Zeller Kultur bringt Max Frisch auf die Bühne
Die Axt als Weg zur eigenen Freiheit? - oder nur der Macht?
Radolfzell. Auch noch eine Nebenwirkung der Corona-Lockdowns und Einschränkungen der letzten Monate. Erst kurz vor den Sommerferien konnte die Theatergruppe der Zeller Kultur unter der Regie von Waltraud Rasch die Inszenierung von Max Frischs „Graf Öderland“ im Theatersaal an der Fürstenbergstraße eine viel beklatschte Premiere feiern. Das Stück kommt aber nochmals auf die Bühne, mit sechs weiteren Aufführungen ab dem 2. September – eben noch vor dem Herbst, der auch wieder mit einigen Ungewissheiten aufwartet.
Keine Frage, mit dem „Graf Öderland“ ist der Theatergruppe ein Glücksgriff gelungen, denn das Stück gehört zu den seltener gespielten von Max Frisch, an das er auch mehrmals überarbeitend drangegangen ist, und das durchaus eine Gratwanderung ist mit seiner Sympathie für die Anarchie, die einige Sprünge in der Handlung als „künstlerische Freiheit“ verzeihen lassen, wenn man als Zuschauer hier erst mal „angefixt“ wurde.
Ein Mord ist es, oder besser gesagt ein Mörder, der den Staatsanwalt (Ileana Förster) aus seinem Gleichgewicht von zu viel Arbeit und das auch immer noch nachts bringt. Seit Frau Elsa (Gabriele Bühler) trifft ihn immer öfter des Nachts angezogen und rauchend an. Da hat ein Bankangestellter (Alexander Binder) in einer Nacht auf einen Montag einfach den Hausmeister erschlagen – mit einer Axt, die dort in der Werkstatt herumhing.
Die Gespräche zwischen dem Häftling und dem Staatsanwalt haben ihre Folgen. Keine Frau für den Mann am Bankschalter, immer diese langen Wochenenden mit dem Fußballspiel im Stadion – seit 14 Jahren – währenddessen man sich schon gewahr wird, dass am Montag eine der immer gleichen Wochen wieder beginnt.
Deshalb einen Menschen willkürlich erschlagen? Der Staatsanwalt kratzt die Kurve in der Nacht vor der Verhandlung, macht sich den Gedanken der Axt zu eigen, verschwindet sozusagen aus seinem eigenen Leben, taucht auf im „Öderland“, wo man im Wald auf einen Erlöser hofft, der einen vom täglichen Holz holen erlöst.
Der nächste Sprung geht wieder in die Stadt, wo die Frau und der Verteidiger Dr. Hahn (beide haben schon länger eine Liaison der schlaflosen Nächte des Staatsanwalts) einen „Deal“ mit dem Staatsanwalt machen wollen. In der Stadt geht die Angst vor dem Mann mit der Axt schon um, und die hat der Staatsanwalt immer in seiner Aktenmappe.
Seine Flucht führt ihn trotz Taxistreik schließlich auf die Insel Santorin zur großen Revolution und schließlich zu einer besonderen Machtübernahme, an deren Ende der Staatsanwalt zurückkehrt in seine inzwischen durch den von ihm verursachten Umsturz für Flüchtende freigegebene Wohnung und meint, er habe geträumt, bis er sich von seinen dreckigen Stiefeln eines Besseren belehren lassen muss.
An einen Traum erinnert das Stück immens, denn auch dort kann man ja die wildesten Sprünge erwarten. Und vielleicht ist der „Graf Öderland“ ein Traum von der ersten Minute an, bei den bei allem Minimalismus auch akustisch (Volker Wagner mit diversen Holzblasinstrumenten) beeindruckend gesetzten Szenen. Spannend die Rollenverteilung, die aus Verena Augustin zum Beispiel als Elsa den nächtlichen Geist machte, der dem Staatsanwalt die Akten verbrennt, die sein Leben fesseln, die später als Inge aus dem Wald mit zur Revolution folgt und dort fallen gelassen wird und die im Finale als Coco sich immer dem richtigen Machthaber anzuschmiegen weiß. Oder auch Thomas Weber, der sich vom Vater des Mörders zum Gendarm, dann zum Fahrer mit Lederjacke und letztlich als Direktor der Korruption verwandelt. Oder gar Anna M. Kell-Eichkorn, die erst Inges Mutter, dann die Frau des ermordeten Hausmeisters (Unterschlupf auch im Bett für den Mörder!) und schließlich den Innenminister mimt, der die Macht übergibt. Oder auch Andreas Nitschke, der vom Hellseher zum General und schließlich zum Staatspräsidenten mutiert, oder Patrick Wennrich als Kommissar, Wärter und „Boy“. Das „neu Finden“ der Figuren macht die Szenen zu eigenen Stücken im Stück, der rote Faden bleibt freilich der Wunsch nach dem Ausbruch in die Freiheit. Max Frischs Weisheit dazu: „Wer, um frei zu sein, die Macht stürzt, übernimmt das Gegenteil der Freiheit, die Macht.“
Schon die Leidenschaft der Schauspieler und des Teams, die in der Aufführung richtig „ansteckend“ ist, ist eine Empfehlung dabei zu sein. Denn die „Zeller Kultur“ ist eine besondere „Eigenmarke“. Gut, dass es da auch eine gute Schar an Förderinstitutionen gibt.
Mehr zu den aktuellen Veranstaltungen unter www.zellerkultur.de/
Autor:Oliver Fiedler aus Gottmadingen |
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