Anwohner-Information zur möglichen Umbenennung der Lettow-Vorbeck-Straße im Altbohl
Eine Korrektur, kein Ausradieren!

Lettow Vorbeck | Foto: Historikerin Heike Kempe bei der lebhaften Diskussion mit Anwohnern der Lettow-Vorbeck-Straße und Gemeinderäten nach ihrem Vortrag zur problematischen Rolle des „Löwen von Afrika“ für die deutsche Geschichte in der Kolonialzeit. swb-Bild: of
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  • Foto: Historikerin Heike Kempe bei der lebhaften Diskussion mit Anwohnern der Lettow-Vorbeck-Straße und Gemeinderäten nach ihrem Vortrag zur problematischen Rolle des „Löwen von Afrika“ für die deutsche Geschichte in der Kolonialzeit. swb-Bild: of
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Radolfzell. Nach einem Beschluss des Radolfzeller Gemeinderats aufgrund eines interfraktionellen Antrags vom 5. Oktober soll am 30. November die finale Abstimmung zur Umbenennung der „Lettow-Vorbeck-Straße“ vollzogen werden. Es ist der zweite Anlauf, nachdem es 2013 zunächst bei Stimmengleichheit abgelehnt wurde und damals die Lösung wählte auf einer Tafel auf den „Helden“ der Kolonialzeit und seine Rolle in dieser Zeit hinzuweisen.

Im Vorfeld der Gemeinderatsitzung am nächsten Dienstag gab es nun am Montagabend einen Informationsabend im Radolfzeller Milchwerk für die Anwohner und die Grundstücksbesitzer der Straße. Im Vorfeld wurde bereits eine Umfrage unter den Anliegern durchgeführt. Nach dieser lehnen 57 derer, die auf die Anfrage antworteten, eine Umbenennung auch weiterhin ab, 31 stehen dem aber inzwischen zustimmende gegenüber. Bei einer vorigen Umfrage vor neun Jahren sei die Ablehnung noch viel Eindeutiger gewesen, wurde nun am Infoabend informiert. Wenn der Antrag nun von Gemeinderat angenommen werde, stelle die Stadt den Anwohnern für etwaige Kosten eine Unterstützung über das Bürgerbüro zur Verfügung, weil mit dem Straßennahmen ja viele Dokumente, Verträge bis hin zum Ausweis geknüpft sind. Was Brundbucheinträge betrifft, so würden dort jedoch Flurstücksnummern verwendet, so dass man hier keine Änderungen vornehmen müsse, sagte Bürgermeisterin Monika Laule, die den Informationsabend moderierte. „Die Bürokratie soll den Menschen dort abgenommen werden“, machte sie weiter deutlich.

Die Diskussion, die in kleinen Runden durchgeführt wurde, brachte durchaus beide Seiten der Meinungen aus der Straße im „Altbohl“ zutage. „Warum wird man als Bürger gefragt, wenn am Ende doch der Gemeinderat aus seiner Sicht entscheidet“, kritisierte ein Anwohnerin . „Wir wollen wissen mit welchen Argumenten die dafür oder auch dageben sind“, unterstrich Gemeinderat Norbert Lumbe der schon deutlich machte, dass das Votum natürlich einfließe, aber nicht die Entscheidungsgrzundlage in der Abwägung sei. Der interfraktionelle Antrag der Gemeinderäte war im zweiten Anlauf durch die neuerlichen Aufarbeitungen der deutschen Kolonialgeschichte entstanden, die ja sogar in den Koalitionsvetrag von Anfang 2018 mit aufgenommen wurde. Wie groß das Konfliktpotential dazu auch über 100 Jahre danach ist, machte das vorläufige Scheitern einer Entschuldigung und Entschädigung mit den Vertretern der Sämme aus Namibia im Juni diesen jahres deutlich.

In einem Vortrag von Historikern Heike Kempe von der UNI Konstanz, die auch schon in 2012 ein Gutachten über die strittigen Straßennamen in Radolfzell verfasst hatte, wurde nochmals auf die Rolle von Paul von Lettow-Vorbeck eingegangen. Auch mit dem Verweis, dass in einigen Städten ähnliche Diskussionen geführt wurden und bereits einige Umbenennungen vorgenommen wurden. Paul von Lettow-Vorbeck habe damals selbst an seinem Bild zum „Helden von Ostafrika“ seht viel gearbeitet, obwohl sein Krieg damals im Damaligen „Deutsch-Ostafrika“ über vier Jahre rund 700.000 Menschen das Leben gekostet habe. Im Frieden von Versailles seien Deutschland die Kolonien aberkannt worden, in der Folge sei er dann aber einer der Mitverfechter der Dolchstoßlegende gewesen. Schließlich hätten die Nationalsozilisten ihn weiter gewürdigt und gar zum „Löwen von Afrika“ stilisiert, und viele Straßen nach ihm benannt wie die im Altbohl 1938, ohne die Menschen vorher zu fragen übrigens. Eine Kaserne in der Phase der Aufrüstung für den zweiten Weltkrieg sei in Hamburg ihm gewidmet worden, in einer Reihe mit Lothar von Trotha, der einst den Vernichtungskrieg gegen die Herero geführt hatte.

Freilich habe Lettow-Vorbeck bei seinem Tod 1964 noch ein Staatsbegräbnis bekommen. Der Kap-Putsch sei in der Geschichte der jungen Bundesrepublik verdrängt worden. Erst später, ab Mitte der 1960er Jahre habe sich das Bild zu wenden begonnen, als man anfing die Kolonialzeit kritischer zu hinterfragen. Die Rückführung von Schädeln getöteteter Krieger an Namibia ab 2014 hätten weiter zu einer Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte beigetragen, die freilich noch längst nicht abgeschlossen wäre. „Sie sind nun auch zu einem Teil dieser Entwicklung geworden“, machte Kempe den Anwohnern deutklich. Und: „Wenn sie jetzt die Straße nicht umbenennten möchten, wird sie die Geschichte doch wieder einholen“, kündigte sie angesichts der derzeit ja fortlaufenden Diskussionen über die Schuld der Deutschen in der Kolonialzeit. „Es geht nicht darum, die Geschichte auszuradieren“ hob Kempe weiter hervor. Der andere Umfang mit dem Straßennahmen könne auch darin dokumentiert werden, in dem auf den Alten Straßennamen hingewiesen werde, mit dem Verweis auf die Geschichte. Mut machte sie obendrein: „Sie können sich jetzt sogar deutschlandweit einen Namen zu machen, nach einer relativ kurzen Diskussion diese Umbenennung mit zu tragen“, so Kempe abschließend.

Mit dem Vorschlag, die Straße in „Ahornstraße“ umzubenennen, gibt es allerdings dann doch ein Problem, weil es in Böhringen bereits einen Ahornweg gibt, was zu Verwechslungen führen könnte. Nun muss aber freilich die Entscheidung des Gemeinderats abgewartet werden. Nach einem Beschluss für die Umbenennung müsste freilich noch ein weiterer Beschluss zum Vollzug gefällt werden. Das sollte dann noch in diesem Jahr geschehen, hat sich Bürgermeisterin Monika Laule vorgenommen.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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