In Radolfzell soll ein neues, fortgeschriebenes Kulturleitbild entwickelt werden
Im zweiten Schritt die Kultur noch spürbarer machen
Radolfzell. »Kultur in Radolfzell soll in Zukunft noch stärker spürbarer und internationaler werden wie die Stadt selbst schon ist, inklusiver, barrierefreier, mit mehr ungeahnten oder unverhofften Elementen aufwarten.«
Das sind einige der Punkte aus den Ideensammlungen, die im Rahmen eines Workshopnachmittags vergangenen Samstag im Foyer des Milchwerks zu den verschiedensten Aspekten der Kultur in der Seestadt entwickelt wurden.
Rund 60 Personen aus dem Kulturleben haben daran teilgenommen. Bürgermeisterin Monika Laule zeigte sich sehr froh, dass eine sehr stattliche Delegation des Jugendgemeinderats diesen Nachmittag genutzt hatte, um sich mit seinen Ideen und Vorstellungen einzubringen, mit denen die Radolfzeller Identität nochmals mehr auf ein kulturelles Fundament gestellt werden soll, ein mehr als »Musikstadt« übrigens inbegriffen.
Aus den nun gesammelten Ideen solle ein neues, fortgeschriebenes Kulturleitbild entwickelt werden. Das »Alte« ist von 2014 und manchen inzwischen zu »brav« geworden, wie bei den Workshops zu hören war.
Die Ideen sorgten bei den Teilnehmern durchaus für Aufbruchstimmung. »Ich bin froh, es ist keine ›Road to Hell‹, wie der Kulturszene bei der Verhängung des ersten Lockdowns in 2020 noch prophezeit wurde«, zeigte sich auch Monika Laule zuversichtlich, dass der Weg zur Kulturstadt mit neuer Energie fortgesetzt wird.
Der Kongress hätte eigentlich schon letztes Jahr stattfinden müssen, fiel damals kurzfristig wegen des zweiten Lockdowns ins Wasser. Und nun klappte es endlich mit dem zweiten Startversuch. »Wir müssen unseren wesentlichen Beitrag leisten, um das aktive Zusammenleben zu gestalten als eine Kultur für alle, aber auch mit allen. Wir wollen nicht im Jahr 2030 ankommen und merken, was wir nicht gemacht haben, aber wir wollen nun auch wissen, was wir nicht machen wollen«, appellierte Laule an die Gäste des Eröffnungsabends.
Ähnlichkeiten mit Klimaappellen sind da keineswegs zufällig. Kultur hat mit dem Klima einer Stadt ja auch eine Menge zu tun. Kultur ist Wandel und in einer Transformation. »Wie können wir das gemeinsam mit Ihnen schaffen« – war die Aufgabenstellung dieses Wochenendes. Zum Auftakt am Freitagabend war Zukunftsforscher Matthias Horx im Startimpuls eingeladen und machte deutlich, dass in die Zukunft blicken zu wollen doch vermessen sei, denn Zukunft sei eine ständige Korrektur der Wahrnehmung. »Aber wir Menschen können uns kommende Zustände vorstellen, schon weil wir Angstwesen sind«, so Horx.
Die noch fortdauernde Corona-Krise ist für ihn ein Punkt, auf den zurückgeblickt werden muss, um Ausblicke zu wagen. Mit dem Ausbruch des Virus’ sei die Menschheit aus der Erwartung einer Kontinuität abrupt herausgerissen worden. Doch 70 Prozent sagten, dass Corona ihnen etwas vermittelt habe, von dem sie wollen, dass es bleibt. Viele Menschen hätten gemerkt, dass es Dinge gibt, von denen sie zuvor meinten, sie unbedingt zu brauchen, und feststellten, dass sie gar nicht so nötig wären.
Pandemien hätten sich in der jüngeren Menschheitsgeschichte als Innovationstreiber erwiesen. Auch in Sachen Kultur, schon weil Horx mit Kultur viel mehr meint, als die Oper in der Stadt, nämlich die Grundlagen unseres Zusammenlebens. Nach der Pest habe die Renaissance in Europa begonnen, nach den Cholera-Epidemien ein neuer Städtebau unter Aspekten der Hygiene, führte er aus.
Krisen hätten auch immer eine transformative Rolle, dass die Kultur die Welt verändern könne. Dass es eine solche Krise gebe, sei voraussehbar gewesen.
Die erste sei seit 30 Jahren im globalen Turbo gewesen, der immer mehr Container um die Welt schickte. Da sei etwas mit den Wertschöpfungsketten nicht in Ordnung gewesen, die immer mehr quietschten in einem fragilen System. Man müsse sich alleine vorhalten, wie viele Dinge man selbst nutze, welche aus Ländern mit schlechten Produktionsbedingungen kämen. Die Gegenbewegung ist nachvollziehbar: eine neue Heimatsehnsucht. »Glokalsierung«, eine Mischung aus global und lokal, oder »Rubanisierung« (eine Mischung aus urban für Stadt und rural für Land) sieht er als Trends, die Radolfzell mit seiner Kulturplanung hier den Wind in die Segel pusten und das Segel nun am richtigen Fleck stellen sollte.
Matthias Horx ermutigte, nach Leuchtturmprojekten Ausschau zu halten, nach kreativen Köpfen, wirbeligen Wirten, manischen Metzgern und ähnlichen Alleinstellungsmerkmalen. Mit einem Win-Win-Willen und dem Mut zu Kooperationen über Gemeindegrenzen hinweg könnte viel bewegt werden, machte Matthias Horx Mut zu Transformationen, über die zuweilen auch diskutiert werden müsse.
Der Turmbau zu Rottweil ist für ihn ein ideales Beispiel: viele Gegner gab es gegen die Planungen von Thyssen bis zu Anfeindungen. Jetzt steht der Fahrstuhl-Testturm und ist neues Wahrzeichen, ein Leuchtturm im besten Sinne geworden. Von diesem Gefühl wurde auch viel in dem Samstag herübergenommen.
Autor:Ute Mucha aus Moos |
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