HSG Coach Jörg Lützelberger im Interview
Wir wollen noch spielen, wenn andere schon Urlaub haben
Konstanz. Seit 2021 ist Jörg Lützelberger Head Coach der HSG Konstanz. Der 38-jährige EHF-Mastercoach und Sportwissenschaftler war als Kreisläufer fast 300 Mal in der 1. Bundesliga unter anderem für die Traditionsvereine TV Großwallstadt, VfL Gummersbach, TBV Lemgo und TuSEM Essen aktiv und dreimal Europapokalsieger. Der ehemalige Jugend- und Junioren-Nationalspieler arbeitete anschließend als Co-Trainer beim VfL Gummersbach, Trainer der Drittligamannschaft sowie Leiter dessen Nachwuchsakademie und zuletzt für den österreichischen Erstligisten Bregenz Handball.
Im Interview mit Andreas Joas spricht der aus Suhl stammende Wahl-Lindauer über die Handball-Europameisterschaft in Deutschland, eine Hinrunde mit Höhen und Tiefen, 15 Endspiele um den Einzug in die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga sowie neue Optionen im Kader und Vorsätze für das neue Jahr.
Jörg, hast du erholsame Tage mit deiner Familie verbringen können?
(lächelt) Das ist gut gelungen. Wir haben viele Ausflüge gemacht, die Zeit Zuhause genossen und Kraft getankt. Die Vorfreude und Lust auf das Team und loszulegen sind aber schon wieder da.
Beim Blick zurück: Wie fällt deine Bilanz zur ersten Halbserie aus?
Das Spiel bei den Rhein-Neckar Löwen II (38:26-Auswärtssieg, Anm. d. Red.) fühlte sich wie ein geplatzter Knoten an. Das war ein tolles Spiel, in dem wir das Ergebnis bis zum Schluss hochschrauben konnten. Das hat Lust auf mehr gemacht. Wir wollen direkt wieder mit hoher Qualität einsteigen.
Seit 2. Januar bereiten sich die Spieler mit individuell angepassten Trainingsplänen vor, ab Montag startet sozusagen Phase zwei der Vorbereitung. Was steht auf dem Programm?
Wir beginnen mit der ganztägigen Vorbereitung mit Einheiten im eigenen Athletikraum und dem Mannschaftstraining. Wir werden dabei neben Athletiktraining auch Impulse in den Bereichen Gesundheit und Ernährung setzen und dabei von David Höhfeld (Sportwissenschaftler und Mitgründer des MOJO Instituts, Anm. d. Red.) Verstärkung erhalten. Am 12. Januar dürfen wir uns mit dem HBW Balingen-Weilstetten in Frittlingen mit einem Team aus der stärksten Liga der Welt messen. Das ist natürlich ein Brett zum Einstieg, die Freude darauf ist aber schon groß. Und natürlich haben wir auch schon den Drittliga-Auftakt am 20. Januar gegen Horkheim im Kopf.
Zuvor startet die Handball-Europameisterschaft im eigenen Land. Ein Ereignis, das du besonders verfolgen wirst?
Ich habe große Freude auf diese EM in mir. Es lässt keinen kalt, wenn die besten Handballer Europas bei uns in Deutschland zu Gast sind und wir uns als gute Gastgeber zeigen können. Für uns als Trainer ist immer interessant, was auf Top-Level passiert. Wir können uns auf friedliche Handball-Feste unterschiedlicher Kulturen freuen.
Was traust du Deutschland für eine Rolle im eigenen Land zu?
Das DHB-Team verfügt über einige Spieler, die bereits viel erlebt haben und die nötige Erfahrung und Reife mitbringen. Entscheidende Komponenten für den Erfolg des deutschen Teams waren immer schon Leidenschaft, Willen, Kampfgeist und eine geschlossene Mannschaftsleistung. Daraus kann sich ein Spirit für das Turnier entwickeln. Wichtig wird zudem die Qualität im Rückraum und das Gegenstoßspiel. Wenn das Halbfinale erreicht wird, ist alles möglich, wenn sich ein, zwei, Überraschungen im Team auftun. Favoritenstatus haben jedoch Dänemark, Frankreich und Spanien. Gespannt bin ich zudem auf Norwegen und Schweden sowie Ungarn und Sloweninnen, aber auch Island, die immer als Geheimfavorit gehandelt werden – aber auch die Niederlande.
Zurück zur HSG Konstanz. Welche Erkenntnisse nimmst du mit in den zweiten Saisonteil?
Für uns war in dieser Saison bereits alles dabei. Bis auf wenige Spiele ist uns nichts zugefallen. Mit Verletzungen, frühen Roten Karten, guten Leistungen unserer Gegner und dass wir selbst nicht präzise und geduldig genug waren. Als Team sind wir daran gewachsen. Der Zusammenhalt stimmt, wir sind eine gute Gruppe. Und vielseitiger geworden. Ich freue mich auf die Rückrunde. Phasen, in denen nicht alles läuft und Rückschläge gehören dazu. Die Niederlagen gegen Leutershausen und Kornwestheim entsprachen in ihrem Zustandekommen aber nicht der Art und Weise, wie wir auftreten wollen.
Worauf stellst du dich in der Rückrunde in der sehr ausgeglichenen 3. Liga Süd ein?
Es liegt ein beachtliches Programm vor uns, mit schweren und mehr Auswärtsspielen. Es bedarf daher einer guten Entwicklung und Steigerung. Wir arbeiten daran, schnell wieder in den Rhythmus zu finden und müssen on point und voll präsent da sein. Es liegen 15 Endspiele und eine spannende Rückrunde für den Einzug in die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga vor uns. Wir sind voll dabei.
In welchen Bereichen sieht du noch Steigerungspotenzial?
Ich wünsche mir mehr Disziplin. Dass wir neue Fehler machen, die alten hingegen ablegen. Dass wir das Tempospiel weiterentwickeln, über die erste Welle hinaus mit noch mehr Grundschnelligkeit in der zweiten und dritten Welle. Hier haben wir zuletzt schon draufgelegt. In der Defensive haben wir uns einiges erarbeitet, von dem wir noch profitieren werden – aber auch noch weiteres Potenzial. Wir haben uns in neuen Konstellationen gut kennengelernt und daraus mitnehmen können, was wir wo von unseren Spielern bekommen können.
Zur Rückrunde scheint sich sich das Lazarett erfreulicherweise zu lichten und gibt dem Trainerteam wieder mehr Optionen. Wer ist wieder mit dabei?
Mit Neuzugang Konstantin Poltrum und Janis Boieck, der nach seiner langen Verletzungspause zurückkehren wird, sind wir im Tor nun wieder ganz anders aufgestellt. Auf Rechtsaußen kommt Veit Schlafmann dazu und wird Lukas Köder entlasten können, Samuel Wendel wird auf Linksaußen zurückkehren und für einen Dreikampf auf dieser Position sorgen. Sebastian Hutecek wird auf Mitte zurück sein, wo wir mit Felix Sproß noch breiter und vielseitiger geworden sind. Das erhöht die Trainingsqualität und sorgt für einen Konkurrenzkampf. Sollten alle gesund bleiben, können wir ganz anders aus dem Vollen schöpfen als bislang.
Mit Konstantin Poltrum, Aron Czako und Christos Erifopoulos sind Spieler aus Bundesligavereinen zurückgekehrt oder haben langfristige Verträge bei der HSG unterzeichnet. Wichtige Zeichen für die ambitionierten Ziele und weitere Entwicklung der HSG?
Wir haben eine hohe Zielstellung formuliert und arbeiten täglich darauf hin, dass wir in die Aufstiegsrunde zur 2. Bundesliga kommen. Mit einer jungen Mannschaft wollen wir Vollgas geben, damit wir im Juni, wenn andere schon Urlaub haben, noch spielen. André Melchert (Geschäftsführer der HSG, Anm. D. Red.) arbeitet kontinuierlich daran, dass wir bereits einen guten Stand für den Kader der nächsten Saison haben. Bei uns können die Spieler ihrem Traum vom Leistungshandball auf hohem Niveau, mit viel Training auf hohem Niveau nachgehen und zugleich ihre duale Karriere vorantreiben wie sie dies wohl kaum woanders können. Sie finden hier sowohl für den Leistungssport als auch ihre duale Karriere ein optimales Umfeld vor.
Welche Wünsche hast du für das neue Jahr?
Mir würde ein Wunsch reichen: Alle meine Spieler bleiben gesund. Das ist das Wichtigste, weil es auf unseren Erfolg als Mannschaft einzahlt, aber auch, weil ich immer stark leide, wenn die Jungs sich wehtun. Den Rückkehren, die aus langen Verletzungspausen zurück sind, wünsche ich, dass sie auch den letzten Teil ihrer Reha und ihres Return-to-competition-Programms erfolgreich meistern und wieder gut reinkommen.
Und hast du dir Vorsätze gefasst?
Als Trainer sind es keine neuen Vorsätze: Ich möchte meine Jungs unterstützen, ein guter Anführer sein und mit meiner ganzen Kraft und Leidenschaft auf unser Ziel einzahlen, diese Aufstiegsrunde zu erreichen und sich dort mit den besten Drittligisten Deutschlands um den Aufstieg in die 2. Bundesliga zu messen. Das Flaggschiff der HSG weiter in die richtige Richtung zu lenken ist das große Ziel und wofür ich alle Energie rein gebe. Privat möchte ich selbst etwas mehr Sport machen, wenn ich schon selbst so oft in der Sporthalle bin. Damit habe ich auch schon begonnen und bin sehr aktiv. Und ein guter Papa und Ehemann sein.
Fragen: Andreas Joas
Autor:Andreas Joas aus Konstanz |
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