worden.

In Hilzingen würden gerade 22 Neubau-Wohnungen fertiggestellt und bezogen, berichtete Bächle. Weiter hob er die sehr gute Zusammenarbeit mit der Gemeinde lobend hervor. Gleiches gelte für die Gemeinde Engen, wo an der Aacher Straße 54 Wohnungen entstehen. Trotz der anspruchsvollen Baustelle liege man im Zeit- und Kostenplan. Der Bezug sei bis Herbst 2024 geplant. Weitere Projekte inbegriffen baue man aktuell "insgesamt fast 90 Wohnungen im Wert von 24 Millionen Euro".

Auf eigenem Grundstück im Singener Malvenweg werde der Neubau von 28 Wohnungen vorbereitet, parallel andere Projekte entwickelt. Damit käme die BG bis jetzt ihrer Verpflichtung nach. Unsicher sei, ob dies so bleiben könne. "Wir würden gerne bauen, machen Sie es uns doch einfach einfacher", wandte sich Marco Bächle an die Behörden. Bereits begonnene Projekte der BG würden fertig gebaut, doch bei neuen Projekten stehe der Baubeginn nicht fest: "Wir können die Baukosten einfach nicht mehr darstellen."

Lage nicht erkannt

Immer mehr Komplexität, monatelange Genehmigungszeiten, fehlende Fachkräfte und steigende Preise machen seiner Ansicht nach den Bau von 400.000 benötigten neuen Wohnungen pro Jahr unmöglich. Bei Neubaukosten von etwa 250.000 Euro summiere sich dies auf ein jährliches Bauvolumen von 100 Milliarden Euro.

Der Regierung warf der Vorstand vor, unkoordiniert zu handeln. Die Bauindustrie werde reguliert und eingeschränkt wie keine andere, die prekäre Lage durch das Bauministerium nicht erkannt. Es brauche Kontinuität und Verlässlichkeit über Monate oder Jahre, "so können wir besser planen und auch günstiger und schneller bauen".
Angesichts der hohen Vorgaben könne es nicht gelingen, den Wohnungsbestand ohne eine signifikante Verkleinerung komplett klimaneutral zu bekommen. Stattdessen regte er an, auf die "sehr hohen Standards von 2015" zu setzen, was die Baukosten um etwa 25 bis 30 Prozent reduziere.

Bei der Prüfung der Bilanz und Buchführung konnte Aufsichtsrat Werner Schwacha berichten, dass es "trotz intensiven Suchens" auch nichts zu beanstanden gebe, "ein wirklich hervorragendes Prüfungsergebnis". Die Entlastung der Vorstandschaft, des Aufsichtsrates und die Wiederwahl des Aufsichtsratsmitglieds Michael Dohm fielen einstimmig aus.

Weitere Details und Informationen sind dem Geschäftsbericht der Baugenossenschaft Familienheim Bodensee zu entnehmen, der hier heruntergeladen und eingesehen werden kann.

Autor:

Anja Kurz aus Engen

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