Gefeiertes Konzert in der Christuskriche
Corona-Tage zum großen Musikwerk gemacht

Kristín Kristjánsdóttir am Klavier und Ralf Kleinehanding am Vibraphon in der Christuskirche Radolfzell bei der Aufführung ihres "Sommerzeitraffer". | Foto: Oliver Fiedler
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  • Kristín Kristjánsdóttir am Klavier und Ralf Kleinehanding am Vibraphon in der Christuskirche Radolfzell bei der Aufführung ihres "Sommerzeitraffer".
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Radolfzell. Es war schon eine verrückte Zeit, als in der Corona-Krise viele MusikerInnen plötzlich mit Auftrittsverboten belegt wurden. Der in Böhringen lebende Perkussionist Ralf Kleinehanding hat draus einen "Sommerzeitraffer" gemacht, den er nun im Rahmen des Bodenseefestivals mit seiner Frau Kristín Kristjánsdóttir am Piano als ein sehr besonderes Werk aufführte, das nach exakt 91 Minuten und 14 Sekunden höchst spannender Musik vom Publikum richtig frenetisch gefeiert wurde. 

Die Tage "ohne Arbeit" hatte Ralf Kleinehanding damals von März bis Oktober 2021 höchst arbeitsam genutzt, wie er schon vor dem Konzert erzählte. Jeden Tag komponierte er jeweils 25,2 Sekunden Musik an seinem umfangreichen Schlagwerk-Equipment, ganz von den Tageserlebnissen in dieser Zeit geprägt, die ja viele Stimmungslagen einfingen. Aus den 217 kleinen "Schnipsel" wuchs dann dieser "Sommerzeitraffer" zusammen, der bewegt durch eine Zeit führte, deren Aufarbeitung bis heute noch ansteht.

Das war ein sehr besonderes Erlebnis, die Abschnitte von 25 Sekunden freilich kaum auszumachen, denn hier entwickelte sich Musik auch aus Geräuschen, zum Beispiel wenn man mit einem Schlagwerk-Besen über die Saiten des Pianos fährt, oder wenn Ralf Kleinehanding mit einem speziellen Schlegel über eine Pauke fährt, was ein Geräusch ergibt, das fast schon an den Gesang von Walen erinnert, oder wenn er sein Vibraphon mit den Fingern bedient, was einen sehr zarten Klang ergibt.

Stimmungen eines gefühlten Stillstands, in dem das eigene Heim sich in der Verurteilung zu Abstand und Isolation wie ein Exil anfühlen kann, aufgeregte Moment des Willens zum Aufbruch, das Registrieren von Wetter in dieser Stille flossen da ineinander über, jeder Tag eine neue Stimmung, ein spezielles Gefühl für jeden Tag, und jeder Tag als neuer Versuch, mit dieser Situation zurechtzukommen, die sich gewiss zeitweise wie ein "Berufsverbot" anfühlte.

Manche Melodie klingt aus den Geräuschen an, bricht wieder ab, scheint ein paar Tage später wieder aufgenommen zu werden, versinkt wieder in den künstlerisch erzeugten Klängen. Eine Achterbahnfahrt, auf die das Publikum dieser Aufführung von den beiden Akteuren mitgenommen wurde, die jede Sekunde spannend bliebt, weil ja gefühlt im Halbminutentakt ein neuer musikalischer Blick auf diese Zeit geworfen wurde, in der gerade für die Kunstschaffenden doch viele Perspektiven verloren gingen, in der Ungewissheit, wann ein normales Leben "unter Menschen" wieder möglich wäre.

An diesem Abend im Rahmen des Bodenseefestivals in der Christuskirche war das "normale Leben" wieder ohne Einschränkung möglich, wie der trotz des speziellen Themas ganz gut mit Publikum gefüllte Kirchensaal auch spürbar machte.
Eine Inszenierung ohne wirkliches Finale, das Tagebuch wird einfach zugeklappt. Das Publikum, das sehr aufmerksam dieser Klanginstallation folgte, stand auf zum Applaus, denn hier konnte auch jeder auf seine persönliche Zeitreise gehen und in sich hören, welche Klänge damals im eigenen Kopf entstanden und in der Bedrohung durch den Virus, was ja auch fast alle 25 Sekunden mit einer neuen Nachricht und der Konsequenz der Politik die Konsequenz war. Ein verstörend romantischer Abend.

Autor:

Oliver Fiedler aus Gottmadingen

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