»Trachten Leben« in Radolfzell im Fokus der Radolfzeller Heimattage
Heimat auf der Haut

Wolfgang Weidele | Foto: Wolfgang Weidele, der Vorsitzende der Trachtengruppe alt-Radolfzell sprach mit dem Wochenblatt über das Trachten Hobby, und die Neuauflage des Gedichtbands »Iiszapfe zum schlozze«. swb-Bild: dh
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Radolfzell. Für manch einen gehören sie zum typischen Heimatgefühl: die Radolfzeller Trachten, die nicht nur am Hausherrenfest einen beeindruckenden Anblick bieten. Wolfgang Weidele ist der Vorsitzende der Trachtengruppe Alt-Radolfzell, die im Heimattage-Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiert. Im Gespräch mit dem Wochenblatt spricht er über die Bedeutung von Heimat und was dahintersteckt, diese Tradition am Leben zu halten.

Wochenblatt: Was bedeutet für Sie Heimat?

Wolfgang Weidele: »Wir waren erst neulich in der Ausstellung Patchwork Heimat in der Villa Bosch. Dort sieht man, dass es dazu ganz verschiedene Aspekte gibt. Für mich bedeutet Heimat, dass man sich an einem Ort wohlfühlt und seinen Freundeskreis hat. Am stärksten spüre ich dieses Heimatgefühl, wenn auf der Heimfahrt aus dem Urlaub der Kirchturm und der See wieder in Sicht kommen. Das ist für mich Heimat, ganz einfach umschrieben.«

Wochenblatt: Wie wichtig ist beim Thema Heimat die Tracht, und mit welchem Gefühl verbinden sie diese? Wolfgang Weidele: »Die Tracht ist eine Kleidung, mit der man natürlich eine besondere Verbundenheit zu Radolfzell spürt, weil sie da einfach dazugehört. Wenn man in die Tracht schlüpft, ist man fast ein anderer Mensch. Man fühlt sich anders, man läuft aufrechter und es ist schon ein außergewöhnliches Gefühl, so auf der Straße unterwegs zu sein. Die Leute schauen hin und manche fragen auch, ob sie ein Bild machen dürfen. Das ist schon etwas Besonderes.«

Wochenblatt: Ist Trachten tragen denn heutzutage noch angesagt oder haben Sie Nachwuchssorgen?

Wolfgang Weidele: »Wir haben einige Familien in unserer Gruppe, auch mit Kindern, aber meistens gibt es dann so eine Phase zwischen 12 und 15 Jahren, wo bei den Jugendlichen eine Flaute entsteht, was das Thema Tracht angeht, aber viele kommen dann auch irgendwann wieder. In den letzten Jahren erleben wir im Allgemeinen, dass die Mitgliederzahl in der Trachtengruppe leicht steigt, auch wenn die Altersstruktur eher hoch ist.«

Wochenblatt: Was ist denn eigentlich die Voraussetzung, um Mitglied in der Trachtengruppe zu werden? Muss man gebürtig aus Radolfzell sein oder darf jeder mitmachen?

Wolfgang Weidele: »Eigentlich gibt es da keine Regeln. Früher war es aber sehr streng. Da musste man katholisch und Radolfzeller sein. Das hatte natürlich vor allem damit zu tun, dass die Trachten beim Haus-herrenfest eine so große Rolle gespielt haben. Mittlerweile ist das mit der Tanzgruppe alles sehr viel offener geworden. Jeder kann sich bewerben und dann wird abgestimmt. Oft scheitert es aber auch an den Kosten für die Kleider.«

Wochenblatt: Stimmt, so eine Tracht gibt es ja nicht gerade an jeder Ecke zu kaufen und sie sind auch sehr aufwendig in der Herstellung, oder?

Wolfgang Weidele: »Ja, für die Kleider der Frauen fallen allein 600 Euro für den Stoff an. Dieser kommt meist aus dem bayerischen Raum. Um den Chiemsee herum gibt es Firmen, die noch solche Stoffe herstellen. Dann kommt natürlich noch die Herstellung dazu. Noch teurer sind die Hauben. Der Preis für eine Haube besteht aus rund 2.000 Euro für die Klöppelarbeit und rund 1.000 Euro für das Anbringen und Fertigstellen der Haube. Allein die aufwendigen Klöppelarbeiten dauern rund 40 Stunden. Überhaupt muss man ja erst mal jemanden finden, der das heutzutage noch kann. Im Augenblick sind wir aber optimistisch, dass wir wahrscheinlich bald wieder jemanden in Radolfzell haben, der solche Radhauben anfertigen kann. Für die Kleider gibt es Schnittmuster und wir haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich das Ziel gesetzt hat, selbst Kleider zu nähen. Allerdings ist das auch durch Corona ausgebremst worden. Insgesamt müssen wir immer wieder suchen, wo wir welche Stoffe, Klöppelgarne und Tücher herbekommen. Dazu sind wir auf Trachtenmessen und im Internet unterwegs. Bei den Männertrachten ist es etwas unkomplizierter, da können wir uns einfach an Schneidereien wenden, die sich auf Uniformen für Musikvereine spezialisiert haben. Die können dann mit den entsprechenden Vorlagen und Schnittmustern unsere Männertracht anfertigen.«

Wochenblatt: Gibt es irgendwelche besonders schönen Erlebnisse, die Sie mit der Tracht verbinden?

Wolfgang Weidele: »Oftmals kommt man über die Tracht mit anderen Menschen ins Gespräch. Manch einer erzählt dann, dass er selbst auch Mitglied in einer anderen Trachtengruppe ist, und so entsteht dann ein Austausch. Das ist immer sehr schön, aber eigentlich erlebt man sowieso nur positive Reaktionen auf die Tracht. Auch, wenn manche es fälschlicherweise mit Fastnacht verbinden.«

Wochenblatt: Wie kamen Sie denn selbst zur Tracht?

Wolfgang Weidele: »Durch meine Familie. Meine Frau war schon immer dabei und meine zwei Töchter auch, und als mein Sohn im Kinderwagen saß, habe ich versprochen, dass ich auch dazukomme, sobald er laufen kann. Seit drei Amtsperioden bin ich jetzt mittlerweile Vorstand der Trachtengruppe.«

Wochenblatt: Wie war das denn, als vor 100 Jahren die Trachtengruppe in Radolfzell gegründet wurde?

Wolfgang Weidele: »Zunächst ein-mal muss man sagen, dass wir den genauen Gründungszeitpunkt eigentlich gar nicht kennen. Es gibt keine Gründungsurkunde oder so. Aber aus dem Jahr 1921 gibt es zumindest erstmals schriftliche Belege zur Trachtengruppe. Gegründet wurde sie ja auf Initiative von Pfarrer Hermann Sernatinger, der noch einige andere Trachtengruppen gegründet hat. Als gebürtiger Radolfzeller hat er dann vermutlich auch einigen Radolfzeller Damen die Tracht wieder schmackhaft gemacht. In den ersten Unterlagen tauchen die Radolfzeller Trachten als Untergruppe von Hausen im Wald auf. Zum Stadtjubiläum1926 sind dann erstmals Trachtenträgerinnen in größerem Rahmen in Erscheinung getreten. Die Männer kamen interessanterweise erst später dazu, nämlich in den 30er oder 40er Jahren. Insgesamt fällt auf, dass die allermeisten Trachtengruppen hier im Bodenseeraum in den 20er Jahren gegründet wurden. Wahrscheinlich war das damals eine Art Heimatbewegung. Aber sowas gibt es ja heute auch noch. Denken Sie an den Trend mit Dirndl und Lederhosen auf den Volksfesten, der vor einigen Jahren aufkam. Vor 30 Jahren hätte sich niemand sowas vorstellen können.«

Wochenblatt: Wie lief die Vorbereitung auf dieses Festjahr in so ungewöhnlichen Zeiten?

Wolfgang Weidele: »Ein großer Punkt im Jubiläumsjahr ist ja die Trachtenausstellung im Stadtmuseum in Verbindung mit den Heimattagen. Das war viel Arbeit, wir mussten gemeinsam mit den Gestaltern der Ausstellung aussuchen, welche Trachten wir zeigen wollen und wir haben auch eng mit dem Stadtarchiv zusammengearbeitet, um historische Fakten für die Ausstellung zusammenzutragen.«

Wochenblatt: Die Ausstellung ist sehr sehenswert geworden!

Wolfgang Weidele: »Ja, auch die Fotografien, auf denen Sebastian Wehrle die Radolfzeller Tracht in seiner ganz speziellen Art und Weise in Szene gesetzt hat, sind toll geworden. Auch wenn es bei manchen Anfangs Bedenken gab, sich darauf einzulassen. Aber wir hatten ein sehr gutes Vorgespräch mit dem Fotografen. Da waren wir schon mal positiv überrascht. Und als wir die Bilder dann gesehen haben, fanden wir sie eigentlich sogar fast ein bisschen zu brav. Meine Frau und Romy Bromma waren auf Wunsch von Sebastian Wehrle bei dem Shooting dabei um sicherzustellen, dass alles richtig sitzt. Sie haben danach berichtet, dass die Atmosphäre wirklich toll war. Auch die Models waren begeistert von der Radolfzeller Tracht. Das hat uns auch sehr gefreut.«

Wochenblatt: Wenn Ihnen jemand mit dem Vorurteil begegnet, dass Trachten altmodisch sind, was würden Sie demjenigen entgegnen?

Wolfgang Weidele: »Wenn jemand diese Meinung hat, dann muss man das wohl als seine Sichtweise akzeptieren, aber ich denke, für diejenigen,die dazu stehen, egal ob es im Schwarzwald, in Bayern oder am Bodensee ist, ist es einfach ein Stück Identifikation mit ihrer Heimat. Das gehört dazu und darin fühle ich mich wohl. Außerdem gibt es ja viele Dinge, die manch einem vielleicht altmodisch erscheinen können und die wir trotzdem ganz schön pflegen.«

Wochenblatt: Was ist Ihr persönliches Highlight in diesem Heimattage-Jahr?

Wolfgang Weidele: »Wenn Corona es zulässt, dann möchten wir natürlich als Trachtengruppe gerne einen Tag in diesem Jahr begehen. Dazuhaben wir auch eine gewisse Vorstellung, aber das ist natürlich von den ganzen anderen Rahmenbedingungen abhängig, aber wir freuen uns besonders auf den Programmpunkt›Radolfzell in Tracht‹. Ein weiteres Highlight war zudem die Neuauflage des Buchs ›Iiszapfe zum schlozze‹, einer Sammlung von Gedichten, die unser Gründer, Pfarrer Hermann Sernatinger verfasst hat, und das nun bei uns und im Radolfzeller Buchhandel erhältlich ist.«

- Dominique Hahn

Autor:

Redaktion aus Singen

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