Gemeinderat stimmt Neustrukturierung zu
Der Reset-Knopf für die Kinderbetreuung in Radolfzell ist gedrückt
Radolfzell. Einen wichtigen Schritt weiter gekommen ist die Stadt Radolfzell bei der Lösung ihrer Engpässe in Sachen Kinderbetreuung in der Sitzung des Gemeinderats am Dienstag. Das Gremium billigte unter anderem den Einstieg in das "Offenburger Modell" unter dem Titel "Radolfzeller Spielezeit". In zwei Einrichtungen sollen dafür Mitarbeitende des Malteser-Hilfsdiensts, wie in Offenburg auch, zum Einsatz kommen.
Schon bei einem Pressegespräch am Montag, 26. Juni, ging es um die Umstrukturierung des Betreuungskonzepts in Radolfzell, welche durch größere Ausfälle in Herbst und Winter 2022 notwendig geworden waren. Unter den von Ausfällen betroffenen Einrichtungen waren dabei auch Initiativen entstanden, wie etwa in Möggingen beim Kinderhaus Bullerbü. Die Betreuung am Nachmittag übernehmen dort momentan Eltern in der Mindelseehalle. Damit das Kind dort einen Platz bekommt, müssen dessen Eltern im Gegenzug auch zur Betreuung beitragen, berichtete Bürgermeisterin Monika Laule am Montag.
Das soll bald der Vergangenheit angehören können. Neben dem Hauptziel, die Plätze in der Kindertagesbetreuung generell zu erhöhen, startet als Zwischenlösung eine Betreuung nach Vorbild des Offenburger Modells. Statt der bisherigen Betreuungszeit von 32,5 Stunden pro Woche wolle man sich darauf konzentrieren, eine Basis von 30 Wochenstunden zu schaffen, welche den minimalen Rechtsanspruch abdecke. Wem dies nicht ausreicht, der hat die Möglichkeit auf 35 Stunden in der Woche aufzustocken, wurde erläutert. Laut der Vorlage des Gemeinderats könne man hierdurch den Fehlbestand an Mitarbeitenden, mit einem Umfang zwischen 15 und 20 Vollzeitstellen, auf eine unbesetzte Stelle reduzieren, deren Besetzung bis zum 1. August geplant sei.
In Radolfzell ist Spielezeit
Auf die Basisbetreuung wird nun in zwei Schritten umgestellt. Für die meisten Einrichtungen ist das der 1. September 2023, im zweiten Schritt folgen dann die restlichen Einrichtungen. Stichtag ist hier der 1. September 2024.
Die Ganztagsbetreuung in Radolfzell soll dabei vorerst eingestellt und nur in einzelnen Einrichtung, wie der KiTa Mezgerwaidring, weiterhin angeboten werden. Die Wochenstunden werden allerdings auch hier begrenzt, von 50 auf maximal 45 Stunden.
Parallel zum 1. September 2023 starten wird dann auch das Pilotprojekt "Radolfzeller Spielezeit". Gedacht ist dies für Familien, denen 35 Betreuungsstunden nicht ausreichen. Starten werde man im Kinderhaus Bullerbü in Möggingen, um die Betreuung durch Eltern abzulösen, sowie im Kinder- und Familienzentrum (KiFaZ) Werner Messmer in der Innenstadt. Weitere KiTas sollen dann im Kindergartenjahr 2024/2025 folgen, insgesamt ist das Projekt zunächst befristet bis einschließlich August 2025, erläuterte Monika Laule.
Die Radolfzeller Spielezeit soll räumlich getrennt vom pädagogischen Angebot stattfinden, dies verdeutliche für die Kinder den Unterschied zwischen beidem. Die Spielezeit legt den Fokus eher auf das "Spielen und Betreuen", richtet sich an Kinder über drei Jahren und wird durch "qualifizierte Laien" durchgeführt. Das heißt, dass es sich hier um eine Betreuung ohne pädagogischen Inhalt handelt, erklärte Joana Blucha, die Kindergartenbeauftragte in der Radolfzeller Stadtverwaltung. Das Personal sei dafür in Grundlagen, wie beispielsweise Erster Hilfe, geschult. Die Spielezeit werde dann pro Woche mit etwas unter zehn Stunden angeboten. Das Personal stelle der Malteser Hilfsdienst Bodensee als freier Träger, wo es laut Joana Blucha Vorkenntnisse und die entsprechende Qualifizierung aus der Schulkindbegleitung oder Fahrdiensten gebe. Im ersten Jahr betragen die Kosten für die Eltern laut Laule 44 Euro pro Monat, im zweiten Jahr dann 60 Euro.
Wir müssen als Arbeitgeber attraktiver werden
Mit der "Qualitätsoffensive Ausbildung" wolle man zudem junge Menschen für den Erzieherberuf gewinnen. Dieser werde laut Laule oft unterschätzt: "Der ErzieherInnen-Beruf ist mittlerweile einer der bestbezahlten nicht-akademischen Berufe", mit einem Bruttoverdienst ab etwa 3.200 Euro im Monat.
Konkret soll die klassische Ausbildung mit einem Stipendienprogramm nach dem Stuttgarter Modell gestärkt werden. Das beinhaltet ein "Taschengeld" in Höhe von 200 Euro und im Falle Radolfzells auch die Möglichkeit sich abseits der klassischen Ausbildung fortzubilden. Neben zwei weiteren Stellen für die stärker nachgefragte praxisintegrierte Ausbildung (PIA) würden auch die andere Angebote für Quereinsteiger ausgebaut, beispielsweise der Anpassungslehrgang für ausländische Kräfte oder der "Direkteinstieg KiTa", eine verkürzte Ausbildung zur sozialpädagogischen Assistenz in Kooperation mit der Arbeitsagentur. Zudem soll die Zeit, die für die Unterstützung der Auszubildenden notwendig ist, besser berücksichtigt werden.
Das Tagesmütter-Modell, welches sich an Kinder unter drei Jahren richtet, werde ebenfalls weiterentwickelt und so ausgebaut werden, so Joana Blucha.
Verlässliche Situation für Eltern, Kinder und Mitarbeiter
Die Umstrukturierung bezeichnete Laule dabei als "Riesenkraftakt und das wird sie auch noch weiter sein", wenn es jetzt nach dem Beschluss im Radolfzeller Gemeinderat an die Umsetzung gehe. "Das ist ein kompletter Reset", fasste Monika Laule zusammen.
Positive Auswirkungen seien dabei bereits spürbar. Das pädagogische Personal wisse, dass es wieder den Raum für eine angemessene Nach- und Vorbereitung des KiTa-Alltags und verlässlich geregelte Arbeitszeiten bekommt. Eine Verlässlichkeit der Betreuung habe sich auch vonseiten der Elternvertreter als Hauptwunsch herauskristallisiert, wurde mehrfach in dem Gespräch unterstrichen.
Das bestätigte auch die erste Vorsitzende des Gesamtelternbeirat (GEB) KiTa Radolfzell, Pratyusha Potturi auf Nachfrage des WOCHENBLATTs. Man stimme für die Neustrukturierung der KiTa, diese stelle allerdings, wie die Elterninitiative in Möggingen, nur eine temporäre Lösung dar. Noch über der Steigerung der Betreuungszeiten stehe dabei der Ausbau der verfügbaren Plätze, so die Stellungnahme des GEB KiTa. Die erweiterte Betreuung durch die Malteser wurde hier als "guter Kompromiss" bezeichnet, damit sich die Stadt auf die Erweiterung konzentrieren könne. Außerdem betonte die Vorsitzende, dass in der KiTa unbedingt auch Bildung möglich sein müsse.
Autor:Anja Kurz aus Engen |
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